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Die real existierende Inszenierung

19.02.2014

In den 40 Jahren DDR-Historie spielte die Leipziger Industrie- und Konsumgütermesse eine bedeutende Rolle in der Innen- und Außendarstellung des sozialistischen Staates.

In den 40 Jahren DDR-Historie spielte die Leipziger Industrie- und Konsumgütermesse eine bedeutende Rolle in der Innen- und Außendarstellung des sozialistischen Staates.
Bildquelle: Leipziger Messe/Zimmermann

Kommunikationswissenschaftlerin untersucht, wie die DDR-Führung mithilfe der Leipziger Messe ihre Wirtschaftskraft ins beste Licht gesetzt hat

„Brückenschlag zwischen Ost und West“ lautet ein Programmschwerpunkt der diesjährigen Leipziger Buchmesse, die traditionell kurz vor Frühlingsbeginn stattfindet. Dass in diesem Titel auch die jüngere Vergangenheit des geschichtsträchtigen Messegeländes anklingt, ist wohl den wenigsten Besuchern bewusst: In den 40 Jahren DDR-Historie spielte die Leipziger Industrie- und Konsumgütermesse eine bedeutende Rolle in der Innen- und Außendarstellung des sozialistischen Staates.

„Für die SED-Führung war die Leipziger Messe eine ideale Plattform, um die Wirtschaftskraft der DDR zu demonstrieren – und damit auch das Funktionieren des politischen Systems“, sagt Astrid Otto. Die Dozentin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin hat kürzlich ihre Promotion über die Öffentlichkeitsarbeit in der DDR am Beispiel des Leipziger Messeamts abgeschlossen.

Die Messe sollte im Ausland für Technik und Industrie der DDR werben

Die Leipziger Frühjahrs- und Herbstmesse zog alljährlich Aussteller, Journalisten und Besucher aus zahlreichen Ländern und politischen Systemen an und habe sich daher hervorragend zur Eigendarstellung der DDR geeignet, sagt Astrid Otto – vor allem im „kapitalistischen Ausland“. Das Ziel der PR-Tätigkeiten im Rahmen der Leipziger Messe war es, die sogenannten Außenhandelsbetriebe aus der Schwer- und Technologieindustrie in den Fokus zu rücken. An ihrem Beispiel wollte man die internationale Konkurrenzfähigkeit beweisen, vor allem gegenüber der Bundesrepublik Deutschland.

Astrid Otto hat mit ihrer Dissertation Pionierarbeit geleistet – denn bisher gab es noch keine empirisch gestützte Forschung aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive zur Öffentlichkeitsarbeit in der DDR. „Dabei war der Medienlenkungsapparat der DDR ein faszinierendes System, das sowohl von innenpolitischen Ereignissen, wie etwa dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker, als auch von externen Faktoren, wie dem Mauerbau, beeinflusst wurde“, erläutert die 40-jährige Wissenschaftlerin.

In den 1950er Jahren hatte die Presseabteilung zunächst noch ein Mitspracherecht bei der inhaltlichen Ausrichtung der Messe und bei den PR-Tätigkeiten. Die Messe war in jener Zeit zwar zu einem volkseigenen Betrieb umstrukturiert worden, durfte aber noch weitgehend autonom arbeiten. Astrid Otto betont: „Die Leipziger Messe gehört zu den Vorreitern auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit. In den 1920er Jahren wurde hier eine der ersten Werbe- und Presseabteilungen Deutschlands gegründet.“

Mit dem Bau der Mauer im Jahr 1961 änderte sich die Situation schlagartig: Der gesamte Messebetrieb – die Aussteller- und Besucherorganisation, die Exponate, die Pressearbeit – wurde von Januar 1962 an zur Chefsache erklärt. Alle PR-Tätigkeiten mussten zunehmend mit Steuerungs- und Kontrollinstanzen bis hin zum Politbüro abgestimmt werden.

„So ergab sich die skurrile Situation, dass seit den 1970er Jahren nicht einmal der Leiter der Werbe- und Presseabteilung die Arbeitsrichtlinien genau kannte“, sagt Astrid Otto, „denn diese unterlagen strenger Geheimhaltung und wurden ausschließlich mündlich weitergegeben.“

Die Pressearbeit der Leipziger Messe und weitere Betriebsabläufe rekonstruierte die Wissenschaftlerin anhand von zahlreichen einzelnen Dokumenten und Zeitzeugengesprächen. „Ende der 1970er Jahre, unter Zentralkomitee-Generalsekretär Erich Honecker, war die Kaderpolitik dann so weit fortgeschritten, dass man von einer einstudierten Selbstzensur der Presse sprechen kann und eine aktive Medienlenkung kaum noch nötig war. Bei den wichtigsten inländischen Medien wie der ,Aktuellen Kamera‘ und dem ,Neuen Deutschland‘ wurde nicht mehr kritisch hinterfragt.“

Ausländische Journalisten stellten oftmals auch unbequeme Fragen

Ausländische Medien zur gewünschten positiven Berichterstattung zu lenken, war zwar schwieriger, aber trotzdem möglich. Einerseits gab es Medien, die von ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der DDR nicht abzubringen waren. Ein Team der Deutschen Welle etwa musste 1973 die Frühjahrsmesse frühzeitig wegen ihrer kritischen Berichterstattung verlassen. Ausländische Journalisten, die die Messe-Pressekonferenz für unbequeme Fragen nach der Mauer und den Flüchtlingen nutzten, wurden mit dem Hinweis auf andere Zuständigkeiten übergangen.

Andererseits stieß die Pressearbeit bei vielen anderen – vor allem linksgerichteten – ausländischen Medien auf fruchtbaren Boden: „Diese Publikationen hatten ein Interesse daran zu zeigen, dass ein Land auch mit der Ideologie des Marxismus-Leninismus, vor allem ein Land mit Planwirtschaft, erfolgreich sein kann. Damit wurde die Erwartung ihrer Leser bedient“, sagt Otto. Dass die im Ausland beworbenen Erzeugnisse aus Betrieben wie der Meißner Porzellanmanufaktur oder Carl Zeiss Jena in der DDR selbst nicht angepriesen wurden, um keine unstillbaren Bedürfnisse zu wecken, war den West-Konsumenten jedoch selten bewusst.

Insgesamt konnte die Presseabteilung der Leipziger Messe die vorgegebenen Ziele zumeist erreichen: „Das Bild von der DDR-Wirtschaft und den innerdeutschen Handelsbeziehungen war auch in kapitalistischen Ländern stellenweise positiv geprägt“, sagt die Wissenschaftlerin. Die PR-Tätigkeit der Leipziger Messe als exponierte Plattform der Wirtschaft sei so überzeugend gewesen, dass häufig selbst führende DDR-Staatsorgane an die florierende Planwirtschaft glaubten. „Sie waren so weit von den Bedürfnissen der DDR-Bürger entfernt“, sagt Astrid Otto, „dass sie die mediale Inszenierung als Realität wahrnahmen.“