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Forschen! Heilen! Lehren!

Das Klinikum Benjamin Franklin war schon vieles in seinen 50 Lebensjahren. Heute ist es Teil der Charité-Universitätsmedizin Berlin und innovatives Zentrum der Hochleistungsmedizin.

13.04.2018

Das Klinikum Benjamin Franklin war schon vieles in seinen 50 Lebensjahren: Modell für den modernen Krankenhausneubau in Europa, Filmkulisse und Zankapfel. Heute ist es Teil der Charité – Universitätsmedizin Berlin und innovatives Zentrum der Hochleistungsmedizin.

Betonkoloss für die Medizin: Bei den Entwürfen für den Neubau arbeiteten die Architekten eng mit Ärzten zusammen. Das Uni- Krankenhaus nach amerikanischem Vorbild vereint Kliniken, Hörsäle und Institute unter einem Dach.

Betonkoloss für die Medizin: Bei den Entwürfen für den Neubau arbeiteten die Architekten eng mit Ärzten zusammen. Das Uni- Krankenhaus nach amerikanischem Vorbild vereint Kliniken, Hörsäle und Institute unter einem Dach.
Bildquelle: Charité Mediencenter CBF

Ohren wachsen ein Leben lang. Bei dieser „Jubilarin“ jedoch wuchs der Name. Charité – Universitätsmedizin Berlin – Campus Benjamin Franklin nennt sie sich, in ihren wilden Dreißigern noch Universitätsklinikum Benjamin Franklin. Ihr Taufname aber war kurz und knapp Klinikum Steglitz. Mit Blessuren, doch innerlich leuchtend steht sie heute da – allen Anfeindungen zum Trotz. Sie ist eben eine Kämpferin. Kein Wunder, verdankt sie ihre Existenz doch dem rauen weltpolitischen Klima der Nachkriegsjahre, insbesondere dem Viermächtestatus Berlins.

Bis 1945 gab es in der Stadt nur eine Universitätsklinik: die Charité. Nach Gründung der Freien Universität Berlin 1948 entsteht die Notwendigkeit einer weiteren Universitätsklinik im Westsektor. Denn eine große Universität ohne Fachbereich Medizin? Undenkbar! Das Klinikum Westend übernimmt zunächst diese Aufgabe, wird aber bald zu klein. Platz für Erweiterungsbauten fehlt, und der Wunsch nach einem modernen Neubau andernorts wird laut. Doch es mangelt an Geld.

Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister Berlins, legte 1959 den Grundstein für das Klinikum.

Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister Berlins, legte 1959 den Grundstein für das Klinikum.
Bildquelle: Charité Mediencenter CBF

Die USA haben Berlin schon mehrfach finanziell unter die Arme gegriffen. Beim Bau des Henry-Ford-Baus der Freien Universität etwa, der Amerika-Gedenkbibliothek und der Kongresshalle. Der Regierende Bürgermeister Willy Brandt trifft deshalb 1958 während seiner Washington- Reise Eleanor Dulles, um sie für das Projekt zu gewinnen. Die Schwester des amerikanischen Außenministers John Foster Dulles ist Deutschland sehr zugetan. Seine Mission hat Erfolg. Die Benjamin- Franklin-Stiftung übernimmt ein Fünftel der Kosten für den 304 Millionen D-Mark teuren Bau. Einzige Bedingung: US-Architekten planen das Gebäude, und zwar nach Vorbild des amerikanischen Department-Systems – also Klinken, Hörsäle und Institute unter einem Dach vereint. „Das war damals etwas völlig Neues, denn 100 Jahre lang hatte man in Deutschland Krankenhäuser in Pavillon- Bauweise errichtet: Jede Disziplin bekam ein eigenes Haus, in dem auch operiert wurde“, sagt Thomas Beddies, Medizinhistoriker der Charité.

Das Architektenbüro Curtis und Davis aus New Orleans entwirft zusammen mit dem Berliner Franz Mocken einen kompakten Behandlungs- und Forschungstrakt, flankiert von zwei konkav geformten Bettenhäusern. Seine „Schmetterlingsfigur“ erschließt sich nur aus der luftigen Perspektive des ADAC-Rettungshubschraubers Christoph 31, der seit 1987am Klinikum stationiert ist.

