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Digitale Lehre ist kein billiger Ersatz

19.02.2014

Über zwei Jahrtausende hinweg waren die technischen Hilfsmittel des akademischen Unterrichts dieselben: Tafel und Kreide, Papier und Stift. Die Lehrer der platonischen Akademie in Athen bedienten sich ihrer auf die gleiche Weise wie die Scholaren des Mittelalters und die Physikprofessoren des Atomzeitalters. Mittlerweile haben sich die Verhältnisse geändert – es ist eine rasante Beschleunigung bei der technischen Entwicklung neuer Unterrichtsmedien zu beobachten.

Die Universitäten des 21. Jahrhunderts arbeiten verstärkt mit digitalen Lehrformen: Podcasts und Videos ersetzen die traditionelle Vorlesung, virtuelle Kursplattformen und Chatrooms den direkten Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden. Mithilfe von „Massive Open Online Courses“ (MOOCs) erreichen Lehrveranstaltungen ein potenziell unbegrenzt großes Publikum. Das hat vielfach unrealistische Vorstellungen über die Universität der Zukunft in Gang gesetzt. Die Erwartung, dass man mit MOOCs Lehrpersonal einsparen und Kosten senken, Spitzenuniversitäten für alle öffnen und nebenbei auch noch die Unterrichtsqualität verbessern könne, ist irrig.

Die technischen Investitionen für digitale Lehrformen sind erheblich. Das Unternehmen „Coursera“, ein Anbieter-Netzwerk für universitäre Online- Kurse, hat 60 Millionen Dollar in den Aufbau seiner Lehrinfrastrukturen investiert; 30 Millionen Dollar gaben das Massachusetts Institute of Technology und die Harvard University für denselben Zweck aus. Auch die Folgekosten von MOOCs bleiben immens hoch: Vorlesungen müssen regelmäßig neu gefilmt und mit aktualisierten digitalen Hintergrundinformationen versehen, Plattformen unterhalten, Beratungsangebote online jeden Tag dauerhaft verfügbar gemacht werden. Wer glaubt, dass die virtuelle Lehre eine einfache Lösung für die Finanzprobleme einer Universität bietet, täuscht sich gravierend.

Wie kann man digitale Unterrichtsprogramme anbieten, ohne sich zu übernehmen und Qualitätsstandards zu unterlaufen? Die Freie Universität hat bereits vor mehreren Jahren E-Learning-Formate erfolgreich mit Präsenzlehre verbunden. Neuerdings entwickeln wir auch das Medium der Online-Vorlesung – mit einem Pilotversuch in der Erziehungswissenschaft. Dabei handelt es sich jedoch nicht um vollständig offene Veranstaltungen, sondern um ein Modell, das den Studierenden des Fachs Gelegenheit bietet, die digitale Version der Vorlesung zu nutzen.

Der Vorteil: Jeder kann seinem eigenen Lerntempo entsprechend Pausen einlegen, Zusatzinformationen abrufen und Tutoren in einem Chatroom Fragen zum Lernstoff stellen. So ermöglicht es das neue Medium, auf die individuellen Voraussetzungen und Bedürfnisse zugeschnittene Lernprozesse zu organisieren. Wir streben keinen Ersatz der alten Lehrformate an, sondern lediglich deren sinnvolle Ergänzung. Das direkte Gespräch zwischen Lehrenden und Studierenden ist unverzichtbar.

Gerade eine Spitzenuniversität kann es sich nicht leisten, auf das zu verzichten, was zum akademischen Lehrbetrieb wesentlich gehört: die Begegnung von Menschen mit unterschiedlichen intellektuellen, sozialen und ethnischen Erfahrungshintergründen. Die Freie Universität wird keine Fernuniversität; sie geht mit einem gut balancierten Konzept aus Präsenzlehre und E-Learning den Weg in die Zukunft.

Der Autor ist Präsident der Freien Universität Berlin.