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Hände hoch und raus mit der Sprache!

19.02.2014

Schluss mit Haareraufen beim Vokabellernen: Schüler der Didaktikerin Michaela Sambanis benutzen die sogenannte Loci-Technik: Sie merken sich Wörter in Fremdsprachen leichter, indem sie eine Bewegung mit dem Begriff verknüpfen.

Schluss mit Haareraufen beim Vokabellernen: Schüler der Didaktikerin Michaela Sambanis benutzen die sogenannte Loci-Technik: Sie merken sich Wörter in Fremdsprachen leichter, indem sie eine Bewegung mit dem Begriff verknüpfen.
Bildquelle: Christine Boldt

Professorin Michaela Sambanis verbindet Fremdsprachendidaktik mit Neurowissenschaft. Bewegung und Emotionen spielen dabei eine besondere Rolle.

Die gute Nachricht vorweg: Unser Gehirn ist ein Allesfresser. „Es lernt eigentlich ununterbrochen“, sagt Didaktik-Professorin Michaela Sambanis. Die Region im Gehirn, die ständig Ausschau nach neuen und interessanten Reizen hält, heißt Hippocampus und wird auch als „Neuigkeitsdetektor“ bezeichnet. Von den vielen Reizen, denen wir ständig ausgesetzt sind, filtert er nur bestimmte zur Vernetzung im Gehirn heraus. „Was uns angenehm ist, hat deutlich bessere Chancen, weiterverarbeitet zu werden“, sagt die Professorin der Freien Universität. Genau entgegengesetzt verhält es sich bei negativen Gefühlen, etwa wenn wir beim Lernen unter zu großem Druck stehen. „Bei der Wiedergabe des Gelernten erinnert sich das Gehirn an die mit dem Lernen verbundenen negativen Emotionen“, sagt Sambanis – und schiebe diese eher in den Hintergrund. Eine evolutionsbedingte Schutzfunktion, die dazu führt, dass wir uns an Lerninhalte, die mit negativen Emotionen verbunden sind, weniger gut erinnern als an positive.

So konnten Neurowissenschaftler nachweisen, dass der Anblick eines Hundewelpen-Fotos beim Lernen von neuen Vokabeln zu besseren Lernergebnissen führt als der vergleichsweise beängstigende Anblick eines Hai-Bildes. Der Einfluss von Gefühlen auf das Lernen ist allerdings ein Grundphänomen und nicht auf das Sprachenlernen begrenzt. Michaela Sambanis überprüft die Erkenntnisse der Neurowissenschaften auf ihre Praxistauglichkeit für den Fremdsprachenunterricht. Ihr großer Vorteil: Die Didaktikerin verknüpft wissenschaftliches Arbeiten mit ihren Erfahrungen aus einer langjährigen Tätigkeit als Lehrerin. Nach ihrer Habilitation im Jahr 2006 und mehr als zehn Jahren im Schuldienst übernahm Michaela Sambanis die Projektleitung am Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen in Ulm. Seit 2011 ist sie Professorin für Didaktik am Institut für Englische Philologie der Freien Universität.

Wer das Gelernte mit etwas Positivem verknüpft, behält es besser

Michaela Sambanis, seit 2011 Professorin an der Freien Universität.

Michaela Sambanis, seit 2011 Professorin an der Freien Universität.
Bildquelle: A. Middeldorf

„Zu den Neurowissenschaften bin ich aus purer Neugier gekommen“, sagt die 43-Jährige. Sie wollte verstehen, wie das Gehirn lernt und dieses Wissen im Fremdsprachenunterricht einsetzen. Mittlerweile hat sie eine Reihe von Studien zur Schnittstelle von Neurowissenschaften und Fremdsprachendidaktik gemacht. Translationale Forschung nennt sich der Bereich zwischen Theorie und Praxis, in dem sich Sambanis im Unterricht und in der Lehre neurowissenschaftlicher Erkenntnisse bedient. Um positive Gefühle mit Lerninhalten zu verbinden, genügten oft einfache Mittel, sagt Michaela Sambanis: So könnten schon humorvoll illustrierte Lehrmaterialen einen enorm positiven Effekt auf das Memorieren haben – gerade bei jungen Menschen, die Sprachen lernten. Bunte und lustige Bilder erzeugten jene guten Gefühle im Gehirn, die allerdings nicht bewusst steuerbar seien.

Unser Gehirn sei für das Lernen von Sprachen wegen der klaren Regeln und wiederkehrenden Muster eigentlich bestens geeignet, sagt Michaela Sambanis. Das mag aus der Sicht eines Neurowissenschaftlers gut klingen – auf denjenigen, der eine Sprache zu lernen versucht, wirken Konjugationstabellen und Grammatikregeln aber nicht selten abschreckend. Sambanis empfiehlt für diesen Fall, eine weitere Vorliebe unseres Gehirns zu nutzen: das Verknüpfen von Dingen mit Orten, die sogenannte Loci-Technik. Unbewusst bedienen wir uns auch im Alltag dieser Methode, etwa wenn wir beim Schreiben der Einkaufsliste gedanklich den Supermarkt durchlaufen oder auf der Suche nach einem verlorenen Schlüssel an die Stelle zurückkehren, an der wir ihn das letzte Mal in der Hand hielten. Auf diese Weise lassen sich auch als lästig empfundene Verbkonjugationen mit Bewegungen verbinden, zum Beispiel indem man Kopf, Nase oder Ohr beim Erlernen einer bestimmten Verb-Endung berührt. „Das Gehirn verbindet diese Konjugation dann mit dem Körperteil. Das macht es leichter, das Gelernte später wieder abzurufen“, sagt Michaela Sambanis. Durch die Bewegung beim gleichzeitigen Nennen der Verben wird für das Gehirn gewissermaßen ein neuer Knotenpunkt generiert.

Bei Michaela Sambanis’ Schülern hatte die Methode Erfolg: Statt sich die Haare zu raufen, fassten sie sich bei Klausuren regelmäßig an Ohr, Nase oder Schulter, um das quasi dort gespeicherte Grammatikwissen abzurufen. „Ich erkläre meinen Schülern und Studenten, wie das Lernen im Kopf abläuft und warum wir bestimmte Übungen machen“, sagt Sambanis. Dass es in ihrem Unterricht auch mal theatralisch zugeht, ist gewollt – zumindest, wenn Übungen aus der Dramapädagogik auf dem Stundenplan stehen. Ähnlich wie bei kleinen Theaterstücken lernen die Schüler hier einen spielerisch-kreativen Umgang mit der Fremdsprache kennen, indem sie etwa Szenen aus der englischen Literatur spielen. „Sprache besteht nicht nur aus dem gesprochenen Wort, sondern aus Blicken, Körperhaltung und Bewegung“, sagt die Didaktikerin. Ihre Studien belegen, dass Bewegungslernen im Fremdsprachenunterricht besonders gute Lernerfolge bringt. Bewegung sei nicht nur ein Grundbedürfnis unseres Körpers, sondern aktiviere auch verschiedene Hirnareale, sagt Michaela Sambanis: „Damit kann Sprachenlernen fast nebenbei passieren und ist für unser immer hungriges Gehirn geradezu ein Leckerbissen.“