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Ein Federvieh zum Fest der Liebe

28.11.2013

Weil man etwas fürs Herze tun muss: In der DDR kannte jedes Kind die Geschichte der Weihnachtsgans Auguste – die, vor dem Ofen gerettet, aber gerupft, einen warmen Pullover aus weißer Wolle bekommt.

Weil man etwas fürs Herze tun muss: In der DDR kannte jedes Kind die Geschichte der Weihnachtsgans Auguste – die, vor dem Ofen gerettet, aber gerupft, einen warmen Pullover aus weißer Wolle bekommt.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Er schrieb politische Theaterstücke, sah Kunst als Waffe und galt lange Zeit als der bedeutendste Vertreter des sozialistischen Realismus auf der Bühne: Friedrich Wolf. Das bekannteste Prosastück seines literarischen Werkes ist jedoch ein Weihnachtsmärchen: „Die Weihnachtsgans Auguste“.

Weihnachten und Gans – für viele Menschen ist das eine fast zwangsläufige Kombination, ähnlich wie Advent und Kerzen oder Glühwein und Kater. Die naheliegende Kombination aus Fest der Liebe und Federvieh ist auch der Ausgangspunkt für eine der vielleicht bekanntesten Weihnachtserzählungen.

Die Geschichte von der „Weihnachtsgans Auguste“ beginnt irgendwann im November, bis Weihnachten ist es noch hin, doch der Opernsänger Luitpold Löwenhaupt ist ein vorausschauender Mann. Und so hat er schon jetzt für seine Familie und sich eine fünf Kilo schwere Gans gekauft. „Gewiss, es waren schwere Zeiten. Doch etwas muss man doch fürs Herze tun“, sagt er sich und bringt das Tier nach Hause zu Frau und Kindern.

Wer in der DDR groß geworden ist, kennt die Geschichte in- und auswendig

Die Gans soll die ihr noch verbleibenden Tage im Kartoffelkeller verbringen. Doch schnell wird aus dem Tier ein echter Mitbewohner: Die Gans bekommt den Namen Auguste, und die Kinder des Opernsängers finden einstimmig, dass der Keller für Auguste eigentlich zu kalt sei. Folgerichtig bezieht sie bei Peterle, dem Jüngsten, im Bett Quartier. Und es zeichnet sich ab: Ganz einfach wird es für Vater Löwenhaupt nicht werden, aus dem Haustier Auguste einen anonymen Weihnachtsbraten zu machen.

Der Versuch des Familienvaters, die Gans mit einer Überdosis Schlafmittel ins Jenseits zu befördern, bringt dann die komisch-dramatische Wende: Ähnlich wie Schneewittchen ist Guste gar nicht tot. Als das Hausmädchen das Tier – unter Tränen – rupft, erwacht die Totgesagte wieder. Nackt zwar, aber quicklebendig.

Geschrieben hat die weihnachtliche Auferstehungsgeschichte der Arzt, Kommunist und Dichter Friedrich Wolf, an dessen 125. Geburtstag und 60.Todestag in diesem Jahr erinnert wird. Sie erschien 1946 in einem Buch mit dem Titel „Märchen für große und kleine Kinder“. Und ist bis heute vermutlich der größte Publikumserfolg, den Wolf je mit einem Text hatte, sagt Hermann Haarmann, Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin.

Wer im Osten Deutschlands groß geworden ist, kennt die Geschichte von Auguste in- und auswendig. „Sie wurde zwei Mal verfilmt, außerdem gibt es Theaterfassungen, Hörspiele und jedes Jahr zur Weihnachtszeit Bastelwettbewerbe – alles zur Auguste", sagt Haarmann. Der langjährige Vorsitzende und Mitbegründer der Friedrich-Wolf-Gesellschaft kann die Beliebtheit der Erzählung durchaus verstehen: „Es ist fast ein klassisches Märchen: Die Gans kann sprechen, es gibt eine Art Auferstehung und natürlich ein Happy End. Das ist zeitlos."

Auf Zeitlosigkeit war der 1888 geborene Wolf eigentlich nicht bedacht, im Gegenteil. So kritisierte er vor allem in seinen Theaterstücken die aktuellen Missstände. 1928 war er der Kommunistischen Partei beigetreten und hatte sein Manifest „Kunst als Waffe“ publiziert. „Damit kehrte er dem Expressionismus den Rücken – und griff ganz konkrete Probleme auf, etwa das des Abtreibungsparagrafens“, erklärt Haarmann.

