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Rückfallprognosen für Sexualstraftäter verbessert

Jürgen Biedermann hat mehr als 1000 Vergewaltigungen und Missbrauchsfälle untersucht. Für seine Arbeit erhielt er den Deutschen Studienpreis

Im Jahr 2013 wurden allein in Berlin insgesamt 2628 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – so der juristische Begriff für Sexualdelikte – erfasst. Neue Taten zu verhindern, ist auch Aufgabe der Polizei. Sie setzt dabei auf empirische Erkenntnisse, unter welchen Umständen Täter erstmals oder wiederholt Sexualstraftaten begehen. Erkenntnisse, wie sie auch der Psychologe Jürgen Biedermann im Rahmen seiner Dissertation an der Freien Universität gesammelt hat: In einem Kooperationsprojekt zwischen dem Landeskriminalamt Berlin und dem Institut für Forensische Psychiatrie der Charité hat er mehr als 1000 sexuell motivierte Straftaten ausgewertet und dabei auch Rückfälle und Wiederholungstaten untersucht. Für seine Arbeit erhielt er nun den Deutschen Studienpreis.

Der Psychologe hat acht Klassen von Sexualstraftätern in seiner Arbeit herausgearbeitet. Jede von ihnen weist spezifische Tatmuster auf: „Ich habe 16 verschiedene Variablen wie Gewaltausübung, Tatort, Alter und Geschlecht des Opfers sowie die Tatsituation in die Analyse einfließen lassen“, sagt Biedermann. Im Durchschnitt ließen sich die untersuchten Straftäter mit einer mehr als 90-prozentigen Sicherheit in eine der Klassen einordnen. Die Zahlen zeigen: Oft kennen sich Täter und Opfer bereits, bevor es zum Übergriff kommt. „Nur ein Bruchteil der sexuellen Missbrauchs- und Gewaltdelikte wird von Fremden überfallartig außerhalb privater Räume begangen“, sagt Biedermann.

Viele Sexualstraftäter haben grundsätzliche Probleme damit, sich an gesellschaftliche Normen anzupassen, was sich unter anderem in der hohen Rate an Straftaten außerhalb des sexuellen Spektrums widerspiegelt. Bei manchen Tätern ist die Sexualität eng mit Gewalttätigkeit verbunden; andere sehen von weiteren Tathandlungen ab, wenn das Opfer sichwehrt. „Es ist wichtig, dass die Polizei an Schulen und in Jugendgruppen aufklärt“, erläutert Biedermann, „denn nur, wer das Risiko kennt, kann gefährliche
Situationen meiden und im Ernstfall richtig handeln.“

Eine Datenbank hilft, die Rückfallquote einzuschätzen

Doch auch Erkenntnisse über die Täter können neue Straftaten verhindern. Biedermann untersuchte mithilfe des Bundeszentralregisters die Rückfallquoten
verurteilter Sexualstraftäter und ließ sie ebenfalls in seine Analyse einfließen. „Wie zu erwarten, war die Quote in verschiedenen Täterklassen sehr ungleich, und auch der Schweregrad von Rückfällen unterschied sich erheblich“, sagt Biedermann. Besonders typische Vertreter der jeweiligen Klasse wurden durch ausführliche Fallbeschreibungen illustriert und analysiert.

Aus den gewonnenen Daten entwickelte der Psychologe ein Programm, mit dem anhand der untersuchten 16 Variablen ein Täter einer Klasse zugeordnetwerden kann. So erhält die Polizei einen ersten Anhaltspunkt für das Rückfallrisiko. Die Datenbank ist in der Abteilung 1 des Landeskriminalamts Berlin bereits im Einsatz, wenn eine individuelle Rückfallprognose erstellt wird; die Berliner Polizei kontrolliert entlassene Sexualstraftäter, um neue Straftaten zu verhindern. Biedermanns Arbeit soll helfen, die Präventionsstrategie des Landeskriminalamtes zu optimieren und Täter mit hohem Rückfallrisiko besser zu erkennen. „Allerdings bietet auch das neue Klassifikationsmodell lediglich eine Einschätzung“, sagt Biedermann.

Weiterhin müssten Informationen individuell gesammelt werden, um das Rückfallrisiko beurteilen zu können. „Dabei muss die Polizei insbesondere das Lebensumfeld eines Täters untersuchen. Ohne die Beamten vor Ort sind präzise Prognosen allein mit Daten und Computeranalysen nicht möglich.“