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Preußens heimlicher Kultusminister

19.02.2014

Zahlreiche wissenschaftliche Talente förderte Friedrich Althoff (1839-1908) in seiner 25-jährigen Amtszeit in Berlin.

Zahlreiche wissenschaftliche Talente förderte Friedrich Althoff (1839-1908) in seiner 25-jährigen Amtszeit in Berlin.
Bildquelle: Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem

Vor 175 Jahren wurde Friedrich Althoff geboren: Er etablierte Dahlem als Wissenschaftsstandort ersten Ranges

Er arbeitete unermüdlich, war rastlos und umtriebig – und obwohl er nie ein politisches Amt bekleidete, galt er als Preußens heimlicher Kultusminister. Friedrich Althoff, dessen Geburtstag sich am 19. Februar zum 175. Mal jährte, wirkte entscheidend daran mit, dass die Wissenschaft im deutschen Kaiserreich weltweite Strahlkraft entfaltete und Berlin- Dahlem heute national und international zu einem der bedeutendsten Wissenschaftsstandorte zählt. Nach der deutschen Reichsgründung 1871 avancierte das Agrarland innerhalb von 30 Jahren zur zweitgrößten Industrienation.

Bildung und Wissenschaft wurden als Produktionsfaktor entdeckt und Naturwissenschaft und Technik entscheidend gefördert. Um die Wende zum 20. Jahrhundert war Deutschland, allen voran Preußen, Weltzentrum der Wissenschaft, unangefochten in vielen Naturwissenschaften, in denen Deutsch über Ländergrenzen hinweg Verkehrssprache war. „Der Ministerialdirektor Friedrich Althoff galt als allgewaltig und trug maßgeblich dazu bei, dass Wissenschaft und Technik im Kaiserreich Weltstandard repräsentierten“, sagt Dieter Hoffmann von dem in Dahlem ansässigen Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte.

Der Jurist Althoff, 1839 in Dinslaken am Niederrhein geboren, wurde 1882 nach Berlin berufen. Er wirkte 25 Jahre lang unter fünf Ministern, und sein Ressortwuchs beständig: Es umfasste die gesamte Hochschullandschaft, die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, das höhere Schulwesen, Kunst- und Denkmalpflege, Bibliotheken und das Medizinwesen. Bei Kaiser Wilhelm II. hatte er ein direktes Vortragsrecht, und auch nach Ausscheiden aus dem Dienst 1907 blieb er ständiger Berater.

Für das staatliche Domänengelände Dahlem hatte Althoff weitreichende Pläne: Es sollte zu einem „deutschen Oxford“ werden. Und wäre es nach ihm gegangen, so wäre die Berliner Friedrich- Wilhelms-Universität vom Zentrum Berlins nach Dahlem verlegt worden, zumindest ihre naturwissenschaftlichen Einrichtungen. Daraus sollte zwar nichts werden, doch schuf Althoff die Grundlage für das bis heute typische Gemisch von Villen und Wissenschaft in Dahlem.

Als um die Wende zum 20. Jahrhundert für Preußens berühmtestes Krankenhaus, das Universitätsklinikum Charité, umfangreiche Um- und Neubauten anstanden, wurden Althoff die veranschlagten Mittel von rund zehn Millionen Reichsmark vom Finanzministerium verweigert.

Die Lösung fand Althoff mit der Verlegung des Botanischen Gartens. Das Grundstück des in das 17. Jahrhundert zurückreichenden Botanischen Gartens in Schöneberg war ohnehin zu klein geworden. Von den 15 Millionen Reichsmark Erlös aus dem Verkauf des innerstädtischen Geländes wurde die Charité umgebaut und erweitert. Das Geld bildete außerdem den Grundstock, um den Königlichen Botanischen Garten und das Botanische Museum (BGBM) auf dem Domänengelände anzulegen und als wissenschaftliches Zentrum auszubauen.

