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Das tote Mädchen von Ba’ja

Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung von Archäologinnen und Archäologen der Freien Universität Berlin hat in Jordanien ein 9000 Jahre altes Grab ausgegraben und ausgewertet

02.12.2021

Geduldsaufgabe. Die Restauratorinnen Alice Costes und Andrea Fischer (im Bild) haben gemeinsam mit der Archäologin Hala Alarashi daran gearbeitet, die einzelnen Perlen zum Schmuck zusammenzusetzen.

Geduldsaufgabe. Die Restauratorinnen Alice Costes und Andrea Fischer (im Bild) haben gemeinsam mit der Archäologin Hala Alarashi daran gearbeitet, die einzelnen Perlen zum Schmuck zusammenzusetzen.
Bildquelle: Marion Benz

Auf einem Hochplateau im Süden Jordaniens, umgeben von rotbraunen zerklüfteten Sandsteinfelsen und tiefen Schluchten, liegt eine Siedlung. Mehrere Hundert Menschen leben hier in Ba’ja: Ihre Häuser stehen dicht an dicht zusammen, von einem zum anderen läuft man über die Dächer.

Das Dorf steht an einer Zeitenwende vor 9000 Jahren, in einer Zeit des Übergangs: Die Menschen hier sind sesshaft; sie sind keine Jäger und Sammler mehr, sondern betreiben Ackerbau und Viehzucht. Aber sie leben noch vor der Entstehung von Stadtstaaten, ja von Staatlichkeit überhaupt: vielleicht selbst noch vor dem Aufkommen von sozialen Hierarchien, die über längere Zeit stabil bleiben.

Die jungsteinzeitliche Siedlung von Ba’ja gibt zahlreiche Rätsel auf: Welche Menschen waren es, die hier vor 9000 Jahren lebten? Wie organisierten sie ihr Zusammenleben? Woran glaubten sie, wovor hatten sie Angst?

Ein anderer Umgang mit Tod

Archäologinnen und Archäologen arbeiten seit mehreren Jahrzehnten hier, mit jeder Ausgrabung finden sie weitere Puzzleteile, die das Wissen über Ba’ja erweitern. Der Berliner Archäologe Hans-Georg K. Gebel hat die Fundstelle 1984 entdeckt und nimmt – gemeinsam mit zahlreichen jordanischen, internationalen und deutschen Kolleginnen und Kollegen – schon seit den 1990er Jahren hier großflächige Ausgrabungen vor. Im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projektes „Haushalt und Tod in Ba’ja“ haben sich die Archäologinnen und Archäologen in den vergangenen Jahren auch damit beschäftigt, wie die Menschen in Ba’ja mit dem Tod umgingen: wie sie ihre Toten bestatteten und was man daraus folgern könne. Denn in dem Dorf gibt es keinen abgelegenen Friedhof, keine Ruhestätte abseits der Häuser: Es hat vielmehr den Anschein, als hätten die Menschen mit ihren Toten, mit ihren Ahnen, zusammengelebt: Sie begruben die Verstorbenen unter ihren Häusern. Sie öffneten den Fußboden ihres Hauses, betteten die Toten in eine Grube darunter und verschlossen den Boden wieder.

Die Gräber sind aber nicht alle gleich; sie unterscheiden sich in der Ausgestaltung und dem Aufwand, der für sie betrieben wurde. Und sie unterscheiden sich in der Art und dem Reichtum der Grabbeigaben, die man den Verstorbenen mitgegeben hat. Ein Grab in Ba’ja barg einen ganz besonderen Fund: Seine Ausgrabung, Sicherung und Auswertung war Anlass für das jüngste Teilprojekt der Grabungen auf dem südjordanischen Hochplateau. Die Archäologin Marion Benz, die mit Hans Georg K. Gebel und Christoph Purschwitz das Projekt leitete, hatte es bereits 2016 entdeckt, aber erst dank der DFG-Finanzierung 2018 mit ihrer französischen Kollegin Hala Alarashi aus Nizza freilegen können: In der Grabstätte lag ein Kind, vermutlich ein Mädchen zwischen acht und zehn Jahre alt, das von allen am reichsten geschmückt war.

