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Ein Hauch von Hollywood im Henry-Ford-Bau

11.04.2014

Zwei Tage lang trieb ein Auftragskiller sein Unwesen auf dem Campus der Freien Universität

Verwirrung macht sich unter den Studierenden breit, die an diesem Montagmorgen auf ihrem Weg in die Bibliothek am Henry-Ford-Bau der Freien Universität vorbeigehen: Der große Ehrenhof an der Boltzmannstraße ist abgesperrt – vor dem Gebäude steht ein Pförtnerhaus mit hohen Gittertoren, flankiert von einem Dutzend Überwachungskameras. Dahinter prangt eine amerikanische Fahne von beachtlicher Größe.

Wer sich näher heranwagt, kann durch die große Fensterfront einen Blick in das Foyer erhaschen. Auch das hat sich gewaltig verändert: Die Fotogalerie mit den Portraits prominenter Persönlichkeiten im ersten Stock ist abgehängt, dafür sind Metalldetektoren im Eingangsbereich aufgestellt, die in einen Wartebereich leiten. „American Citizen Services“ steht auf einem Schild über dem Eingang. Hat sich das Konferenz- und Hörsaalgebäude der Freien Universität über Nacht in eine amerikanische Botschaft verwandelt?

Noch skurriler gestaltet sich die Szenerie nach Einbruch der Dunkelheit, als sich die letzten Studierenden wieder auf den Heimweg machen: Gleißende Flutlichter auf dem Dach des Gebäudes beleuchten den eingezäunten Hof, Männer in Militäruniformen stehen Wache. Plötzlich hört man laute Rufe – Schüsse fallen.

Angeblich wurde ein glatzköpfiger Auftragskiller mit einem auf den Nacken tätowierten Strichcode auf dem Campus der Freien Universität gesichtet. Eine Szene wie aus einem Hollywood-Actionstreifen. Und so ist es tatsächlich: Zwei Tage lang wurden der Henry-Ford-Bau und das Gebäude der Wirtschaftswissenschaftler in der Garystraße zum Filmset des Blockbusters „Agent 47“, eine Verfilmung der Videospielreihe „Hitman“.

Das Staraufgebot auf dem Campus war entsprechend hoch. Mit etwas Glück bekam man Hauptdarsteller Rupert Friend live zu sehen, der aus der Serie „Homeland“ bekannt ist und in dem Film „Agent 47“ die Rolle des namenlosen Profikillers übernommen hat.

Auch Schauspielerkollege Zachary Quinto, der im jüngsten „Star Trek“-Film zu sehen war, ist mit von der Partie. Den Bösewicht verkörpert nach alter Hollywood-Manier ein deutscher Schauspieler: Thomas Kretschmann scheint eine Vorliebe für düstere Rollen zu haben, wie sich bereits in „Der Untergang“ und „Rothenburg“ zeigte.

Doch was hat die Stars und das internationale Filmteam gerade an die Freie Universität gelockt? Gesucht wurde ein Gebäude im Stil einer originalen amerikanischen Botschaft, erzählt der Locationscout, der sich in ganz Berlin auf die Suche nach dem passenden Drehort für die Actionszene gemacht hat.

Der Henry-Ford-Bau sei als repräsentatives Gebäude mit ein paar Jahren auf dem Buckel die beste Wahl gewesen. Die Illusion eines amerikanischen Konsulats scheint dank der Bühnenbauer perfekt. Doch nicht alle verräterischen Hinweise auf den wahren Charakter des Gebäudes lassen sich verdecken: Der große, historische Schriftzug „Freie Universität Berlin“ an der Fassade muss später digital wegretuschiert werden.

Während die Bühnentechniker am zweiten Drehtag alle Spuren der fiktiven amerikanischen Botschaft im Handumdrehen beseitigen und der Henry-Ford-Bau wieder seine gewohnte Funktion erhält, wird das Gebäude der Wirtschaftswissenschaftler nebenan von einer Truppe Soldaten eingenommen, die mit Maschinenpistolen durch den Gang patrouillieren.

Die schaulustigen Studierenden scheinen sich dabei nicht an der Invasion ihrer Lehrräume zu stören – im Gegenteil. Nach Drehschluss zieht das 130-köpfige Filmteam weiter. Die Lastwagen des riesigen Fuhrparks, der bis dahin den Parkplatz vor der vegetarischen Mensa gänzlich ausgefüllt hatte, ziehen von dannen. Der nächste Drehort: Singapur. Auf dem Campus kehrt wieder Normalität ein. Eine Diva ist die Freie Universität, trotz ihrer filmischen Glanzleistung, schließlich nicht.