Angrenzend wurde ein Pharmazeutisches Institut aufgebaut. 1889 ernannte Althoff Adolf Engler zum Direktor des BGBM; der Kustos Ignatz Urban wurde Stellvertreter. Englers und Urbans Arbeit und internationale Kontakte prägen den Stellenwert der Einrichtung in der wissenschaftlichen Welt bis heute.

Wegen ständiger Finanzzwänge des Kaiserreichs setzte Friedrich Althoff auf Schwerpunkte an den Universitäten, etwa in Berlin auf Altertumswissenschaften und Geschichte. Mit Blick auf die USA erkannte er die Bedeutung von industriellen und privaten Geldgebern: Die Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), in denen Koryphäen ihres Fachs forschten, waren in der Regel privat finanziert.

Die KWG und die ersten drei Institute wurden nach Althoffs Plänen 1911 in Dahlem gegründet. „Mit der Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ist Dahlem zu einem Synonym für wissenschaftliche Exzellenz und Forschung erster Klasse geworden“, sagt Dieter Hoffmann. „Auch heute ist Dahlem wieder weltweit bekannt und national wie international ein hoch anerkannter Forschungsstandort, nach der Zeit des Nationalsozialismus und dem existenziellen Mangel der Nachkriegszeit.“

In Dahlem betreibt die Max-Planck-Gesellschaft als Nachfolgerin der KWG vier Institute, und hier ist die Freie Universität angesiedelt, die einige der historischen Wissenschaftsgebäude nutzt.

Friedrich Althoff umgab sich in seiner Arbeit mit einem Stab von Beratern und einem Netzwerk von Vertrauensleuten; er versuchte, Entscheidungen in seinem Sinne durch informelle Gespräche und persönlichen Einfluss durchzusetzen. Das betraf auch Berufungen: So wurde der Bakteriologe Emil Behring 1895 gegen den Willen der Universität Marburg als Direktor des dortigen Hygienischen Instituts berufen.

Althoff ließ für den Mikrobiologen Robert Koch 1891 ein staatliches Institut zur Erforschung von Infektionskrankheiten einrichten, für den Mediziner Paul Ehrlich 1896 ein Institut zur Arzneimittelkontrolle. Die Nobelpreise für Emil Behring 1901, für Robert Koch 1905 und für Paul Ehrlich 1908 sollten Althoff in der Sache recht geben. Insgesamt gingen bis zum ErstenWeltkrieg 14 Nobelpreise für wissenschaftliche Entdeckungen und Werke nach Deutschland.

Das persönliche Beziehungsgeflecht des Ministerialdirektors aber wurde berüchtigt als „System Althoff“, wie es der Soziologie Max Weber (1864-1920) kritisch nannte. „Althoff war unter seinen Zeitgenossen umstritten“, konstatiert Hoffmann, „wegen seines autokratischen Führungsstils und der Rücksichtslosigkeit, mit denen er seine forschungspolitischen Ziele zuweilen durchsetzte.“ Doch selbst der scharfzüngige Kritiker Max Weber resümierte nach dem Tod Althoffs, dieser sei „ein wirklich guter Mensch im spezifischen Sinne des Wortes“ gewesen, dem „die deutschen Universitäten Dinge verdanken, die in gewissem Sinne unsterblich sind“.

Friedrich Althoff starb 1908, ein Jahr, nachdem er aus gesundheitlichen Gründen aus dem Dienst ausschied. Auf seinen Wunsch liegt die Grabstätte der Eheleute Althoff – seine Gattin sollte ihn um 17 Jahre überleben – auf dem Gelände des Botanischen Gartens, der heute zur Freien Universität gehört.

Zum 175. Geburtstag ließ der Dinslakener Bürgermeister Dr. Michael Heidinger einen Gedenkstein fertigen, um des bedeutenden Sohnes der Stadt zu gedenken. Althoffs Grabstein zieren die drei letzten Wörter eines seiner Leitsprüche: „In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas“ – Im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem Liebe. So mag es die Liebe zur Wissenschaft gewesen sein, die Friedrich Althoff zum umtriebigen Machtpolitiker werden ließ.