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Das Internet schreibt Geschichte

28.11.2013

Indische Fahrradtruppen im Juli 1916 in der Somme-Region. Forscher aus aller Welt wollen den Krieg nun aus globaler Sicht beleuchten. Ihre Erkenntnisse sind von 2014 an in einer Online-Enzyklopädie verfügbar.

Indische Fahrradtruppen im Juli 1916 in der Somme-Region. Forscher aus aller Welt wollen den Krieg nun aus globaler Sicht beleuchten. Ihre Erkenntnisse sind von 2014 an in einer Online-Enzyklopädie verfügbar.
Bildquelle: John Warwick Brook / Imperial War Museum

An der Freien Universität entsteht 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine Online-Enzyklopädie zum Thema

Es war ein Konflikt am Rande Europas, mit dem alles begann: In der damaligen bosnischen Hauptstadt Sarajevo erschoss der Student Gavrilo Princip am 28. Juni 1914 den Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand. Auch seine Gattin Sophie wurde getötet. Nur wenige Wochen später erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg, und eine unheilvolle Kettenreaktion kam in Gang: Innerhalb kurzer Zeit waren zahlreiche Nationen rund um den Globus in den Krieg verstrickt.

Schützengräben, Stellungskämpfe und die Rivalität zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien prägen das Bild in den Geschichtsbüchern bis heute. „Der wissenschaftliche Blick liegt traditionell auf der Westfront“, sagt der Historiker Oliver Janz, Professor am Friedrich-Meinecke-Institut (FMI) der Freien Universität Berlin. Vernachlässigt worden sei hingegen lange, wie sich der Krieg auf Osteuropa, Afrika, Asien, Lateinamerika und neutrale Staaten ausgewirkt hat.

Wenn sich der Kriegsausbruch im Sommer 2014 zum 100. Mal jährt, wird sich das ändern: Eine Online-Enzyklopädie mit internationalen Veröffentlichungen zum Ersten Weltkrieg soll erstmals den Geschehnissen auf der ganzen Welt gerecht werden. Gefördert wird sie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Die Leitung liegt bei Professor Oliver Janz und Professor Nicolas Apostolopoulos, Leiter des Centers für Digitale Systeme (CeDiS) der Freien Universität, die das Projekt gemeinsam mit der Bayerischen Staatsbibliothek München initiiert haben.

Netzwerk aus mehr als 1000 Fachleuten weltweit

Über Kontakte der Gründungsherausgeber – neben Oliver Janz Professorin Ute Daniel von der TU Braunschweig und Professor Alan Kramer vom Trinity College Dublin – ist innerhalb der vergangenen zwei Jahre ein Netzwerk von mehr als 1000 Fachleuten aus der ganzen Welt entstanden. Das Projekt stützt sich zudem auf 20 Partnerinstitutionen in zehn Ländern. Das Ergebnis wird imkommenden Jahr unter dem Titel „1914-1918-online“ frei im Internet zugänglich sein.

„Alle Dimensionen gesprengt“ habe das Projekt seit seinem Start, erzählt Oliver Janz. Die Zahl an Beteiligten und Kooperationspartnern sowie Artikeln sei weit über das geplante Maß angewachsen. Von Vorbehalten gegen die Publikationsformen „Online“ und „Open Access“ sei nichts zu spüren gewesen. „Angesichts der Anfragen, etwa vom Imperial War Museum in London, war es keine Frage, den ursprünglichen Kreis der Beteiligten zu erweitern.“ Auch aktuelle Forschergruppen aus der Schweiz, Italien und Portugal hätten in Berlin angeklopft, um teilzuhaben. Die Inhalte der Enzyklopädie könnten also frischer kaum sein, sagt Janz.

Das bestätigt Ruth Leiserowitz, stellvertretende Direktorin des Deutschen Historischen Instituts (DHI) in Warschau. Es ist wie die Deutschen Historischen Institute in London, Paris, Rom und Moskau und das Orient-Institut in Istanbul maßgeblich an dem digitalen Nachschlagewerk beteiligt. „Der Erste Weltkrieg ist in Polen kaum erforscht, sodass wir ein Projekt ins Leben gerufen haben, um diese Lücke zu schließen“, sagt Leiserowitz.

Drei Wissenschaftler erarbeiten in Warschauer Archiven neue Artikel, zum Großteil finanziert durch Drittmittel der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit. „Die Recherche ist eine Herausforderung, weil viele Bestände vor Ort verbrannt sind und etliche Mythen und Legenden über die Zeit existieren.“ Sie hofft, dass die Arbeit zu einem ausgeglichenen Blick auf West- und Ostfront führen wird. Zu einem späteren Zeitpunkt sollen die Artikel für Schüler auf Polnisch aufgelegt werden, denn die gesamte Enzyklopädie wird zunächst auf Englisch erscheinen. Die Arbeit an der Enzyklopädie habe das Interesse an dem Thema in Polen bereits jetzt emporschnellen lassen.

Noch fordert das Ausmaß des digitalen Nachschlagewerks alle Beteiligten: „Mehr als 1500 Texte mit Materialien und Verweisen anzureichern, ist eine große Herausforderung“, sagt Nicolas Apostolopoulos. Bilder,Videos und Querverweise zu Museen und Archiven müssen recherchiert und ins System eingepflegtwerden. Eine zusätzliche Verknüpfung zwischen Enzyklopädie und bibliothekarischem Katalogsystem erstellt die Staatsbibliothek München. Nutzer werden etwa von einem Artikel direkt zu einer zitierten Quelle navigieren können, sofern diese digitalisiert ist.

Offiziell vorstellen werden die Beteiligten die Enzyklopädie im Oktober 2014 in Brüssel. Bis dahin wird jeder Text zweimal von Fachleuten begutachtet und anschließend von der Redaktion für den Publikationsprozess vorbereitet, erläutert die Historikerin Ivonne Meybohm, die das Projekt am Friedrich-Meinecke-Institut koordiniert. Die redaktionellen Abläufe entsprechen den Standards wissenschaftlicher Fachmagazine, sodass alle Artikel zitierfähig sind. Organisiert werden die Aufgaben mit spezieller Software, die das CeDiS basierend auf langjähriger Erfahrung mit Online-Publikationen entwickelt hat.

Auch an den technischen Voraussetzungen für das Lesen mit E-Book-Readern und Tablet-Computern wird in Dahlem gefeilt, erläutert Nicolas Apostolopoulos: So könnten Interessierte aus aller Welt im nächsten Jahr auch von unterwegs auf das neue Werk zugreifen. Zum Stöbern angeregt werden sie durch semantischeNetztechnologien, die Sinnzusammenhänge zwischen Artikeln aufzeigen.

„Das Projekt wird am Anfang in erster Linie Wissenschaftler und Studierende ansprechen“, sagt Apostolopoulos. Perspektivisch soll es sich aber an ein breiteres Publikum richten, etwa an Museumsbesucher oder Schüler. In jedem Fall plädiert der E-Learning-Experte dafür, das Projekt über das Jahr 2014 hinausweiterzuführen: „Die Online-Enzyklopädie des Ersten Weltkriegs muss als ein fortdauernder Prozess verstanden werden, der anders als bei einem gedruckten Lexikon nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen ist.“

Im Internet

www.1914-1918-online.net

www.cedis.fu-berlin.de/cedi