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Eine besonders enge Beziehung

28.11.2013

Verbindet Asien und Europa: Brücke über den Bosporus in Istanbul.

Verbindet Asien und Europa: Brücke über den Bosporus in Istanbul.
Bildquelle: fotolia/Rolf Langohr

Ein Interview mit dem Staats- und Völkerrechtler Philip Kunig über die von ihm mitgegründete Türkisch-Deutsche Universität

Im Oktober 2013 hat die Türkisch-Deutsche Universität (TDU) in Istanbul ihren Lehrbetrieb aufgenommen. In drei Bachelor- und drei Masterstudiengängen werden Studenten für ein Arbeitsleben an den Schnittstellen der Kooperation zwischen Deutschland und der Türkei ausgebildet. Die Freie Universität Berlin war an ihrem Aufbau maßgeblich beteiligt. Philip Kunig, Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Freien Universität, ist Vizepräsident des Konsortiums für Rechtswissenschaft an der Türkisch-Deutschen Universität und für die Konzeption des Studiengangs verantwortlich.

Herr Professor Kunig, welche Gründe gab es für die Einrichtung einer Türkisch-Deutschen Universität?

Die Türkei mag geografisch zu 97 Prozent in Asien liegen, kulturell verhält sich das anders. Die Türkei ist auch ein Bestandteil Europas. Deutschland und die Türkei stehen in einem ganz besonders engen Verhältnis zueinander. Ich bin sogar der Meinung, dass es kein vergleichbares Näheverhältnis gibt. Infolge des Anwerbeabkommens von 1961 kamen viele türkische Einwanderer in die Bundesrepublik, einige sind geblieben, andere sind wieder gegangen. Mittlerweile gibt es viele Familien, die bereits in der dritten Generation in Deutschland leben. Dies hat zu vielfältigen wirtschaftlichen Verflechtungen geführt: Investitionen deutscher Unternehmen in der Türkei, türkisches wirtschaftliches Engagement in Deutschland. Die Arbeit an den Schnittstellen zwischen beiden Ländern erfordert besondere berufliche Qualifikationen. Das betrifft das Arbeits- und Wirtschaftsleben, aber auch den privaten Bereich, also im Fall der Rechtwissenschaften beispielsweise das Familienrecht, das Erbrecht und das Aufenthaltsrecht. Diese engen Beziehungen bestehen und sind ganz unabhängig davon, ob und wie schnell eine förmliche Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union zustande kommt. Viele Menschen, die zwischen beiden Kulturen stehen, wollen sich in diesem Zwischenraum beruflich engagieren. Eine universitäre Kooperation, wie es sie ja mit vielen anderen Ländern schon gibt, war also längst überfällig.

Wie viele Studierende sind für das laufende Wintersemester an der TDU eingeschrieben?

In der gesamten TDU haben wir 122 Studierende. Davon sind 93 in den Vorbereitungsklassen, weil die Sprachausbildung natürlich Vorrang hat. In den Rechtswissenschaften sind sieben Studierende im regulären Lehrbetrieb und 35 in der vorbereitenden Sprachausbildung. Geplant war, 40 von 80 Studienbewerbern für Rechtswissenschaften zuzulassen. Das haben wir nicht ganz erreicht, aber insgesamt ist die Nachfrage erfreulich groß gewesen.

Wird komplett auf Deutsch gelehrt?

In den meisten Studiengängen wird das so sein, teilweise auch auf Englisch. Da aber Rechtswissenschaft eine in der Sprache sehr stark verhaftete Disziplin ist, braucht es Sprachexpertise. Wir bilden mit dem Ziel aus, die Absolventen vor allem für den türkischen Arbeitsmarkt zu befähigen, sei es als Anwalt, Richter oder in der Verwaltung. Dazu müssen zuallererst solide Kenntnisse des türkischen Rechts vermittelt werden, und das bedeutet: auf Türkisch! Die Kenntnisse des deutschen Rechts werden auf Deutsch vermittelt. Es gibt auch sprachneutrale Bereiche, etwa Völkerrecht, Europarecht, Staatsrecht und Kriminologie. Darüber kann man in irgendeiner Sprache reden, mit den gleichen Inhalten, denn die Inhalte sind weniger stark an die Sprache gebunden. Daraus hat sich ergeben, dass wir ungefähr 70 Prozent auf Türkisch unterrichten und 30 Prozent auf Deutsch. Das wiederum heißt konkret in diesem Semester: Drei deutschsprachige Dozenten lehren für einen qualifizierten Zeitraum in Istanbul; die Gastprofessoren stehen den Studierenden auch außerhalb der Lehrveranstaltungen zur Verfügung. An der TDU lehren derzeit ein weiterer Rechtswissenschaftler von der Freien Universität Berlin, ein Strafrechtler aus Augsburg und ich. Es geht übrigens nicht nur um die Unterrichtsanteile auch in deutscher Sprache, sondern auch um die inhaltliche Vermittlung deutschen Rechts zur Erlangung einer besonderen Qualifikation. Es geht also auch um den Umgang mit dem deutschen Recht und den Erfahrungen damit in der Wirklichkeit, also um die rechtsstaatlichen Dimensionen und Perspektiven.

Wie ist Ihr Eindruck von den ersten Wochen des Lehrbetriebs?

Hinsichtlich der Motivation und der Lern- und Aufnahmebereitschaft der Studierenden: uneingeschränkt positiv. Dazu trägt vielleicht auch bei, dass wir uns in der Pilotphase befinden. Den Studierenden war in meiner ersten Stunde „Verfassungsrecht“ klar, dass das wirklich die Stunde null war. Das hat vielleicht die Motivation erhöht. Die Studierenden merken, dass sie zu einem relativ kleinen Kreis gehören und möchten ihren Beitrag zum Gelingen dieses Projektes leisten.

Wird es ein Austauschprogramm mit der Freien Universität geben?

Nach Möglichkeit sollen alle Studierenden an der TDU die Chance auf einen Deutschlandaufenthalt bekommen, sobald sie einen Teil des Studiums hinter sich gebracht haben. Wir überlegen gerade, wann im Verlauf des Studiums der günstigste Zeitpunkt dafür ist. Die Studierenden werden dann an die Freie Universität Berlin oder an andere Universitäten kommen. Auch bezüglich Austauschpartnerschaften sind wir gerade im Gespräch.

Das Interview führte Mirko Lux