Springe direkt zu Inhalt

Knotenpunkt Brüssel

Das Büro der Freien Universität am Sitz der EU-Kommission hilft Forschern, ihre Expertise in die Politik einzubringen

Symbol für ein neues Zeitalter: Das Atomium in Brüssel wurde zur Weltausstellung 1958 errichtet.

Symbol für ein neues Zeitalter: Das Atomium in Brüssel wurde zur Weltausstellung 1958 errichtet.
Bildquelle: iStockphoto-MoreISO

2009 eröffnete die Freie Universität Berlin als erste deutsche Hochschule ein Verbindungsbüro in Brüssel. Inzwischen haben einige Universitäten nachgezogen; außeruniversitäre Forschungsinstitutionen wie die Helmholtz-Gemeinschaft sind schon länger vor Ort. Das zeigt, welchen Stellenwert die Europäische Union inzwischen für die Forschung in Deutschland hat. Nina Diezemann sprach mit der Leiterin des Büros, Politikwissenschaftlerin Simona Bevern.

Frau Bevern,warum braucht die Freie Universität Berlin ein eigenes Büro in Brüssel?

Anders als bei den meisten nationalen Forschungsförderungseinrichtungen haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Europäischen Union die Möglichkeit, an der Gestaltung von Förderprogrammen und der Forschungspolitik aktiv mitzuwirken. Wissenschaftler können sich beispielsweise bei Konsultationen einbringen, in denen die EU-Kommission den Rat von Experten zu Zukunftsproblemen einholt, und den Blick auf Themen lenken, die ihnen am Herzen liegen. Um eigene Schwerpunkte zu setzen und sich im Brüsseler Stimmengewirr Gehör zu verschaffen, ist es jedoch wichtig, Allianzen zu schmieden. Das Büro in Brüssel sorgt für tragfähige Netzwerke. Die deutschen außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben schon lange verstanden, dass man sich in Brüssel aktiv einbringen kann. Die Max-Planck-Gesellschaft ist bereits seit Ende der 1990er Jahre vor Ort in Brüssel. Einige Jahre später folgten Helmholtz und Leibniz-Gemeinschaft und die Fraunhofer-Gesellschaft.

Wie sieht es mit Hochschulen aus anderen europäischen Ländern aus?

Dänische und niederländische Hochschulen beispielsweise sind in Brüssel mit eigenen Büros präsent und versuchen, eine größere Sichtbarkeit für ihre Wissenschaftler und ihre Forschungsschwerpunkte zu erreichen. Aber es geht nicht nur darum, die eigenen Themen nach Brüssel zu bringen – Informationen über das Geschehen in Brüssel können auch gezielter und besser an die eigene Hochschule getragen werden.

Wird die Freie Universität als Konkurrenz gesehen?

Die Institutionen sind zu unterschiedlich, um in direkter Konkurrenz zu stehen. In den ersten Monaten meiner Tätigkeit habe ich den Kontakt zu den Büros anderer europäischer Hochschulen gesucht, und die Offenheit und das Wissen der Mitarbeiter dieser Büros haben mir sehr geholfen, die Aktivitäten der Freien Universität einzuordnen. Ebenso wichtig sind die Kontakte zu den Büros der deutschen außeruniversitären Einrichtungen. Um auf europäischer Ebene erfolgreich zu sein – etwa um Themen zu platzieren –, braucht man europäische Verbünde. Es ist wichtig, nicht nur als Einzelinstitution eines Landes mit Partikularinteressen wahrgenommen zu werden.

Welche Einrichtungen sind für Ihre Arbeit noch wichtig?

Die KOWI, die Kooperationsstelle EU der Wissenschaftsorganisationen, ist eine wichtige Informationsquelle und zentraler Ansprechpartner für mich in Brüssel. Sie wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Hochschulrektorenkonferenz und weiteren Einrichtungen gemeinsam getragen und berät Wissenschaftler bei der Antragstellung.

Die Politikwissenschaftlerin Simona Bevern leitet seit Mai dieses Jahres das Verbindungsbüro in der Brüsseler Rue du Trône.

Die Politikwissenschaftlerin Simona Bevern leitet seit Mai dieses Jahres das Verbindungsbüro in der Brüsseler Rue du Trône.
Bildquelle: Lili Nahapetian

Welche Ziele haben Sie sich für Ihre Arbeit gesetzt?

Ich verstehe das Verbindungsbüro als eine Art Vermittler zwischen Berlin und Brüssel. Ich möchte den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Freien Universität zeigen, dass die EU nicht nur eine Stelle ist, bei der man Mittel beantragen kann. Die Europäische Kommission braucht die Informationen von Wissenschaftlern – und es liegt im Interesse der Wissenschaftler, dass ihre Ergebnisse Gehör finden.

