Die ganze Welt in einem Garten
Der Botanische Garten in Dahlem erhält eine neue Besucherinfrastruktur. 2022 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein
05.06.2019
Im Mittelmeerhaus stehen die Fenster offen: Es duftet nach Rosmarin, Salbei und italienischer Strohblume, nach mediterranem Mischwald im Frühsommer. Woher genau der Duft weht, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen: Sind es die Kanarischen Inseln? Oder Spanien, das nur ein paar Schritte weit entfernt liegt? Vielleicht sogar Griechenland, das hinter der nächsten Weggabelung beginnt?
„Die Welt in einem Garten“ lautet das Gestaltungsprinzip des Botanischen Gartens in Berlin Dahlem, und das schon seit mehr als 100 Jahren. Verlässt man die Pflanzenwelt des Mittelmeeres, wiegen sich – einen Steinwurf entfernt – nordamerikanische Kiefern im Wind, spaziert man den Weg entlang, landet man in Zentralasien, dann in China. Die ganze Nordhalbkugel ist dort auf eineinhalb Kilometern ausgebreitet – pflanzlich zumindest – und kann durchreist werden: erblickt, erschnuppert und erfahren.
Doch die Wegweiser, das Besucherleitsystem, die Wege selbst: All das ist etwas in die Jahre gekommen. Die ganze Besucherinfrastruktur soll deswegen jetzt von Grund auf erneuert werden. Möglich machen das Zuschüsse aus dem Fördertopf „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW), die 2015 und 2018 bewilligt wurden: Ein neues Besucherzentrum am Haupteingang wird gebaut, Teichanlagen werden saniert, zahlreiche Wege erneuert und ein neues Leitsystem für Besucherinnen und Besucher erstellt.
Für Professor Thomas Borsch, Direktor des Botanischen Gartens und des angeschlossenen Botanischen Museums, stehen diese Arbeiten in einem größeren Zusammenhang: Sie sind Teil eines Masterplans, der auch für die Zukunft sicherstellen wird, dass der Botanische Garten seinen Auftrag adäquat erfüllen kann: pflanzliche Vielfalt für ein breites Publikum anschaulich zu machen und zugleich das Wissen darüber zu vermitteln.
Der Botanische Garten ist ein „Gartenkunstwerk“
Der Botanische Garten ist eine Zentraleinrichtung der Freien Universität und verfügt über die zweitgrößte Sammlung lebender Pflanzen weltweit, übertroffen nur von den Royal Botanic Gardens in Kew, London. Mehr als 20000 Pflanzenarten gibt es im „Hauptstadtgarten Berlins“, wie Borsch ihn nennt. Dabei ist der Botanische Garten eben kein Park, sondern ein „Gartenkunstwerk“ auf 43 Hektar, in dem jede Pflanze wissenschaftlich dokumentiert und jeder Quadratmeter gestalterisch durchgeplant ist.
Mit der Sammlung lebender Pflanzen eng verknüpft ist das Herbarium mit mehr als 3,8 Millionen Pflanzenbelegen, in dem nicht nur die botanische Ausbeute der Amerikaexpedition von Alexander von Humboldt gehütet wird, sondern die immer noch ständig erweitert wird, jedes Jahr um etwa 40.000 neue Objekte. Zuwächse gibt es ebenso in der DNA-Bank, in der bei minus 80 Grad die Erbsubstanz Tausender Pflanzenarten aufbewahrt wird, sowie in der Dahlemer Saatgutbank, der größten deutschen Wildpflanzen- Genbank.
Über mangelndes Interesse an den Schätzen des Gartens kann sich Thomas Borsch nicht beklagen, im Gegenteil: Drohendes Artensterben und Biodiversitätsverlust seien seit jeher die Kernthemen des Gartens und des Botanischen Museums gewesen, sagt er: „Das Bewusstsein für die Bedeutung der biologischen Vielfalt kommt immer mehr in der Gesellschaft an.“ Zur Zielsetzung des Botanischen Gartens gehöre auch, für Umweltthemen zu sensibilisieren und Wissen darüber zu vermitteln, wie sich biologische Vielfalt nachhaltig erhalten lässt. „Unsere Institution hat daher seit Jahren steigende Besucherzahlen – 2018 etwa 450000 – und wird damit immer mehr zum Magnet im Südwesten Berlins.“
Das weitläufige Areal, zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Teil einer Art preußischen Wissenscampus in Dahlem angelegt, ist dank der Vielfalt der Pflanzenarten, die es hier gibt, auch einer der insektenreichsten Orte Berlins.
Wie aber lässt sich das Wissen über die pflanzliche Vielfalt, die Natur und den Einfluss des Menschen Besucherinnen und Besuchern aus Berlin und der ganzen Welt vermitteln? Dafür soll die Infrastruktur jetzt grundlegend neugestaltet werden: Die pflanzengeographische Anlage, die ebenso bereits vor hundert Jahren geschaffen wurde, um die Lebensräume der Pflanzen auf der Nordhalbkugel zu modellieren, wird erstmals deutlich in Szene gesetzt. Die neue Besucherinformation soll dann zahlreiche Geschichten zu den Pflanzen erzählen. Erneuert werden auch alle Leitsysteme, mithilfe derer sich die Gäste im Garten orientieren können.
Mit der Neuanlage eines Nutzpflanzengartens wird sich der Botanische Garten noch stärker aktuellen gesellschaftlichen Themen widmen wie Nachhaltigkeit und Ernährung oder Urban Gardening.
Schließlich wird ein Besucherzentrum am Eingang Königin-Luise-Platz entstehen, und im Arboretum werden die Teichanlagen saniert. Zeitgleich zur grundlegenden Erneuerung von Wegen und sanitären Anlagen ersetzt der Energiekonzern Vattenfall auch die unter dem Hauptweg des Gartens verlaufende Fernwärmeleitung. Die Leitung wird in drei Abschnitten jeweils außerhalb der Heizperiode ausgetauscht. Dadurch, dass die Arbeiten parallel zu den Baumaßnahmen des Botanischen Gartens stattfinden, wird verhindert, dass die Wege zweimal aufgerissen werden müssen.
Die Gesamtförderung aus dem Programm zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur beträgt 14 Millionen Euro für die Neugestaltung der Freilandbereiche des Gartens, 7,5Millionen Euro stehen für das Botanische Museum zur Verfügung, wo vom Herbst 2019 an die Dauer- und Sonderausstellungsbereiche neu konzipiert werden.
Direktor Thomas Borsch rechnet derzeit damit, dass die Arbeiten bis zum Frühjahr 2022 abgeschlossen sein werden. Auch wenn die Bauarbeiten schon am Eingangsbereich sichtbar sind: Der Botanische Garten bleibt während der gesamten Zeit für Besucherinnen und Besucher geöffnet. Auch die amazonische Riesenseerose Victoria im kürzlich wiedereröffneten Victoria-Haus – die derzeit in voller Blüte steht –wird weiterhin bewundert werden können. Und am 15. Juni widmet das Botanische Museum seinen Beitrag zur Langen Nacht der Wissenschaften ganz den Pflanzen Alexander von Humboldts.