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Der Brückenbauer

Der Judaist Peter Schäfer wird Leiter des Jüdischen Museums zu Berlin

Peter Schäfer, einer der bedeutendsten Judaistik- Experten für die Zeit der Antike und des frühenMittelalters, wird das Jüdische Museum leiten.

Peter Schäfer, einer der bedeutendsten Judaistik- Experten für die Zeit der Antike und des frühenMittelalters, wird das Jüdische Museum leiten.
Bildquelle: Jüdisches Museum Berlin, Yves Sucksdorff

Wäre das Institut für Judaistik der Freien Universität Berlin eine Person, so würde es das Jahr 2014 als eines der Freude und des Feierns in Erinnerung behalten. Nicht nur, dass es – 1964 als erstes seiner Art in der damaligen Bundesrepublik gegründet – im Juni seinen 50. Geburtstag begehen konnte: Mit Professor Peter Schäfer leitet von September an auch einer seiner prägenden Institutsdirektoren das Jüdische Museum Berlin.

Der 70-Jährige stand dem renommierten Institut für Judaistik der Freien Universität von 1983 bis 2003 vor. Die letzten fünf Jahre dieser Zeit pendelte er zwischen Dahlem und der amerikanischen Elite-Universität Princeton, die ihn 1998 ebenfalls berufen hatte. Schäfer, der die Leitung des Jüdischen Museums vom 88-jährigen W. Michael Blumenthal übernimmt, empfindet das neue Amt als große Ehre.

Seine Verbindung zum Institut der Freien Universität will er für seine künftige Aufgabe nutzen. Es sei kein Zufall, dass ausgerechnet die 1948 gegründete Hochschule Pionierin der Judaistik in Deutschland wurde, sagt Schäfer. Sie sei damals schließlich eine der wenigen deutschen Universitäten gewesen, die erst nach der NS-Zeit entstanden waren. Der Gründungsdirektor des Instituts, Religionssoziologe und Judaist Jacob Taubes, kam aus den USA, zu der die Freie Universität Berlin seit ihrer Gründung eine besondere Beziehung pflegt.

Mit aller Kraft wehrte sich Schäfer deshalb in seiner Zeit als Institutsdirektor gegen Bestrebungen, das Institut nach der Vereinigung Deutschlands der Humboldt- Universität zuzuschlagen. „Die Judaistik gehört zur Freien Universität, sie ist Teil ihrer Geschichte und Teil dessen, was diese Universität ausmacht“, sagt der Forscher, zu dessen Schwerpunkt die Judaistik der Spätantike gehört. Eine Epoche, in der die entscheidenden Werke wie die beiden Talmude und der Midrasch entstanden, die Auslegung religiöser Texte im rabbinischen Judentum. „Sie definieren das Judentum bis heute“, sagt Schäfer, der sein Forscherleben in den Dienst des Verständnisses dieser Werke stellte.

Unter seiner Ägide erlebte das Institut eine Blüte: Unermüdlich kämpfte Schäfer um Mittel und baute die Anzahl der Professuren auf drei aus – lange Zeit war die Berliner Judaistik damit die bestausgestattete in Deutschland, entsprechend breit waren ihre Forschung und Lehre aufgestellt. Immer mehr Studierende und Lehrende strömten an das Berliner Institut mit Weltruf, auch solche aus Israel, die Deutschland aus historischen Gründen bis dahin skeptisch gegenüber gestanden hatten.

„Kein Judaist kommt heute mehr an den Arbeiten aus dem Berliner Institut vorbei“, sagt Schäfer. Dass es unter seiner Leitung des Jüdischen Museums eine Zusammenarbeit mit dem Dahlemer Institut geben werde, sei bereits ausgemachte Sache, sagt der hochdekorierte Forscher, der nicht nur als einziger Deutscher je in Princeton einen Lehrstuhl für Judaistik innehatte, sondern auch als einziger sowohl Träger des Leibniz-Preises ist als auch des amerikanischen Mellon Distinguished Achievement Award, der höchsten Ehrung für Geisteswissenschaftler in den USA.

In der Vergangenheit sei die Kooperation beider Institutionen „eher lose“ gewesen. Zwar hätten sich viele Judaistik- Studierende als Museumsführer betätigt und Professoren hin und wieder bei Ausstellungen das Museum beraten, doch sei dies sehr sporadisch geschehen. Das Museum wünsche sich eine stärkere Kooperation, sagt Schäfer, nicht nur mit dem Institut für Judaistik, sondern „mit der reicher gewordenen judaistisch-jüdischen Landschaft in Berlin-Brandenburg“.

Eine denkbare Schnittstelle könnte die kürzlich gegründete Akademie des Museums sein, deren Aufgabe es ist, die wissenschaftliche Seite des Hauses zu stärken. Sorgen, das Museum und dessen Ausstellungen würden durch die Verbindung zur Universität zu akademisch oder kopflastig, hat der Judaist nicht. Im Gegenteil: Die anstehende Neukonzeption der Dauerausstellung könne von den wissenschaftlichen Impulsen profitieren; davon ist Schäfer überzeugt Und die Forscher wären gezwungen, ihre Erkenntnisse auch einem nichtakademischen Publikum zu vermitteln. Gerade in den USA, sagt Schäfer, habe er hautnah erleben können, wie gut der wechselseitige Austausch tue.

Durch seinen wissenschaftlichen Lebenslaufwerde es ihm hoffentlich gelingen, beide Seiten „zu verheiraten“: die Tiefendimension mit der allgemeinen Verständlichkeit. Vermutlich ist dies einer der Gründe, warum man Peter Schäfer für den renommierten Posten ausgewählt hat, in dem W. Michael Blumenthal große Fußspuren hinterlassen hat.

Dem Dahlemer Institut fühlt sich Schäfer auch mehr als zehn Jahre nach seinem Ausscheiden noch verbunden. Nicht nur, dass er stets Kontakt nach Berlin hielt, auch ein gewisser Stolz ist unüberhörbar: Als deutsches Institut habe es die Berliner Judaistik immer schwerer gehabt als vergleichbare Einrichtungen im Ausland, denn Publikationen und Erkenntnisse aus Berlin seien stets mit Vorbehalt betrachtet worden. Das sei Schäfer erst in Princeton klar geworden, wo er sich plötzlich als Forscher befreiter fühlte, weil in dem politischen Klima in den USA nicht jede Publikation auf möglichen latenten Antisemitismus abgeklopft werde.

In Deutschland hingegen war Schäfer noch bei der Verteidigung seiner Dissertation über den Heiligen Geist in der jüdischen Literatur gefragt worden, ob er mit seinem christlichen Hintergrund überhaupt über ein solches Thema unvoreingenommen forschen könne. Er parierte damals mit einem Zitat von Jacob Taubes, der gesagt hatte, man müsse ja auch kein Dreieck sein, um Mathematiker zu werden. „Eine solche Frage“, sagt Schäfer, „würde in den USA niemand stellen.“