Einsatz für die Patienten: Der Rettungshubschrauber Christoph 31 durfte ab 1987 in der geteilten Stadt nur mit US-Amerikanern am Steuer starten

Einsatz für die Patienten: Der Rettungshubschrauber Christoph 31 durfte ab 1987 in der geteilten Stadt nur mit US-Amerikanern am Steuer starten
Bildquelle: Charité Mediencenter CBF

Mediziner und Architekten, je zur Hälfte Amerikaner und Deutsche, erarbeiten gemeinsam eine Vision: Kurze Wege und flache Hierarchien sollen Kooperationen über Fächergrenzen hinweg fördern. Ein „arbeitender Organismus“ soll entstehen. „Es wird der medizinischen Wissenschaft helfen, es wird dem Krankenhausneubau in Deutschland neue Wegeweisen!“, sagte Willy Brandt beim Richtfest am 24. Juni 1964 in der nunmehr geteilten Stadt. „Tatsächlich wurde das Klinikum Steglitz zum Prototyp für den modernen Krankenhausbau in Europa“, bestätigt Medizinhistoriker Beddies.

Als die Uniklinik nach elf Jahren Planungs- und Bauphase am 9. Oktober 1968 feierlich an die Freie Universität übergeben wird, sind am Teltowkanal zwischen Schlosspark Lichterfelde und Bäkepark 115000 Kubikmeter Beton, 8700 Tonnen Stahl, 3,5 Millionen Ziegelsteine und 20000 Quadratmeter Glas verbaut. Während des sechsmonatigen Probebetriebs ziehen Kliniken und Institute aus dem Westend nach Steglitz um, Personal wird eingestellt und die moderne Technik getestet – von der Zentralküche bis zur Intensivstation. Ein erster Patient liegt auch bereits unter dem Messer. Ausgerechnet Architekt Franz Mocken hatte wegen eines komplizierten Unterschenkelbruchs die „Ehre“, als erster im Klinikum operiert zu werden.

Betonkoloss für die Medizin: Bei den Entwürfen für den Neubau – hier das Richtfest 1964 – arbeiteten die Architekten eng mit Ärzten zusammen. Das Uni- Krankenhaus nach amerikanischem Vorbild vereint Kliniken, Hörsäle und Institute unter einem Dach.

Betonkoloss für die Medizin: Bei den Entwürfen für den Neubau – hier das Richtfest 1964 – arbeiteten die Architekten eng mit Ärzten zusammen. Das Uni- Krankenhaus nach amerikanischem Vorbild vereint Kliniken, Hörsäle und Institute unter einem Dach.
Bildquelle: Charité Mediencenter CBF

Studentenproteste begleiten die Klinikeröffnung. Man wettert gegen das veraltete Medizinstudium. Damals ahnt niemand, dass die Proteste in den 1990er-Jahren erneut aufflammen werden, und nicht umsonst gewesen sein sollen: Der „Reformstudiengang Medizin“ entsteht, aus dem sich 2015 an der Charité der modular angelegte „Modellstudiengang 2.0“ entwickeln wird.

Längst nicht alle Professoren ziehen mit nach Steglitz um. Einige, vor allem ältere Kolleginnen und Kollegen, wollen lieber im vertrauten Westend bleiben. „Mit der Folge, dass die Freie Universität nun quasi zwei Unikliniken hatte. Und die waren sich in ,freundlicher Abneigung’ zugetan“, erzählt Ulrich Frei, Ärztlicher Direktor der Charité. Mit dem Generationswechsel in den 1980er-Jahren kommen junge Klinikleiter ins Westend – und wollen auch einen Neubau. Der lässt sich aber nur auf dem Gelände des Virchow- Klinikums verwirklichen. Als 1989 die Mauer fällt, betoniert man dort gerade die Keller.

Berlin wird wieder eins – und hat nun drei Universitätskliniken, von denen jede um ihre Existenz ringt. „Der Dekan der Charité klebte das Etikett ,altehrwürdig’ an seine Klinik, die Steglitzer versicherten sich erneut der Unterstützung der Amerikaner und der Springerpresse – und das Virchow verwies auf den frischen Beton“, erzählt Frei.

Auch die Kleinsten waren in der Neonatologie gut versorgt

Auch die Kleinsten waren in der Neonatologie gut versorgt
Bildquelle: Charité Mediencenter CBF

1997 fusionieren Virchow-Klinikum und Charité. Aus dem Klinikum Steglitz, das sich zum Dank an die Amerikaner inzwischen in Universitätsklinikum Benjamin Franklin umbenannt hatte, soll nach dem Willen des Berliner Senats ein städtisches Krankenhaus werden. Nicht nur am Klinikum geht man auf die Barrikaden. Auch politisch war das nicht durchsetzbar. „Als Lösung wurde 2003 die Charité – Universitätsmedizin Berlin erfunden“, sagt Frei. Seither gibt es nur noch eine Medizinische Fakultät in Berlin – aber mit zwei Mutteruniversitäten. Das ist weltweit einmalig.

