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Künstliche Intelligenz löst Physikproblem

Forscher entwickeln neues Verfahren

26.09.2019

Informatikprofessor Frank Noé nutzt Künstliche Intelligenz für Grundlagenforschung.

Informatikprofessor Frank Noé nutzt Künstliche Intelligenz für Grundlagenforschung.
Bildquelle: Privat

Ein Forschungsteam der Freien Universität Berlin hat mithilfe von Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) einen grundlegend neuen Lösungsansatz für das „Sampling Problem“ in der statistischen Physik entwickelt. Das Samplingproblem besteht darin, dass wichtige Eigenschaften von Molekülen und Materialien nicht auf der Grundlage der Interaktion ihrer atomaren Bestandteile berechnet werden können, weil die dafür benötigte Rechenzeit selbst die Kapazitäten von Supercomputern sprengt.

Einem Team um Professor Frank Noé von der Freien Universität ist es nun gelungen, ein sogenanntes tiefes Lernverfahren zu entwickeln, das diese Berechnungen massiv beschleunigt und damit für viele Anwendungen erst ermöglicht. Die Studie wurde kürzlich in der Zeitschrift Science veröffentlicht.

Im Mittelpunkt der statistischen Physik steht die Berechnung der Eigenschaften von Materialien und Molekülen auf der Grundlage der Bewegung ihrer atomaren Bestandteile. Ermittelt werden kann auf diese Weise beispielsweise die Schmelztemperatur eines Metalls oder die Fähigkeit eines Antibiotikums, sich an die Moleküle eines Bakteriums zu binden und es damit unschädlich zu machen. Mit statistischen Verfahren können solche Eigenschaften im Computer berechnet und somit die Materialeigenschaften oder Effektivität von Medikamenten verbessert werden.

Eines der Hauptprobleme bei dieser Berechnung ist der massive Rechenaufwand, führt Simon Olsson, einer der Koautoren der Studie aus: „Im Prinzip müssten wir jede mögliche Struktur, also die Anordnung aller Atome im Raum, ausprobieren, die Wahrscheinlichkeit für deren Existenz ausrechnen und dann einen Mittelwert über all diese Strukturen bilden. Doch das geht nicht, denn die Anzahl möglicher Strukturen ist selbst für kleine Moleküle astronomisch groß. Daher ist der übliche Ansatz, die dynamischen Bewegungen und Fluktuationen der Moleküle zu simulieren, umso nur ganzwenige, sehr wahrscheinliche Strukturen abzutasten. Leider sind Simulationen oft so aufwendig, dass sie nicht einmal auf Supercomputern durchgeführt werden können.“

„Das ist ein völlig neuer Ansatz, der die Tür für weitere Entwicklungen öffnet“

Mit der KI-Methode von Professor Frank Noés Team ist nun ein völlig neuer Zugang zum Samplingproblem gelungen: „Statt die Bewegungen des Moleküls in kleinen Schritten zu simulieren, steuern wir die wahrscheinlichen Molekülstrukturen direkt an und ziehen sie aus der großen Menge der unwahrscheinlichen Molekülstrukturen heraus“, erklärt Frank Noé.

Jonas Köhler, ein weiterer Koautor und Spezialist für maschinelles Lernen erklärt das Verfahren an einem Beispiel: „Stellen wir uns vor, wir geben einen Tropfen Tinte in eine Badewanne voll Wasser. Die Tinte zerfließt und verteilt sich. Nun wollen wir die Tintenmoleküle wiederfinden. Wenn wir das durch zufälliges Ziehen von Molekülen aus der Wanne machen wollten, wäre das sehr ineffizient, wir müssten die gesamte Wanne leeren. Stattdessen lernen wir mit KI-Methoden etwas über den Verlauf der Strömungen im Wasser, die die Tinte über die Zeit verteilen mit einem invertierbaren neuronalen Netz. Mit einem solchen Netz können wir gewissermaßen die Strömung umdrehen – also sozusagen die Zeit rückwärtslaufen lassen – und dann alle Tintenmoleküle im Tropfen wiederfinden, ohne den Rest der Wanne absuchen zu müssen.“

Es sind noch viele Herausforderungen zu lösen, um den von Noés Team entwickelten Ansatz für industrielle Anwendungen nutzbar zu machen. „Das ist Grundlagenforschung“, erklärt Noé, „aber es ist ein völlig neuer Ansatz für ein altes Problem, der nun die Tür für viele weitere Entwicklungen eröffnet.“ Gefördert wurde das Forschungsprojekt vom Europäischen Wissenschaftsrat, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, vom Exzellenzcluster MATH+, der Alexander- von-Humboldt-Stiftung und dem Thousand Talents Program der Chinesischen Regierung.