Carla Del Ponte, ehemalige Chefanklägerin zweier UN-Tribunale für Kriegsverbrechen, erhält den Freiheitspreis der Freien Universität Berlin
Sie hat Mafiabosse und Kriegsverbrecher gejagt – und dabei Maßstäbe gesetzt, im schweizerischen und im internationalen Strafrecht. Die Schweizer Juristin Carla Del Ponte arbeitete gleich an zwei internationalen Strafgerichtshöfen als Chefanklägerin: von 1999 bis 2007 am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien im niederländischen Den Haag und von 1999 bis 2003 am Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda im tansanischen Arusha. Auch nach ihrer Pensionierung lässt sie der Einsatz für die Opfer von Kriesgverbrechen nicht ruhen: Seit zwei Jahren untersucht sie Menschenrechtsverletzungen in Syrien.
Für ihren couragierten Kampf um Gerechtigkeit erhält Carla Del Ponte am 20. Oktober den Freiheitspreis der Freien Universität Berlin. Es war kein Geringerer als Kofi Annan, der Carla Del Ponte 1999 an beide Gerichtshöfe holte. Der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen hatte die Juristin beim Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos kennengelernt, wo Del Ponte regelmäßig eine Podiumsdiskussion über Korruption moderierte – und war so überzeugt von ihr, dass er ihre Kandidatur für den Posten als Chefanklägerin unterstützte.
Annanwar es, der den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dazu bewog, Del Ponte zu ernennen. Dabei galt sie als Außenseiter-Kandidatin, der selbst die Schweizer Regierung, die sie vorgeschlagen hatte, kaum Chancen einräumte. „Meine gleichzeitige Arbeit an beiden Gerichtshöfen sollte die Gleichbehandlung der Jugoslawienkriege und des Völkermordes in Ruanda verdeutlichen“, sagt Carla Del Ponte.
In ihrem Amt als Chefanklägerin war Del Ponte vor allem dafür verantwortlich, Kriegsverbrechern ihre individuelle Schuld nachzuweisen. Daneben gehörte es zu ihrer Aufgabe, eine möglichst ungestörte Befragung der Opfer und Zeugen zu ermöglichen. „Die Verteidiger haben natürlich versucht, Zeugen durch Kreuzverhöre einzuschüchtern und zu schwächen“, sagt Del Ponte. Der Schutz der Zeugen habe ihr daher sehr am Herzen gelegen.
Während ihrer achtjährigen Amtszeit am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien wurden 63 Personen vom Gericht zu Haftstrafen verurteilt – darunter militärische Befehlshaber, Lokalpolitiker und Soldaten. „Das waren alles keine Psychopathen, sondern ganz normale Menschen“, erinnert sich Del Ponte.
Viele von ihnen hätten ihre Verbrechen aus einer ideologischen Überzeugung heraus begangen. Für großes internationales Aufsehen sorgte die Auslieferung des gestürzten jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloševic an das Tribunal im Jahr 2001. Miloševic verstarb jedoch nach vierjähriger Prozesszeit in Haft, bevor er für seine Straftaten verurteilt werden konnte. „Ich war damals wütend, dass wir nun keine Möglichkeit mehr hatten, ihn zur Rechenschaft zu ziehen“, sagt Carla Del Ponte, die ihr Plädoyer bereits fertiggestellt hatte.
Zur Rechtswissenschaft kam Carla Del Ponte eher zufällig. Zuerst wollte die 1947 in Bignasco, im italienischsprachigen Teil der Schweiz, geborene und mit drei Brüdern aufgewachsene Tochter eines Gastwirts Medizin studieren. Aber die juristische Ausbildung sei kürzer gewesen und habe damit den Vorzug erhalten, erzählt Del Ponte.
Schon während des Studiums interessierte die angehende Juristin vor allem die Rolle der Opfer, „die Gerechtigkeit suchen“. Ein Ziel, das sie sich in ihrer späteren Arbeit auf die Fahnen schrieb. Bereits in den 1980er Jahren wurde Carla Del Ponte als Staatsanwältin im schweizerischen Kanton Tessin für ihren resoluten und kompromisslosen Einsatz gegen das Verbrechen bekannt.