Ulrich Freis Hauptaufgabe wird es, die drei Kliniken – Mitte, Virchow und Steglitz – zusammenzuführen und ein tragfähiges inhaltliches Konzept für das „Gesamtkunstwerk Charité“ zu entwickeln, wie es Frei nennt. „In Mitte gibt es den Cluster NeuroCure, das Rheumaforschungszentrum und das Max-Plack-Institut für Infektionsbiologie. Neurowissenschaften und Infektionsmedizin sind also hier die Schwerpunkte“, erklärt Frei. Das Virchow- Krankenhaus hat den Fokus auf Tumor- und Transplantationschirurgie und das Mutter-Kind- Zentrum, welches das Benjamin-Franklin-Klinikum hergeben musste.

Und Steglitz? Für den damals stark überalterten Bezirk sehr passend, wird als neuer Schwerpunkt Degenerative Erkrankungen und Medizin der zweiten Lebenshälfte festgelegt. „Unter Protest von allen Seiten!“, erinnert sich Frei. „Es gab die Befürchtung, dass aus dem Klinikum eine einzige große Geriatrie wird. Letztlich wurde jedoch allen klar, dass sich angesichts des demografischen Wandels jedes medizinische Fach mit dem alternden Patienten befassen muss.“ Eine Erkenntnis, die sich auch im Forschungsverbund „Disease in Human Aging“ (DynAge) spiegelt, den die Freie Universität 2013 ins Leben ruft.

50 Jahre haben Spuren hinterlassen, auch am Gemäuer. Der Zahn der Zeit hat am Klinik-Komplex genagt, der seit 2013 als Beispiel für die „Nachkriegsmoderne“ unter Denkmalschutz steht. Jede zehnte der 236320 Betonspitzen etwa, die – zusammengesetzt zu stilisierten Wirbelsäulen – den Mitteltrakt verkleiden, ist marode, Elektrik und Bettenhäuser zum Teil veraltet. Während Sanierung und Modernisierung erst in den vergangenen Jahren in Schwung kamen, verjüngt sich der „arbeitende Organismus“ im Inneren naturgemäß von selbst. Welch’ gewaltige Sprünge der medizinische Fortschritt dabei macht, zeigt sich am Beispiel der Kardiologie. Als Heinz-Peter Schultheiß bei seinem Einstand im Jahr 1994 statt zur Lyse-Therapie bei akutem Infarkt sofort zum Herzkatheter greift, Gefäße mit dem Ballon wieder öffnet und Stents als Stützen einsetzt, sorgt das in der Berliner Kardiologenszene für „Gesprächsstoff.“ Heute ist es die Standardtherapie. 2014 reicht Schultheiß sein Zepter - sprich: den Katheter – an Ulf Landmesser weiter. Der neue Direktor der Medizinischen Klinik für Kardiologie ersetzt sogar Herzklappen minimalinvasiv über die Leistenarterie.

„Während Ende der 1960er Jahre nur 40 bis 50 Prozent der Infarktpatienten überlebten, sind es heute fast 95 Prozent. Noch vor 20 Jahren hat man bei 80-Jährigen nicht mehr viel gemacht – heute operieren wir erfolgreich auch Menschen, die älter als 90 Jahre sind und noch eine gute Lebensqualität haben“, sagt Landmesser. Gesund alt zu werden, ist das Ziel. Wenn ein Eingriff nötig wird, dann sollte dieser so schonend wie möglich erfolgen, wofür etwa auch ein hochmoderner sogenannter Hybrid-Eingriffsraum neu etabliert wurde. Der „beste“ Infarkt ist aber der, der gar nicht erst stattfindet. Zu Landmessers Forschungszielen gehört es deshalb auch, anhand von Markern im Blut Risikopatienten frühzeitiger zu erkennen und prophylaktisch zu behandeln.

Interdisziplinarität ist heute selbstverständlich. Und so gibt es regen Austausch etwa zwischen der Kardiologie und der von Isabella Heuser geleiteten Klinik für Psychiatrie. „Gerade bei hochbetagten Patienten kommt es nach Eingriffen nicht selten zu einem Delirium“, sagt Heuser. „Nach Infarkt oder anderen schweren Erkrankungen entwickeln ältere Menschen auch leicht eine Depression.“ Oder umgekehrt: Heuser forscht unter anderemzu dem Zusammenhang von psychischen Störungen und einem erhöhten kardiovaskulären Risiko. Als hochbetagt bezeichnen Mediziner übrigens bereits Menschen ab 75 Jahren – auch wenn heute 75 als „das neue 60“ gilt.

