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Die Haut der Erde

In Chile untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen, welche Kräfte die Erdoberfläche mehr beeinflussen – geologische oder biologische. Und sammeln dabei Erkenntnisse zu möglichen Folgen des Klimawandels.

02.12.2019

An der Steilküste des Nationalparks Pan de Azúcar in Chile trifft der größte Ozean der Erde, der Pazifik, mit der trockensten Wüste der Erde,der Atacama, zusammen. Der kühle pazifische Humboldt-Strom verursacht die Trockenheit der angrenzenden Wüste.

An der Steilküste des Nationalparks Pan de Azúcar in Chile trifft der größte Ozean der Erde, der Pazifik, mit der trockensten Wüste der Erde,der Atacama, zusammen. Der kühle pazifische Humboldt-Strom verursacht die Trockenheit der angrenzenden Wüste.
Bildquelle: Friedhelm von Blanckenburg

Seit Urzeiten wird die Oberfläche der Erde durch gegenläufige Kräfte geformt: Gewaltige Prozesse im Inneren des Planeten heben die Erdkruste an, und durch Verwitterung, Wasser und Anreicherung mit organischen Substanzen wie Pflanzenresten entsteht Boden. Klimabedingte Erosion – durch Regen, Wind, und Gletscher – trägt den Boden von oben wieder ab.

Aber es gibt noch einen dritten „Akteur“: die Vielfalt des Lebens. Inwiefern beeinflussen Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen diese beiden Prozesse? Wer formt was? Die Biowelt die Geowelt – oder umgekehrt? Diese Wechselwirkungen sind bisher kaum verstanden.

Seit 2016 gehen 60 deutsche und 20 chilenische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diesen Fragen im Rahmen des Schwerpunktprogramms EarthShape Earth Surface Shaping by Biota nach, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Chile bietet ideale Voraussetzungen für dieses Großprojekt, weil sich das Küstengebirge des Landes über 2000 Kilometer in Nord-Süd-Richtung erstreckt und die vier Naturparks, in denen die Teams forschen, in sehr unterschiedlichen Klimazonen liegen.

Mit seinen vielen Klimazonen bietet Chile ideale Forschungsvoraussetzungen

„In der Atacamawüste im Norden, in Pan de Azúcar, regnet es nur alle zehn Jahre, und es gibt fast keine Vegetation. Am südlichsten Standort, in Nahuelbuta, haben wir einen üppigen Regenwald mit kräftigen Niederschlägen. Dazwischen liegen Santa Gracia und La Campana, die den Übergang zwischen beiden Extremen abbilden“, sagt Geochemiker Friedhelm von Blanckenburg. Er ist Professor an der Freien Universität Berlin und Leiter der Sektion „Geochemie der Erdoberfläche“ am Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam. Gemeinsam mit dem Geologen Todd Ehlers von der Universität Tübingen koordiniert er das auf sechs Jahre angelegte Projekt.

Geochemiker, Geophysiker und Geomorphologen sowie Hydrologen gehören ebenso zum Team wie Expertinnen und Experten für Klimakunde, Mikrobiologie, Boden- und Vegetationsökologie. Mit Wetterstationen, fotografischer Langzeitbeobachtung, Luftbildern, Tiefenbohrungen bis zu 100 Metern, der Entnahme von Bodenprofilen, DNA-Analysen von Mikroorganismen, geochemischen Messungen an Boden und Gestein sowie computergestützten Klima- und Vegetationsmodellen ergründen sie die Geheimnisse der Formung der Erdoberfläche. Und dies jeweils parallel an allen vier Standorten.

Extrem trocken bis tropisch-feucht – der Klimagradient spiegelt sich nicht nur in der Vegetation, sondern auch in der Morphologie der Landschaft wider. „Im Süden, wo viel Bewuchs ist, sehen wir breite Hänge, die flache Täler umschließen. Im Norden dagegen gibt es mehr und schmalere Täler“, erläutert Friedhelm von Blanckenburg. Der Grund: Wenn es in der Atacama zu einem der seltenen Regenfälle kommt, dann kurz und heftig, und verwittertes Gestein wird schnell in engen Rinnen fortgespült. Im Süden hingegen stabilisieren die Blattdächer von Bäumen und deren Wurzeln den Boden.

