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Mit Herz und Verstand

Israeli promoviert in Jerusalem und Berlin

17.04.2015

Der Israeli Ofer Waldman promoviert in Literaturwissenschaft.

Der Israeli Ofer Waldman promoviert in Literaturwissenschaft.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

„Musik ist für das Herz – Wissenschaft für den Kopf“, sagt Ofer Waldman, wenn man ihn fragt, warum er seine Karriere als Orchestermusiker ruhen lässt. „Aus Respekt vor der Musik habe ich mir eine Pause verordnet.“ Zurzeit arbeitet der ausgebildete Diplom-Hornist an der Freien Universität Berlin an seiner Doktorarbeit über jüdische Autoren in der DDR. Das Thema ist bislang wenig erforscht in Israel, wo Ofer Waldman an der Hebrew University of Jerusalem promoviert. „Deutschland gilt in Israel meist noch als Synonym für Westdeutschland, für die alte BRD, in der die meisten heute lehrenden israelischen Germanisten oder Historiker ausgebildet wurden“, erzählt Waldman. In seiner Arbeit geht er der Frage nach, wie und ob sich eine DDR-bedingte jüdische Identität herausgebildet hat und untersucht dafür literarische Texte von Thomas Brasch, Barbara Honigmann und anderen Schriftstellern.

In der Bundesrepublik und der DDR habe jeweils eine andere Form der Bewältigung der – und er zitiert Brasch – „gesamtdeutschen Tragödie“ stattgefunden. Die Auschwitzprozesse oder die Fernsehserie „Holocaust“ prägten den öffentlichen Diskurs in der Bundesrepublik, nicht aber in der DDR – mit Folgen bis heute, wie Ofer Waldman aus eigener Erfahrung weiß: Die Idee zu seiner Dissertation kam ihm während seiner Arbeit in ehemaligen „Ost-“ und „Westorchestern“, als der junge Israeli Pult an Pult mit Kollegen musizierte, die entweder in der DDR oder in der Bundesrepublik aufgewachsen waren. Die Unterschiede habe man auch mehr als 15 Jahre nach dem Fall der Mauer immer noch gespürt. Nun möchte er sich diesem Kapitel deutsch-deutscher Geschichte aus wissenschaftlicher Sicht widmen.

Vielleicht ermöglicht ihm seine Herkunft einen Blick aus der Distanz auf diese Geschichte. Ofer Waldmans Großeltern wanderten bereits aus Osteuropa nach Palästina aus, seine Eltern wurden noch vor der israelischen Staatsgründung dort geboren.

Vielleicht hat ihn aber auch seine Zeit in dem von Daniel Barenboim geleiteten „West Eastern Divan Orchestra“ besonders hellhörig gemacht für solche Zwischentöne. 1999 kam er mit dem Orchester, in dem junge Musiker aus dem Nahen Osten – aus Israel wie aus arabischen Ländern – gemeinsam musizieren, nach Deutschland. „Barenboim hat mein Leben verändert“, sagt er nachdrücklich, „und das einer ganzen Generation von Musikern aus dem Nahen Osten.“ Noch heute bekommt Waldman eine Gänsehaut, wenn er an das Orchester denkt.

Der Dirigent sei als Mensch und als Musiker „eine Kategorie für sich“. Waldman fühlte sich wie im Märchen: allabendlich Konzerte mit Barenboim, Yo-Yo Ma und anderen Musikern weltweit bekannter Orchester sowie politische Diskussionen. Er kam in Kontakt mit Kollegen aus Syrien und dem Libanon, Menschen, die man in Israel gar nicht treffen könne – „außer als Soldat jenseits der Grenze“, wie er ironisch hinzusetzt. Barenboim war es auch, der Waldman fragte, ob er in Berlin Horn studieren wolle, und sich dafür einsetzte, dass Waldman vom Militärdienst in Israel frühzeitig befreit wurde. Waldman bekam den Studienplatz an der Universität der Künste in Berlin – und damit „ungehinderten Zugang zur Staatsoper, allen Proben, allen Vorstellungen.“

Nach seinem Studium kam er als Orchestermusiker zunächst in die Reihen des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin und der Nürnberger Staatsoper, und schließlich zurück in seine Heimat Israel, wo er von 2009 bis 2012 in einem Blog die Situation vor Ort für seine Freunde schilderte. In seinen Texten beschäftigte sich der Vater zweier Töchter mit der politischen Lage, gab heimische Kochrezepte weiter und beschrieb den Familienalltag im ersten Gaza-Krieg. Waldman fand eine immer größere Lesergemeinde und wurde als „andere israelische Stimme“ in verschiedenen Medien zitiert. Heute freut er sich, mit seiner Familie wieder zurück in Berlin zu sein – nicht nur wegen der Bibliotheken und der Archive, die für seine Arbeit wichtig sind. Berlin „als Ort und Lebensumstand“ sei für ihn zur Wahlheimat geworden, sagt Waldman.