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Molekülen bei der Arbeit zusehen

Der Physikochemiker Hans Jakob Wörner erhält den Klung-Wilhelmy-Wissenschaftspreis für seine Forschungen zur Elektronendynamik

Wie entsteht eine chemische Bindung? Der Physikochemiker Hans Jakob Wörner weiß es dank der von ihm entwickelten ultraschnellen spektroskopischen Methoden.

Wie entsteht eine chemische Bindung? Der Physikochemiker Hans Jakob Wörner weiß es dank der von ihm entwickelten ultraschnellen spektroskopischen Methoden.
Bildquelle: ETH Zürich

Mit der chemischen Synthese ist es wie mit der Kochkunst: Die Herangehensweise ist empirisch, und nicht jedes Rezept gelingt. Man gibt A und B zusammen, erhitzt und rührt. Harmonieren die Zutaten – die Moleküle – bildet sich das gewünschte Produkt C. Manchmal entsteht aber auch etwas völlig anderes. Lange bevor sie präzise Vorstellungen vom Aufbau von Atomen und Molekülen hatten, stellten Chemiker neue Substanzen her. Ohne zu wissen, was eigentlich beim Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Molekülen genau passiert. Aber wie kommt eine chemische Bindung tatsächlich zustande? Physikochemiker Hans Jakob Wörner von der ETH Zürich kann dies mit den von ihm entwickelten ultraschnellen spektroskopischen Methoden genau beobachten. Er sieht in Echtzeit den Akteuren – eher trägen Atomkernen und extremflinken Elektronen – bei der Arbeit zu und bringt damit endlich Licht in die Black Box der chemischen Reaktion.

Dafür wird er am 6. November mit dem diesjährigen Klung-Wilhelmy-Wissenschaftspreis geehrt. Die mit 75 000 Euro dotierte Auszeichnung, die im jährlichen Wechsel an Physiker und Chemiker verliehen wird, gehört zu den höchstdotierten, privat finanzierten Preisen für deutsche Nachwuchsforscher. Die Jury würdigt damit insbesondere seine „Pionierleistungen zur Elektronenbewegung in Molekülen auf der Subfemtosekunden-Zeitskala“. Gemeint sind unter anderem Experimente mittels der sogenannten hoch harmonischen Spektroskopie, und die funktioniert in etwa so: In Anwesenheit von räumlich ausgerichteten Molekülen in der Gasphase wird ein wenige Femtosekunden – eine Femtosekunde ist eine Billiardstel Sekunde – langer infraroter Laserpuls fokussiert. Dabei entstehen noch viel kürzere extrem-ultraviolette Pulse – nur etwa 100 Attosekunden lang: hohe Harmonische werden sie genannt.

Atomen oder Molekülen wird in diesem derart starken Laserfeld ein Elektron entrissen, sodass ein Kation entsteht. Das Elektron wird vom Laserfeld beschleunigt, verbindet sich kurze Zeit später wieder mit dem Kation und stößt dabei Energie in Form eines Attosekunden-Lichtpulses aus. Die verschiedenen Spektralkomponenten dieser Lichtblitze werden an einem Gitter unterschiedlich stark gebeugt. Aus dem Spektrum lässt sich unter anderem die elektronische und geometrische Struktur des Moleküls zum Zeitpunkt der „Elektronenrückkehr“ bestimmen. Die präzise kontrollierte Umlaufzeit von 0,8 bis1,7 Femtosekunden ermöglicht dabei die Zeitauflösung im Bereich von Attosekunden.

Seine Arbeit bringt Licht in die Blackbox der chemischen Reaktion

Atome und Moleküle reagieren innerhalb vonwenigen Femtosekunden. Ultraviolettes Licht wird in der Regel von Elektronen absorbiert, die die aufgenommene Energie bald an die Atomkernbewegung abgeben. „Und die Bewegung der Kerne führt letztlich zur chemischen Reaktion: Eine Bindung bricht oder bildet sich neu“, sagt Hans Jakob Wörner. Entsprechende Elektronen- und Schwingungsdynamik – Biege- und Streckschwingungen, die in keinem Chemiebuch fehlen – konnte Wörner beispielsweise bei Stickoxiden quasi live beobachten.

