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„Engagement lohnt sich – gerade jetzt“

Das Moskauer Büro der Freien Universität ist Mittler für die Beziehungen der Hochschule zu russischen Wissenschaftseinrichtungen

Die Freie Universität Berlin blickt auf eine jahrzehntelange Tradition der Beziehungen zu russischen Partnerinstitutionen zurück.

Die Freie Universität Berlin blickt auf eine jahrzehntelange Tradition der Beziehungen zu russischen Partnerinstitutionen zurück.
Bildquelle: Tobias Stüdemann

Der Ukraine-Konflikt droht, sich zu einem neuen Kalten Krieg zwischen Europa und Russland auszuweiten. Schwierige Zeiten, auch für wissenschaftliche Beziehungen. Die Freie Universität Berlin pflegt seit Anfang der 1960er Jahre Kontakte zu russischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Und die Arbeit mit den Partnern in Russland soll fortgesetzt werden – trotz oder gerade wegen der Spannungen. Christa Beckmann sprach mit Tobias Stüdemann, dem Leiter des Verbindungsbüros der Freien Universität in Moskau, über doppelte Abschlüsse, zaghaften Austausch und russische Bürokratie.

Herr Stüdemann, wie belasten die politischen Spannungen die wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland?

Auf internationaler Ebene gibt es zwischen den Wissenschafts- und Mittlerorganisationen eine neue Qualität der Diskussion. Während vorher die wissenschaftliche Seite im Vordergrund stand, geht es jetzt auch um die politische Haltung. Das ist bis auf die Ebene der einzelnen Einrichtungen zu spüren. Die eigentliche Forschung ist dadurch nicht gefährdet, aber die Krise ist natürlich konstantes Thema. Und vereinzelt wurden auch Kontakte von Seiten deutscher Professoren eingeschränkt und Veranstaltungen abgesagt.

Russland war in den 1960er Jahren eines der ersten Länder hinter dem sogenannten Eisernen Vorhang, mit denen die Freie Universität wissenschaftliche Kontakte aufgenommen hat. Damals waren die politischen Beziehungen auch nicht einfach.

Das ist richtig. Und an der Zusammenarbeit wurde trotzdem festgehalten. Nach dem Ende des Kalten Krieges hatten wir die Hoffnung, dass dieWerte, die Europa verbinden – nämlich den Frieden durch Zusammenarbeit zu sichern – von Russland geteilt würden. In den vergangenen Jahren ist möglicherweise hierüber nicht ausreichend viel diskutiert worden, sodass die bestehenden Unterschiede nun wieder sehr deutlich zutage treten. Bei den meisten Kooperationen spielt die Wissenschaft aber auch heute nach wie vor eine deutlich gewichtigere Rolle als die Politik, auch weil sich über die Jahre enge persönliche Beziehungen entwickelt haben.

Der Jurist Tobias Stüdemann leitet das Verbindungsbüro der Freien Universität in Moskau.

Der Jurist Tobias Stüdemann leitet das Verbindungsbüro der Freien Universität in Moskau.
Bildquelle: Sabrina Wendling

Die Sankt Petersburger Staatliche Universität gehört zu den strategischen Partnern der Freien Universität. Aufwelchen Gebieten kooperieren beide Hochschulen?

Intensive Beziehungen bestehen in den Naturwissenschaften.Vor fünf Jahren haben beideUniversitäten das German-Russian Interdisciplinary Science Center in Sankt Petersburg gegründet,das als Exzellenz-Zentrum vom Deutschen Akademischen Austauschdienst finanziert wird. Dort arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beider Länder an interdisziplinären Projekten in der Physik und Geophysik, der Physikalischen Chemie und Mathematik.Und im nächsten Monat startet unser neuer Doppelmasterstudiengang mit der Sankt Petersburger Universität zu globaler Kommunikation und internationalem Journalismus. Er ist englischsprachig und bietet 20 Plätze pro Semester. Weitere Fächer pflegen bereits gute Kontakte, die zurzeit ausgebaut werden.

Mit wem arbeitet die Freie Universität außerdem zusammen in Russland?

Partner sind auch die Lomonossow-Universität, die Russische Staatliche Universität für die Geisteswissenschaften und das Moskauer Staatliche Institut für Internationale Beziehungen, an dem Diplomaten ausgebildet werden. Dort bietet die Freie Universität Berlin einen Begleitstudiengang „German Studies Russia“ an, in dem Einblicke in deutsche Politik, Wirtschaft, Medien und Recht vermitteltwerden. Außerdem ist sie an einem Doppeldiplom-Masterstudiengang „Internationale Beziehungen“ beteiligt. Und erst vor wenigenWochen haben sich Studierende und Wissenschaftler der Freien Universität und der Higher School of Economics in Moskau mit den informellen Phänomenen in Übergangsgesellschaften wie Korruption und Schattenwirtschaft beschäftigt.

Wie haben sich die wissenschaftlichen Beziehungen im Laufe der langjährigen Zusammenarbeit entwickelt?

