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Zeigt her eure Zähne

In der bislang größten Langzeit-Gesundheitsstudie wird auch die Zahngesundheit der Teilnehmer erfasst

Zahnvolkszählung. Fast eine halbe Million Deutsche sind aufgerufen, an einer Langzeitstudie mitzuwirken. 16.000 von ihnen werden sich buchstäblich auf den Zahn fühlen lassen.

Zahnvolkszählung. Fast eine halbe Million Deutsche sind aufgerufen, an einer Langzeitstudie mitzuwirken. 16.000 von ihnen werden sich buchstäblich auf den Zahn fühlen lassen.
Bildquelle: photocase/giulietta73 http://www.photocase.de/foto/855991-stock-photo-mensch-kind-sommer-freude-lustig-natuerlich

Dieser Tage finden 400 000 Bundesbürger zwischen 20 und 69 Jahren eine Einladung zur Teilnahme an einer Untersuchung mit eher sprödem Namen im Briefkasten. Sie werden zur Teilnahme an der „Nationalen Kohorte“ aufgerufen, der bislang größten Langzeit-Gesundheitsstudie, die es hierzulande je gab. Ziel ist es, die Ursachen von Volkskrankheiten wie Diabetes, Krebs, Demenz, Herz-Kreislauf- und Infektionskrankheiten weiter aufzuklären; bislang unerkannte Risikofaktoren und Zusammenhänge mit den Lebensumständen sollen entdeckt und Therapie- und Präventionskonzepte auf Wirksamkeit überprüft werden. Zur Studie gehören neben der körperlichen Untersuchung unter anderem eine Blutprobe sowie Fragebögen zu Lebensstil und einer möglichen Krankheitsgeschichte. Etwa 16.000 Teilnehmern, darunter 2200 Berlinern, wird in den Studienzentren zusätzlich auch sehr genau in den Mund gesehen.

Warum? Was haben Karies, Parodontitis und schiefe Zähne mit der allgemeinen Gesundheit zu tun? „Eine ganze Menge“, sagt Paul-Georg Jost-Brinkmann, leitender Kieferorthopäde und Kinderzahnmediziner der Charité – Universitätsmedizin Berlin. In den letzten Jahren habe es eine Reihe von Einzelstudien gegeben, die belegten, dass beispielsweise Herzkreislauf- und Darmkrankheiten sowie Rheuma mit Zahnproblemen in Verbindung stehen können. „Das ergibt auch Sinn. Wir haben viele Millionen Bakterien im Mund. Durch entzündliche Prozesse wie Parodontitis verändert sich das Keimspektrum, und plötzlich tauchen Bakterien auf, die auch für andere Erkrankungen relevant sind.“ Es wird vermutet, dass sie quasi vom Mund in den Darm „durchgereicht“ werden.

Das Kariesrisiko ist ungleich verteilt

Das ist auch Thema einer anderen Studie im Bereich Kinderzahnmedizin, die Jost-Brinkmann mit Kinderonkologen der Charité gemeinsam durchführt. „Auch die Krebstherapie beeinflusst die Besiedlung der Mundhöhle. Es gibt Hinweise, dass andere Begleiterkrankungen von Chemotherapie und Bestrahlung im Magen-Darmtrakt mitbestimmt werden. Deshalb sehen wir uns das Mikrobiom der kleinen Patienten genau an.“ Gute Nachrichten gibt es bezüglich Karies. „Vor wenigen Jahrzehnten sind wir als Schlusslicht Europas gestartet“, erzählt Jost-Brinkmann. „Heute haben die Zehn- bis Zwölfjährigen bei uns so wenig Karies wie noch nie.“ Allerdings sei das Kariesrisiko ungleich verteilt: Während etwa in Zehlendorf eine gute Chance bestehe, eine vollständig kariesfreie Schulklasse zu finden, sehe man in anderen Bezirken das genaue Gegenteil. „Kleine Gruppen von Patienten entwickeln hier praktisch die Karies der gesamten Bevölkerung“, sagt Jost-Brinkmann.

Spezifischere Präventionsansätze seien deshalb gefragt. Für die „Nationale Kohorte“ wird konkret untersucht, welche Zähne die Probanden noch haben, und welche Art von Zahnersatz – Füllungen, Brücken, Kronen – besteht. Die Wissenschaftler wollen auch wissen, ob es Karies und Parodontitis gibt und ob Zahnfehlstellungen oder Probleme mit der Funktion des Kauapparates vorliegen. Keine Sorge, gebohrt wird natürlich nicht. Nur nachgesehen und dokumentiert. Jost-Brinkmann hofft, dass möglichst viele der Angeschriebenen, die auf statistischer Grundlage über die Meldeämter ausgewählt wurden, teilnehmen werden. Denn mindestens 200.000 Probanden sind für eine aussagekräftige Studie erforderlich. Nach fünf Jahren werden sie dann erneut in die bundesweit verteilten Studienzentren eingeladen.