Die Psychiatrie der Freien Universität zog erst 2014 und damit als letzte Klinik aus dem „Provisorium Westend“ nach Steglitz um. Die Einrichtung in der Eschenallee war sanierungsbedürftig, und deshalbwurden mehrere Etagen im Klinikum Benjamin Franklin umgebaut. Zur Abteilung gehören neben fünf spezialisierten Stationen mehrere Spezialambulanzen wie etwa die Gedächtnis-Sprechstunde, eine arabische und vietnamesische, muttersprachlich geführte Ambulanz sowie zwei Tageskliniken und eine stationäre Mutter-Kind-Einheit. Enge Kontakte zur Freien Universität hat Heusers Team über den Forschungsverbund DynAge und das Dahlem Institute of Neuroimaging of Emotions, in dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Zusammenspiel von Kognition und Emotion erforschen.

Aus gemeinsamen Konsultationen ergaben sich nicht selten neue Forschungsansätze. Denn ist ein Organ krank, wird oft auch ein anderer Teil des Organismus in Mitleidenschaft gezogen. Britta Siegmund, Direktor in der Klinik für Gastroenterologie, kooperiert deshalb mit den Rheumatologen und Dermatologen im Haus sowie ebenfalls mit den Kollegen in der Kardiologie. Siegmund ist Spezialistin für entzündliche Darmerkrankungen wie etwa Morbus Crohn und Colitisulcerosa, die meist im Alter von 20 bis 40 Jahren auftreten und einen weiteren Gipfel in der zweiten Lebenshälfte haben. „Bei unseren Patienten treten begleitend nicht nur Gelenkbeschwerden auf. Sie haben auch ein erhöhtes Risiko für koronare Herzerkrankungen. Denn weil bereits eine Entzündung im Körper ist, sind auch die Gefäße dafür anfälliger“, erklärt Siegmund. Kardiologinnen und Kardiologen ihrerseits sehen immer mehr den entzündlichen Aspekt eines Infarkts, was auch als neuer Therapieansatz untersucht wird. Wechsel von Klinikdirektorinnen und -direktorenwerden heute genutzt, um durch Neuberufungen die Schwerpunktbildung voranzutreiben. Und so arbeiten am Klinikum Benjamin Franklin inzwischen auch Spezialisten für Darmtumor- Chirurgie, Psychosomatik und Mikrobiologie mit Schwerpunkt Immunologie.

Die anfängliche Befürchtung, aus dem Steglitzer Campus werde eine „gigantische Geriatrie“, ist heute völlig unbegründet. Hier wird weiterhin in ganzer Bandbreite behandelt – vom Armbruch bis zum Zervix-Karzinom. Zur Charité zu gehören, empfinden die Leiterinnen und Leiter der Kliniken heute als Gewinn. Wegen der regen Kontakte zwischen den drei Standorten – aber natürlich auch wegen des Renommees. „Selbst bei Kongressen in Shanghai kennt man die Charité“, sagt Ulf Landmesser nicht ohne Stolz. Durch den ehrwürdigen Namen werde die Forschung am Klinikum international noch mehr wahrgenommen.

Dank seines markanten Sixties-Outfits – insbesondere wegen der filigranen Hülle des Mitteltraktes – ist das Klinikum auf dem Campus Benjamin Franklin auch bei Filmschaffenden angesagt. Unter anderem wird hier der Medizin-Thriller „Anatomie 2“ gedreht, der 2003 in die Kinos kam. Zehn Jahre später ermittelt „Rosa Roth“ (alias Iris Berben) in der Folge „Der letzte Schuss“. So furchterregend wie in den Filmen ist das Geschehen am CBF, wie der Klinikkomplex auch abgekürzt heißt, bei weitem nicht. Es ist kein düsterer Ort, sondern voller Leben. Auf dem zentralen, lichten Gang zu den Fahrstühlen, in dem sich Ausstellungen abwechseln, eilen Studierende zum Hörsaal, Weißkittel zur Visite, Patienten und Besucher Richtung Park zum Spaziergang. Nur an einem kann auch das beste Krankenhaus der Welt nichts ändern: Der Tod gehört zum Leben. Aber die Ärztinnen und Ärzte am Benjamin Franklin arbeiten – ebenso wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – mit Hochdruck daran, ihn weit auf Abstand zu halten. Damit wir möglichst gesund alt werden können. Eine gute Perspektive – für das Klinikum und für die Patienten.