In der Wüste untersuchten die Biologen unter anderem RockCoatings und Bodenkrusten, Beläge, die auf allen Steinen zu finden sind. Sie bestehen aus Algen und Pilzen, die miteinander in Symbiose leben. „Die Algen liefern den Pilzen durch Photosynthese Energie in Form von Kohlenstoffhydraten. Und die Pilze lösen dafür die für die Algen wichtigen Nährstoffe wie Phosphor, Magnesium, Calcium und Kalium aus dem Stein“, erklärt der GFZ-Forscher. „Diese chemischen und biologischen Vorgänge tragen letztlich auch zur Verwitterung bei.“ Im humiden Süden finden diese Mikroben- Gesteins-Wechselwirkungen in viel größerem Maßstab statt: Hier betreiben große Bäume die Photosynthese, und ein Geflecht aus Mykorrhiza-Pilzen in deren Wurzelbereich zieht Nährstoffe aus dem Boden.

Neben der Forschung haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine weitere Aufgabe: Die Barrieren zwischen ihren Disziplinen einzureißen, was bereits bei der Fachsprache anfängt. „Begriffe wie langfristig und kurzfristig zum Beispiel benutzen alle Fächer in anderer Weise, weil unsere Zeitskalen sehr verschieden sind“, sagt Friedhelm von Blanckenburg. Kurzfristig ist in der Geologie alles, was nach der letzten Kaltzeit vor 20.000 Jahren geschehen ist. Vegetationsökologen wiederum meinen damit Vorgänge, die innerhalb von Wochen ablaufen. Zum Beispiel, wenn die Wüste nach einem seltenen Regenschauer plötzlich erblüht.

Das ist wiederum für Mikrobiologen schon ein langfristiges Geschehen, denn manches Bakterium hat bereits innerhalb von 20 Minuten für die nächste Generation gesorgt. „Da kann man fantastisch aneinander vorbeireden. Aber jetzt, im vierten Jahr, haben wir zumindest angefangen, uns zu verstehen“, sagt der Geochemiker mit einem Lächeln. Gut zu wissen, wovon die anderen sprechen. Denn um das „SystemErde“ zu verstehen, gilt es, den Planeten ganzheitlich zu betrachten. Die feste Erde, die Ozeane, das Wasser auf den Kontinenten und die gesamte Biosphäre sind verbundene Systeme. Ihre Erforschung erfordert eine wissenschaftliche Verständigung ohne Barrieren.

„Biologen können über Jahre direkt verfolgen, wie sich Ökosysteme verändern. Wir Geologen können das nicht. Dafür sind geologische Zeiträume zu lang“

Schwerstarbeit: Wissenschaftler untersuchen den Boden im ariden Nationalpark Pan de Azúcar in Chile. Die stark zerfurchte Landschaft entsteht, wenn bei den seltenen Niederschlägen aufgrund der fehlenden Vegetation viel Sediment abgetragen wird.

Schwerstarbeit: Wissenschaftler untersuchen den Boden im ariden Nationalpark Pan de Azúcar in Chile. Die stark zerfurchte Landschaft entsteht, wenn bei den seltenen Niederschlägen aufgrund der fehlenden Vegetation viel Sediment abgetragen wird.
Bildquelle: Friedhelm von Blanckenburg

Die unterschiedlichen Zeitskalen wirken sich auch auf die Beobachtung von Phänomenen aus. „Biologen können über Jahre direkt verfolgen, wie sich Ökosysteme verändern. Wir Geologen können das nicht. Dafür sind geologische Zeiträume zu lang“, sagt von Blanckenburg.