Das Interesse an einer Zusammenarbeit ist gewachsen, und zwar auf beiden Seiten. Gegenwärtig ist die Bildungs- und Hochschullandschaft in Russland imUmbruch. Die Akademie der Wissenschaften – das bisherige Rückgrat der russischen Wissenschaft – hat an Ansehen und Einfluss verloren, stattdessen werden einzelne Hochschulen als Forschungsuniversitäten herausgehoben gefördert. Alle russischen Hochschulen müssen sich nun einer Effektivitätsprüfung unterziehen, bei der etwa zählt, wie viele ausländische Studierende undWissenschaftler eine Einrichtung hat und wie viele internationale Kooperationen. Das fördert das Streben nach Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern. Hinzu kommt die Überalterung in der russischen Wissenschaft und die Schwierigkeit, publizierenden Forschernachwuchs für russische Einrichtungen zu gewinnen. Drei Viertel der ausländischen Studierenden an russischen Universitäten kommen aus Asien und den GUS-Staaten. Die russischen Hochschulen sind aber an einem verstärkten Austausch mit westlichen Hochschulen interessiert.

Nun ist Russisch nicht gerade eine viel gefragte Sprache in Deutschland. Wie groß ist das Interesse von deutscher Seite an einem Studium in Russland?

Das Interesse an Russland – zumindest unter den Studierenden der Freien Universität – würde ich als langsam steigend bezeichnen.Wenn man sich deutschlandweit die Zahlen derjenigen anschaut, die mit dem Ziel, einen Abschluss zu machen, ins jeweils andere Land gehen, so gibt es hier sehr großeUnterschiede. Das Verhältnis beträgt in diesem Studienjahr wenige hundert Deutsche zu rund 11 000 Russen. Im Bereich kurzfristiger Mobilität sieht es deutlich besser aus. Von der Freien Universität gehen in jedem Studienjahr etwa zehn junge Frauen und Männer für einige Zeit nach Russland, rund die dreifache Anzahl junger Russinnen und Russen kommen an die Freie Universität. Grund für die Diskrepanz sind nicht nur sprachliche Barrieren und zu wenige Angebote auf Englisch. Oft mangelt es auf russischer Seite auch an Informationen zu Studienmöglichkeiten und an Marketing. Dabei kümmert man sich an russischen Universitäten sehr intensiv um die Studierenden, ein Professor betreut meist nur 20 bis 30 Studierende, von denen er oft die Handynummern hat und auch schon einmal per Anruf an eine Prüfung erinnert. Ob sich an den Zahlen aufgrund der politischen Lage etwas ändert, bleibt abzuwarten, allerdings berichten erste Programme von geringeren Bewerberzahlen.

Welche Rolle spielt das Verbindungsbüro beim Ausbau der Beziehungen?

Wir sind die einzige deutsche Universität, die wirklich sichtbar ist vor Ort. Ich reise sehr viel, halte Vorträge und knüpfe Kontakte. Es gibt im Rahmen des Deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses Moskau eine enge Zusammenarbeit mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Helmholtz-Gemeinschaft bei Förderaktivitäten oder der Organisation gemeinsamerVeranstaltungen im Land.Wir haben mit der DFGgemeinsamzwei sehr erfolgreiche Leibniz Lectures veranstaltet, bei denen der Mathematik-Professor Günter Ziegler von der Freien Universität die Vorlesungen gehalten hat. Die Arbeit ist zwar nicht einfach und die Bürokratie groß – unter anderem muss ich mich bei jeder Rückkehr nach Moskau neu registrieren lassen –, aber der Einsatz lohnt sich: Das Netzwerk wird dichter, und nicht nur die Anfragen häufen sich; es gibt auch mehr gemeinsame Forschungsaktivitäten und deutlich mehr russische Doktoranden an der Freien Universität.

Was sind die weiteren Ziele?

Ich würde gern die Fäden verstärken, die geknüpft sind. Das heißt beispielsweise, unsere strategische Partnerschaft mit der Sankt Petersburger Universität weiter auszubauen.Von Herbst an werden beide Universitäten einen gemeinsamen Fördertopf einrichten, aus dem vielversprechende Forschungskooperationen von beiden Hochschulen je zur Hälfte finanziert werden. Mein Ziel ist es auch, weitere Nachwuchswissenschaftler aus Russland für eine Promotion oder Forschungsarbeit an der FreienUniversität zu gewinnen und den Austausch zu fördern, auch in der Hochschulkultur. Ich bin überzeugt, dass sich ein Engagement in dieser Zeit des Umbruchs in Wissenschaft und Bildung, aber auch unklarer politischer Rahmenbedingungen in Russland für die Freie Universität Berlin und auch darüber hinaus auszahlen wird. Bürokratische Herausforderungen nehme ich dafür gerne in Kauf.

Weitere Informationen

Die Freie Universität ist weltweit vernetzt. Sieben Verbindungsbüros in New York, Peking, Neu-Delhi, Brüssel, Moskau, Kairo und São Paulo geben der Hochschule im Ausland ein Gesicht. Die Mitarbeiter unterstützen die Wissenschaftler beim Anbahnen neuer Forschungskooperationen, informieren über Studien- und Promotionsprogramme, helfen, internationale Tagungen zu organisieren, erfolgreiche Nachwuchswissenschaftler anzuwerben und ehemalige Studierende der Freien Universität in ihrem Heimatland zu vernetzen. In einer Serie stellen wir Ihnen die besonderen Aktivitäten jedes Büros vor und zeigen Beispiele grenzübergreifender Zusammenarbeit.