Friedrich Wolf sah zu Beginn der 1930er Jahre den Terror des NS-Regimes voraus

Als Arzt kannte Friedrich Wolf die Tragik nur zu gut, die der Paragraf 218 für arme Arbeiterfamilien in der Weimarer Republik bedeuten konnte. Abtreibungen waren verboten, die Geschäfte dubioser Engelmacher florierten. Oft mit tragischen Folgen. 1929 setzte er das Thema in einem Dramaum – „Cyankali“. Schon die Uraufführung war ein Skandal, Gegner und Befürworter der Legalisierung von Abtreibungen gerieten anlässlich der Aufführungen aneinander.

„Das Stück hat die Diskussion um den Abtreibungsparagrafen erst richtig angestoßen, weshalb es bis heute zu Recht zu den wichtigen Dramen des politischen Theaters zählt“, sagt Haarmann. Mit dem Ende der Weimarer Republik im Gefolge der nationalsozialistischen Machtergreifung war Friedrich Wolf zur Emigration gezwungen. „Er war nicht nur ein kritischer Autor, sondern zudem Jude“, sagt Haarmann.

Wolfs vielleicht wichtigstes Theaterstück „Professor Mamlock“ entstand im französischen Exil. „Das Drama ist deshalb bis heute bedeutend, weil es 1933, fast prophetisch, den faschistischen Terror und die Judenverfolgung beschreibt“, sagt Haarmann. Wolf gelang mit der Familie über Umwege die Flucht nach Moskau, wo das Theaterstück 1938 mit internationalem Erfolg verfilmt wurde.

Nach dem Ende des Krieges kehrte Wolf nach Deutschland zurück und siedelte in der DDR an. Doch er konnte an seine Erfolge nicht mehr so recht anknüpfen. In der DDR wurde „Professor Mamlock“ zwar zu einem Klassiker. In der Bundesrepublik jedoch geriet er zunehmend in Vergessenheit. „Wolf musste erleben, dass sein Dramentypus, nämlich das klassische aristotelische Drama, nicht mehr reüssierte. Als großer Reformator des Theaters wurde Bert Brecht gefeiert – ein ganz anderer Typus, auch sprachlich“, sagt Hermann Haarmann.

Wie klar die Grenze zwischen Ost und West auch die Bekanntheit Wolfs spiegelt, zeigte sich zuletzt an seinem 100. Geburtstag. Während die DDR an den 1953 verstorbenen Schriftsteller im Jahr 1988 mit einem Staatsakt, Sonderbriefmarken und einer Neuverfilmung der „Weihnachtsgans Auguste“ erinnerte, entdeckte man ihn im Westen Deutschlands gerade erst aufs Neue.

Hermann Haarmann, der zu der Zeit für seine Habilitation über Bertolt Brecht, Erwin Piscator und Friedrich Wolf forschte, war vier Jahre später unter den Gründungsmitgliedern der Friedrich-Wolf-Gesellschaft. Mit Vorträgen und einer Tagung, die am Freitag an der Berliner Akademie der Künste stattfand, wollte Haarmann nun zum 125. Geburtstag mehr, als nur für den Dramatiker Friedrich Wolf werben. „Es geht darum, Wolf in einen größeren Kontext zu setzen und zu zeigen, dass er nicht nur der große sozialistische Realist war, für den er immer herhalten musste“, sagt Haarmann.

Die Weihnachtsgans Auguste, dieses ganz und gar klassische, unsozialistische Märchen, ist dafür nur ein Beispiel. Und auch wenn man die nette kleine Geschichte kaum mit seinen heute noch brisanten Dramen vergleichen kann und darf – lesenswert ist sie in der Vorweihnachtszeit dennoch. Dass man an Weihnachten „eben doch etwas fürs Herze tun muss“, auch das ist schließlich zeitlos.

Weitere Informationen

Vom 6. bis 8. Dezember 2013 findet der fünfte Weihnachtsgans-Auguste-Markt auf dem neuen Schlossplatz Oranienburg statt, bei dem die Geschichte von Friedrich Wolf als Puppentheater aufgeführt wird
(Info-Telefon: 03301 / 600-8111).

Am 11. Dezember 2013 zeigt das Kino Toni in Berlin-Weißensee die Verfilmung der „Weihnachtsgans Auguste“ von 1988, mit Barbara Dittus und Dietrich Körner in den Hauptrollen, Regie: Bodo Fürneisen.