Von der Stange gibt es die Attosekundenlaser und Spektroskope nicht. Ihre Konstruktion ist ein Teil von Wörners Arbeit. Ein anderer ist mehr als höhere Mathematik, zu der auch das Lösen der zeitabhängigen sogenannten Schrödinger-Gleichung gehört. Doch das Experimentieren steht immer im Vordergrund. „Wenn wir etwas verstehen wollen, planen wir dazu das Experiment, führen es durch, und oft kommt etwas ganz anderes heraus als gedacht. Dann ist die Theorie gefragt, und die Rechnerei geht los“, erklärt Wörner.

Sein Faible für Naturwissenschaften zeigte sich früh und unerwartet. Der Vater Kunsthistoriker, die Mutter Germanistin – da schien das Interesse an Museen, Kirchen und fremden Kulturen programmiert. Doch die Gene des Großvaters, den er nicht mehr kennenlernte, waren stärker: Er war Chemiker. Wörner interessierte sich einfach sehr dafür, wie das Universum aufgebaut ist. Er verschlang Bücher über Urknalltheorien und verwandelte mit dem Chemiebaukasten das Badezimmer zeitweilig in ein unwirtliches, übelriechendes Terrain mit durchlöchertem Bodenbelag.

„Ich wollte verstehen, wie chemische Reaktionen ablaufen und wieman sie kontrollieren kann.“ Er entschied sich für ein Chemiestudium, erst in Lausanne, später an der ETH in Zürich. Als die Organik ihm nicht das erhoffte präzise Verständnis lieferte, wechselte er zur mathematisch-fundierten Physikalischen Chemie. Sein wissenschaftlicher Weg ist bis heute ein Grenzgang zwischen Chemie und Physik. 2007 promovierte er über „hochauflösende spektroskopische Studien von Nicht-Born-Oppenheimer-Effekten“, vertiefte anschließend seine theoretischen Kenntnisse zur Moleküldynamik am Laboratoire Aimé-Cotton du CNRS in Orsay, nahe Paris. In den folgenden drei Jahren wandte er sich der Erzeugung und Anwendung von Attosekundenpulsen am National Research Council of Canada in Ottawa zu.

Eine Förderprofessur lockte ihn 2010 zurück nach Zürich. Mit seiner Arbeitsgruppe entwickelt er inzwischen diverse komplexe Methoden mit so exotischen Namen wie „Liquid-Jet XUV Photoelectron Spectroscopy“ weiter, um auch mit den flinken Elektronen in Flüssigkeiten Schritt halten zu können. Viel Freizeit bleibt dem 33-Jährigen, der gerade zum zweiten Mal Vater wurde, nicht. Aber weder Rennrad noch Klavier setzen deswegen Staub an. Manchmal hat er noch Muße für Kammermusik mit Freunden.

Als Nächstes will Wörner seine Untersuchungen auf größere Moleküle und auf die flüssige Phase ausweiten. Inwiefern man durch Kontrolle der Elektronendynamik die Chemie selbst kontrollieren kann, ist eine seiner großen Fragen. Vielleicht gelingt es ja, Elektronen mit Laserpulsen so zu dirigieren, dass die Reaktion an einem kontrollierten Ort abläuft? Was wäre der Vorteil? „Im Prinzip sind die Voraussetzungen dafür da“, meint Wörner. Ob es praktisch funktioniert, ist unklar. „Außerdem möchten wir lernen, wie man Moleküle für bestimmte Zwecke optimieren kann.“ Zum Beispiel, damit sie Sonnenlicht optimal absorbieren, um es hoch effizient in andere Energieformen umzuwandeln. Eines ist schon heute sicher: Durch die Forschung von Hans Jakob Wörner wird die Chemische Synthese, die eine lange Tradition als empirische Wissenschaft hat, besser berechenbar.

— Die Preisverleihung findet am 6. November 2014 von 17 Uhr an im Max-Kade-Auditorium, Henry-Ford-Bau der Freien Universität, Garystraße 35, 14195 Berlin statt. Die Veranstaltung ist öffentlich, der Eintritt frei. Um Anmeldung bis zum 31. Oktober per E-Mail an einladung@fu-berlin.de wird gebeten.