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Chemiebaukasten für Experten

Dirk Steinhilber hat ein Verfahren entwickelt, um gut verträgliche Nano- und Mikrogele zu produzieren. Mit ihnen verbinden Forscher die Hoffnung, die Therapie schwerer Krankheiten revolutionieren zu können.

14.04.2016

Hoffnung in goldgelb: Mathias Dimde, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team von Dirk Steinhilber und Professor Rainer Haag, schwenkt einen Glaskolben mit dendritischem Polyglycerin.

Hoffnung in goldgelb: Mathias Dimde, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team von Dirk Steinhilber und Professor Rainer Haag, schwenkt einen Glaskolben mit dendritischem Polyglycerin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Die Hoffnung ist golden und glibberig. Sie ruht in Glaskolben in den Kühlschränken des Instituts für Chemie und Biochemie der Freien Universität in Dahlem. Hier wird sie mittlerweile kiloweise produziert. Polyglycerin heißt sie und ist ein vielversprechender Grundstoff für Hydrogelpartikel. Seit etwa 15 Jahren verbinden Forscher auf der ganzen Welt mit solchen Gelen die Hoffnung, irgendwann Krebs heilen zu können, Diabetes, Alzheimer, Ebola, vielleicht sogar AIDS.

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Doch ein Absolvent der Freien Universität hat dafür gesorgt, dass Mediziner und Pharmazeuten ihn schneller gehen können: Dirk Steinhilber hat ein Baukastensystem entwickelt, mit dem sich Mikrogele für sehr viele Anwendungen leicht herstellen lassen: "Es war viel Arbeit, das Verfahren zu entwickeln", sagt der 32-jährige Chemiker. "Aber jetzt muss eigentlich nur noch A und B vereint werden." In Zukunft wäre es zum Beispiel denkbar, dass Firmen die Grundstoffe kaufen und nach Rezept mischen.

Um zu verstehen, warum die Forschung so stark auf Hydrogele setzt, muss man sie genauer ansehen. Das, was in Konsistenz und Farbe an ein zerlaufenes Goldbärchen erinnert, ähnelt dem natürlichen Weingummi tatsächlich. Beide bestehen aus weicher Materie: Stoff, der weder fest noch flüssig ist und dadurch besondere Fähigkeiten besitzt, etwa die, sich wie ein Schwamm mit Wasser vollzusaugen.

Auf mikroskopischer Ebene besteht das künstliche Gel aus einem Netzwerk dreidimensional verknüpfter, sehr großer Moleküle, sogenannte Polymere. An die Enden der Polymere und in ihre "Nischen" können Chemiker andere Moleküle an- und einfügen. Medizinische Wirkstoffe zum Beispiel oder therapeutische Proteine, die dann an bestimmte Stellen im Körper transportiert werden. Die Mikrogele können auch so konstruiert werden, dass sie Viren einsperren oder lebende Zellen ummanteln. Verlangt die Therapie besonders kleine Einheiten, lassen sie sich zu Nanogelen schrumpfen.

Weil die Gele sich extrem mit Wasser vollsaugen, nimmt das menschliche Immunsystem sie nicht als Fremdkörper wahr. In einem solchen Wasserkostüm könnte man zum Beispiel insulinproduzierende Inselzellen in den Körper von Diabetespatienten einschleusen. Der körpereigene Abwehrreflex auf die eingegelten Zellen bliebe gering und erlösche nach etwa zwei Wochen komplett.

In das Gel können die Chemiker Stoffe einfügen, die dafür sorgen, dass die Gelhülle nach exakt dieser Zeitspanne zerfällt - wie eine Sollbruchstelle mit Zeitschaltuhr. Ohne Kapsel kann die neue Inselzelle danach langfristig Insulin abgeben. Krebskranke wiederum könnten tumorzerstörende Wirkstoffe in Gelkapseln injiziert bekommen. Das Mikrogel würde so funktionalisiert, dass die Kapsel zerfällt, sobald sie den sauren pH-Wert von erkranktem Gewebe erreicht hat – und die Chemotherapie gezielt dort und nicht im ganzen Körper wirken lassen.

Die Polymere selbst sind gesundheitlich unbedenklich. Die Herausforderung ist der Zusammenbau. Im Labor könnten die Chemiker theoretisch schwere Geschütze auffahren, um die Verbindungen zwischen Polymer und anderen Stoffen herzustellen. Aber wenn das Mikrogel im Körper wirkt, löst es diese Verbindungen dort wieder auf. Die Forscher müssen also bereits beim Zusammenbau bedenken, ob die Nebenprodukte des späteren Zerfallsprozesses den Organismus schädigen könnten.

Dirk Steinhilber suchte deshalb nach einem Verfahren, bei dem die Reaktion den Körper möglichst wenig belastet: "Ich habe viel Zeit darauf verwendet, dass der Prozess bei Raumtemperatur verläuft, schnell, ohne Katalysatoren, ohne Nebenprodukte." Er entwickelte unterschiedliche Verfahren, um Mikro- und Nanogele aufzubauen. "Die Durchführung ist sehr einfach, und man kann den Polymeren trotzdem alle möglichen Funktionen geben." Auch wann sich die Mikrogele wieder auflösen, kann mit Steinhilbers Methode kontrolliert werden.

Am Ende der Forschung stand eine Promotion, für die Steinhilber kürzlich den Bruno-Heck-Wissenschaftspreis erhielt. Die Jury lobte vor allem den Anwendungsbezug seiner Forschungen. Der war Steinhilber immer wichtig. Deswegen hatte er sein Studium zunächst an einer Fachhochschule begonnen und war dann in die Arbeitsgruppe von Chemieprofessor Rainer Haag an der Freien Universität gewechselt: "In unserer Arbeitsgruppe gehört es dazu, von Anfang an mitzubedenken, dass etwas Nützliches herauskommt", sagt Steinhilber.

Das Schicksal vieler Entwicklungen, nämlich in einer Schublade zu verstauben, wird Steinhilbers Idee nicht ereilen. So wird der Grundstoff Polyglycerin in Dahlem mittlerweile passgenau in den verschiedensten Varianten produziert.

Die Wissenschaftler der interdisziplinären Focus Area Nanoscale (Nanoskalige Funktionsmaterialien) verwenden Steinhilbers Baukasten zum Beispiel, um die Nebenwirkungen von Medikamenten gegen entzündliche Hauterkrankungen zu verringern. Und die Firma Dendropharm GmbH, eine Ausgründung der Freien Universität, plant mit Steinhilbers Verfahren Nanogele zu entwickeln, die in der Veterinärmedizin getestet werden könnten.

Die Dahlemer Kühlschränke bergen längst viel mehr als nur eine Hoffnung.