Was politisch beschlossen wird, wirkt sich auch auf die Gestaltung der Förderprogramme aus. Wenn die EU etwa im Energie- oder Umweltsektor neue Gesetze plant, hat das auch einen Effekt auf die Forschungsförderung. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten für Wissenschaftler, sich einzubringen. Ein Einstieg kann zum Beispiel sein, als Gutachter tätig zu werden. Auf diese Weise bekommt man Einblicke in die Entscheidungsprozesse. Ich möchte auch gern das Vorurteil abbauen, Anträge auf EU-Fördergeld seien zu aufwendig.

Aber ist es nicht komplizierter, einen EU-Förderantrag zu stellen als zum Beispiel einen bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)?

Das ist nach wie vor der Eindruck vieler Wissenschaftler, doch man kann das nicht pauschal sagen, das hängt von der jeweiligen Förderlinie ab. Ein EU-Kooperationsprojekt zum Beispiel umfasst mindestens drei Projektpartner aus drei unterschiedlichen Ländern. Natürlich ist die Koordination da anspruchsvoller, und es gibt sogar Projekte, an denen mehr als 20 Partner beteiligt sind. Konsortien, die sich auf eine solche Ausschreibung bewerben, müssen mit verschiedenen Sprachen kämpfen und mit unterschiedlichen Arbeitsbedingungen an den diversen Standorten.

Die EU-Forschungspolitik gilt als sehr wirtschaftsorientiert. Was bedeutet das für die Freie Universität, deren Stärken in den Geistes- und Sozialwissenschaften sowie in der Grundlagenforschung liegen?

Die EU-Forschungspolitik ist größtenteils anwendungsorientiert: Europäische Forschungsförderung hat das Ziel, zu Wachstum und Innovation in Europa beizutragen. Da sind Universitäten mit Schwerpunkten in den Technik- und Ingenieurswissenschaften im Vorteil. Dennoch gibt es für die Freie Universität Berlin einen Platz in den Förderprogrammen, und die Hochschule war in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich beim Einwerben von EU-Mitteln.

Wir haben großartige interdisziplinäre Projekte, in denen Geistes- und Sozialwissenschaftler mit Naturwissenschaftlern zusammenarbeiten – wie in der Focus Area „Dyn-Age“, einem Forschungsverbund, dessen Wissenschaftler sich mit Krankheiten im Verlauf der unterschiedlichen Lebensabschnitte beschäftigen. Forschung zu gesellschaftlichen Herausforderungen wie die alternde Gesellschaft wird auch im EU-Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ unterstützt, das vor knapp einem Jahr angelaufen ist. Das Programm legt für sieben Jahre die großen Forschungsthemen und Förderlinien fest.

Welche Fördermöglichkeiten gibt es noch?

Neben der Förderung von Forschungsvorhaben zu vorgegebenen gesellschaftlich relevanten Fragestellungen gibt es zudem thematisch offene Programme zur Förderung exzellenter Wissenschaft. Dazu zählt die Förderung durch den Europäischen Forschungsrat in Form sogenannter ERC-Grants und die Marie-Sklodowska-Curie-Programme. Hier können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eigene Forschungsvorhaben einreichen, die allein nach dem Kriterium der wissenschaftlichen Exzellenz begutachtet werden. In diesen Bereichen steht die Freie Universität sehr gut da.

Einen ERC-Grant zu „gewinnen“, ist mit großem Renommee verbunden. Um Wissenschaftler besser beraten zu können, arbeite ich sehr eng mit meinen Kollegen im Team für Forschungsförderung, Vertragsmanagement und Drittmittelverwaltung zusammen. Gemeinsam überlegen wir, welche Ausschreibungen und Aktivitäten für welche Wissenschaftler interessant sein könnten.

Gerade ist eine neue Kommission an den Start gegangen: Gibt es mit dem Portugiesen Carlos Moedas als Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation eine Neuausrichtung der Forschungspolitik?

Carlos Moedas kommt nicht aus der Forschung, weshalb es gegen ihn als Kommissar zunächst einige Vorbehalte gab. Der erste Auftritt des ehemaligen Investmentbankers und Finanzexperten vor dem Parlament wurde jedoch positiv wahrgenommen, er hatte sich in sein neues Politikfeld sehr gut eingearbeitet. Er wird das nächste Forschungsrahmenprogramm sicherlich maßgeblich mitgestalten, und man wird abwarten müssen, welche Rolle sein bisheriger beruflicher Hintergrund da spielen wird.