Auf Carla del Ponte wurde ein Attentat mit Sprengstoff verübt
1989 entging sie nur knapp einem Sprengstoffanschlag. Davon unbeeindruckt setzte Carla del Ponte von 1994 an den Kampf gegen Geldwäsche, Waffenhandel, Korruption und organisiertes Verbrechen als Bundesanwältin der Schweizerischen Eidgenossenschaft fort. Im Jahr 1999 trat sie ihr Amt am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda an. In ihrer Funktion als Chefanklägerin bezog Carla Del Ponte immer wieder Stellung. Gerechtigkeit für die Opfer sei nur mittels umfassender internationaler und nationaler Anstrengungen möglich, mahnte sie.
Bei ihrem Abschied aus Den Haag im Jahr 2007 forderte Del Ponte die Europäische Union eindringlich dazu auf, die Unterschrift unter das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Serbien von der Festnahme und Auslieferung der mutmaßlichen Kriegsverbrecher Radovan Karadžic und Ratko Mladic abhängig zu machen. Und ihre Forderung wurde gehört: Die Europäische Union unterzeichnete das Abkommen letztendlich erst mehrere Jahre nach der Auslieferung beider Männer, am 22. Juli 2013. Im September desselben Jahres trat es in Kraft.
Bei ihrer Arbeit in Den Haag stieß Carla Del Ponte immer wieder auf Gegenwehr. Regelmäßig gab es Drohungen gegen ihre Person. Sie musste sich an einen Alltag mit Bodyguards gewöhnen. Doch ans Aufgeben habe sie nie gedacht, sagt Del Ponte: „Nein, wir hatten schließlich eine Aufgabe zu erfüllen.“ Dabei habe sie während ihrer Amtszeit auch Angst verspürt, für kurze Momente. „Aber ich bin Fatalistin und lebe nach dem Motto: Es kommt, was sein muss.“
Trotz zahlreicher Versuche, ihre Untersuchungen zu blockieren, ließ sich Carla Del Ponte nie beirren. Diese beharrliche Geradlinigkeit ist auch einer der Gründe, warum die Freie Universität Carla Del Ponte mit dem Freiheitspreis auszeichnet. Sie habe mit ihrem couragierten und ausdauernden Eintreten für das Verfolgen und Bestrafen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit den Opfern Gehör verschafft und sich um Gerechtigkeit und die Etablierung eines internationalen Rechtssystems verdient gemacht, heißt es in der Begründung.
Nach ihrer Arbeit als Chefanklägerin war Carla Del Ponte bis zu ihrer Pensionierung drei Jahre lang als Botschafterin der Schweiz in Argentinien tätig. Damit habe sie sich gegen das Angebot entschieden, auf den Posten der Bundesanwältin zurückzukehren. „Man geht nie zurück, nur vorwärts“, sagt sie und lacht.
Im September 2012 kehrte Del Ponte aus ihrem Ruhestand zurück an die „Front“ im Kampf um Gerechtigkeit: Als Mitglied der unabhängigen Syrien-Kommission der Vereinten Nationen untersucht sie seither Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen im syrischen Bürgerkrieg. „Seit drei Jahren werden dort Verbrechen begangen, ohne dass es eine Strafverfolgung gibt“, erklärt Carla Del Ponte. „Das ist unglaublich.“ Da die Kommission keine Erlaubnis erhielt, in Syrien einzureisen, sind die Mitglieder auf Zeugenaussagen der Flüchtlinge in den Nachbarländern angewiesen, unter anderem in der Türkei, im Libanon und in Jordanien.
Dazu befragen spezialisierte Ermittler vor Ort Opfer, etwa in Flüchtlingslagern und Krankenhäusern. Im September dieses Jahres präsentierte die Kommission bereits ihren achten Bericht im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Bisher ohne Folgen. Trotzdem gibt sich die einstige Chefanklägerin optimistisch: „Wir warten, bis Gerechtigkeit für die Opfer ein Thema wird.“ Carla Del Ponte hat gelernt, beharrlich zu sein.