Aber es gibt indirekte „Beobachtungsmethoden“: Durch kosmische Strahlung entsteht in der Erdatmosphäre unter anderem das radioaktive Isotop Beryllium-10. Es sinkt auf die Erde herab und lagert sich im Boden an. Weil Berylium-10 eine Halbwertszeit von 1,4 Millionen Jahren hat, kommt es im Millionen Jahre alten Erdgestein natürlicherweise nicht vor. Somit können Geochemiker etwa in Flusssand mithilfe von Messungen kosmogener Nuklide wie Beryllium-10 die Geschwindigkeit der Gesteinserosion bis zu 100.000 Jahre rückwirkend ermitteln.

„Je langsamer Gestein erodiert, desto mehr Beryllium-10 finden wir im Sand.“ Zehn Millimeter Erosion in 1000 Jahren – das ist „langsam“. Geologisch gesehen. Das Andengebirge in Chile hebt sich aber vergleichsweise schnell, weil vor der Küste des Landes zwei Kontinentalplatten aufeinandertreffen. Und deswegen geht die Erosion dort auch schneller voran. Immer wieder werden die Daten zusammengetragen und diskutiert. Sie fließen unter anderem in Modelle ein – etwa zur Morphologie und zu Kohlenstoff oder Nährstoffkreisläufen im Gelände.

Die Forscherinnen und Forscher haben fundamentale Unterschiede gefunden zwischen Trocken- und Feuchtgebieten: In trockenen Regionen sind die Nährstoffzyklen langsamer, und die Pflanzen nehmen deutlich mehr mineralische Nährstoffe aus dem Gestein auf als aus dem Boden. Weil weniger Boden da ist. Manche Hypothese erwies sich inzwischen als falsch. Etwa, dass die Verwitterung der Oberfläche von Norden nach Süden in dem Maße ansteigt wie die Niederschlagsmengen. Demnach müsste sie sich verfünffachen – doch sie ist überall etwa gleich. Verlangsamt die Vegetation die Verwitterung? Die Forscher rätseln noch.

Ein 30-minütiger Film bietet Einblick in die Forschungsarbeit

Zudem sehen sie anhand der Daten, dass Nährstoffe – vor allem Phosphor – von den Bäumen bis zu 30 Mal wieder aufgenommen und in den Nährstoffkreislauf zurückgeführt werden, bevor der Regen sie auswäscht oder sie ins Grundwasser einsickern. „Das Ökosystem betreibt eine regelrechte Kreislaufwirtschaft. Möglicherweise wird dadurch die Verwitterung entschleunigt“, sagt von Blanckenburg.

Derartige Zusammenhänge und Rückkopplungen zu erkennen sei auch wichtig, um genauere Prognosen für den globalen Klimawandel erstellen zu können: „Wenn wir einen Standort weiter in den Norden fahren, wo es viel trockener ist, zeigt uns das möglicherweise ein Bild davon, wie es in 100 Jahren an unserem Ausgangsort weiter südlich aussehen könnte.“ Apropos Zusammenhänge: Anthropogene Aspekte, also den Einfluss des Menschen, untersuchen die Forscher bei EarthShape nicht. Sie haben dies sogar explizit ausgeschlossen, indem sie, wenn möglich, nur dort arbeiten, wo weitgehend ursprüngliche Vegetation vorherrscht.

„Der Mensch würde eine Komplexität in das Projekt hineinbringen, die uns völlig überfordern würde“, sagt Friedhelm von Blanckenburg. Einblick in die Forschungsarbeiten in Chile kann übrigens jeder nehmen. Im Rahmen des Projektes entstand – in Kooperation mit dem Filmbüro Potsdam – ein eindrucksvoller, rund 30-minütiger Wissenschaftsfilm. „Die Haut der Erde – Wo Leben auf Steine trifft“ ist in deutscher, englischer und spanischer Fassung auf dem Online-Kanal Youtube zu sehen.