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Die Welt anders denken

Start neuer Vortragsreihe mit Felwine Sarr: Afrika jenseits des euroamerikanischen Blicks

04.12.2019

Mit dem senegalesischen Ökonomen, Sozial- und Geisteswissenschaftler Felwine Sarr startete die erste „Berlin Southern Theory Lecture“.

Mit dem senegalesischen Ökonomen, Sozial- und Geisteswissenschaftler Felwine Sarr startete die erste „Berlin Southern Theory Lecture“.
Bildquelle: Antoine Tempé

Am 11. Dezember fand die erste „Berlin Southern Theory Lecture“ statt. Die vom Institut für Sozial- und Kulturanthropologie der Freien Universität und dem Leibniz-Zentrum Moderner Orient organisierte Vortragsreihe nimmt Ideen und wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem globalen Süden in den Fokus. Den Auftakt machte der senegalesische Ökonom, Sozial- und Geisteswissenschaftler Felwine Sarr mit dem Vortrag „Rewriting the humanities from Africa: for an ecology of knowledge“. Sandra Calkins, Juniorprofessorin am Institut für Sozial-und Kulturanthropologie, und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Kristina Mashimi hatten die Reihe mitinitiiert.

Frau Professorin Calkins, Frau Mashimi, worum geht es in der neuen Vortragsreihe?

SANDRA CALKINS: Wir wollen über geopolitische Dimensionen in der Wissensproduktion diskutieren, indem wir den Blick auf Denker und Denkerinnen aus dem globalen Süden aus afrikanischen, südamerikanischen oder asiatischen Ländern richten. Noch zu selten wird der globale Süden als Quelle eigenständigen Theoretisierens und Nachdenkens über die Welt betrachtet.

KRISTINA MASHIMI: Es geht darum, südliche Theorie und Epistemologie in den Vordergrund zu stellen und Denktraditionen jenseits von euro-amerikanischen Theorien zu würdigen. Durch die Veranstaltung möchten wir diese theoretischen Ansätze und Beiträge in eine breitere Öffentlichkeit tragen.

Warum ist das wichtig?

CALKINS: Die Sozialwissenschaften sind junge akademische Disziplinen, die überwiegend in den vergangenen 150 Jahren entstanden sind – eine Zeit, in der Europa ganze Kontinente dominierte und vielfach kolonisierte. Seitdem hat sich die Welt stark verändert. Heute sind Länder wie Indien oder China Entwicklungsmotor. Trotz der globalisierten, multizentrischen Welt operieren wir in den Sozialwissenschaften teilweise nach wie vor mit einem recht engen Bestand euroamerikanischer Theorien und Konzepte. Inwiefern unsere Theorien an die neuen Realitäten angepasst werden müssen, muss diskutiert werden.

An wen richtet sich die Vortragsreihe?

CALKINS: Sie ist für Studierende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gedacht, wir wollen aber bewusst auch eine breitere Öffentlichkeit ansprechen. Auch deshalb findet die Lecture im Museum in Dahlem statt. Wir wünschen uns, dass sie einen Einfluss auf die Berliner Theorielandschaft hat, der sich über die Jahre verstetigt.

MASHIMI: Gerade in einer kulturell so diversen Stadt wie Berlin ist es wichtig, über dekoloniale Formen der Wissensproduktion nachzudenken. Das Thema ist für alle relevant, weil es unsere Vorstellung von der Welt prägt.

Den Auftakt macht Felwine Sarr – warum?

CALKINS: Sarr ist bei uns vor allem durch den Bericht für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron bekannt geworden. Darin fordert er mit der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy die Rückgabe afrikanischer Kunst aus der Kolonialzeit. Uns hat vor allem sein Buch „Afrotopia“ interessiert, das in diesem Jahr auf Deutsch erschienen ist. Darin geht es um die Entwicklung afrikanischer Utopien, die sich nicht nur an westlichen neoliberalen oder kapitalistischen Idealen wie Wachstum oder der Höhe des Bruttosozialprodukts orientieren, sondern sich auf eigene Werte besinnen. Dazu zählt Sarr etwa den geistigen Reichtum Afrikas, die Betonung des Gemeinschaftssinns oder die Anerkennung der unauflöslichen Verbundenheit mit der Natur. In einer Zeit, in der wir über Alternativen zum Wachstumsfetischismus unserer Gesellschaften nachdenken, zeigt Sarr neue Entwicklungshorizonte auf.

MASHIMI: In „Afrotopia“ spricht Sarr sich dafür aus, dass Afrika eigene Metaphern für die Zukunft entwickeln und sich unabhängig machen muss vomeuropäischen und nordamerikanischen Blickwinkel und Erbe. Er plädiert aber auch für Austausch und eine lebhafte Debatte zwischen den Kulturen. Auf dem Podium ist mit Kai Kresse, Professor an unserem Institut und Vizedirektor am Leibniz-Zentrum Moderner Orient, ein weiterer Kenner südlicher Theorien und Epistemologien.

Die Fragen stellte Amely Schneider.