Das tote Mädchen trug eine Kette, die aus Tausenden Perlen besteht, fast eine Art Collier oder Pektoral. Das Besondere daran: Die Perlenkette war auch nach gut 9000 Jahren nicht zerstört, die Perlen lagen nicht einzeln verstreut, sondern nahezu noch so, wie sie der Toten vermutlich ins Grab mitgegeben wurden.

Viele unbeantwortete Fragen

Warum aber unterscheidet sich ihr Grab von dem der anderen? Wer war dieses tote Mädchen? Was zeichnete sie aus, dass man ihr so reichhaltige Beigaben mitgegeben hat? Und woran starb sie? „Die Knochen des Mädchens sind leider sehr schlecht erhalten“, bedauert Julia Gresky vom Deutschen Archäologischen Institut. Weder konnte alte DNS extrahiert werden, noch war es möglich, Isotopenanalysen zu machen, die sonst Auskunft über die Ernährung des Mädchens hätten geben können. „Über Krankheiten, an denen das Mädchen litt oder gar die Todesursache können wir deshalb nichts sagen“, konstatiert die Berliner Anthropologin.

Die Perlenkette wurde von Hala Alarashi, Spezialistin für jungsteinzeitliche Perlen an der Universität Nizza, untersucht und rekonstruiert, während die Restauratorinnen Alice Costes und Andrea Fischer von der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart die fragilsten Perlen konservierten. Ein Jahr lang arbeiteten die drei Wissenschaftlerinnen Hand in Hand, um das Collier so zu rekonstruieren, dass es ausgestellt werden konnte. Das Schmuckstück zählt mehr als 2500 Perlen, rund um einen Perlmuttring in der Mitte angeordnet. Manche der Rohstoffe dafür kamen von weit her: Türkise vom Sinai und Tridacna-Muscheln aus dem Roten Meer. Der rote Kalkstein, aus dem die meisten Perlen gefertigt wurden, stammt vermutlich aus der Region um Petra ebenso wie Hämatit, aus dem die Schließe und zwei Perlen hergestellt wurden. Eine besondere Seltenheit sind zwei Perlen aus fossilem Harz, eine Art Bernstein, dessen Herkunft aber nur mit weiteren Analysen herausgefunden werden kann.

Nach seiner Restaurierung wurde das Collier im Oktober dem neuen Petra-Museum in Jordanien übergeben. Dort ist es nun neben der Grabkammer des Kindes ausgestellt, die mit den originalen Steinplatten von den jordanischen Kooperationspartnern der Yarmouk-Universität, Hussein al Sababha und Musa Serbil, rekonstruiert wurde.

„Die Rekonstruktion der Kette und des Grabes wäre ohne die Unterstützung der DFG und der Franz-und-Eva-Rutzen-Stiftung sowie privaten Sponsoren von ex oriente e.V. unmöglich gewesen“, erklärt Marion Benz. Sie ist begeistert von dem Grab und seinen Beigaben, „nicht nur, weil es Einblicke in die Zeit vor 9000 Jahren gibt, sondern auch, weil es allerhand Klischees über die Steinzeit widerlegt“. Die Perlenkette sei fein und raffiniert gearbeitet, die Perlen belegen offensichtlich ein weitreichendes Netz von Tausch oder vielleicht sogar Handelsbeziehungen.

Von Schluchten umgeben. Auf einem Hochplateau liegt die jungsteinzeitliche Siedlung von Ba’ja inmitten der Berge der Petra-Region in Südjordanien.

Von Schluchten umgeben. Auf einem Hochplateau liegt die jungsteinzeitliche Siedlung von Ba’ja inmitten der Berge der Petra-Region in Südjordanien.
Bildquelle: Hans-Georg K. Gebel

Keine falschen Schlüsse

Überhaupt zeige sich in Ba’ja eine „äußerst fortschrittliche Kultur“: Als die Menschen in Europa ausschließlich als Jäger und Sammler umherzogen, lebten die Menschen in Ba’ja bereits in zweistöckigen Häusern, züchteten Ziegen und Schafe und hatten enorme handwerkliche Fähigkeiten. Zudem zeige das Grab des toten Mädchens, dass es in Ba’ja schon eine nuancierte soziale Differenzierung gegeben haben muss: „Hierarchie“ will Marion Benz das nicht nennen, aber es muss Gründe gegeben haben, warum dieses eine Grab so reich bestückt wurde und andere viel schlichter sind. Von einer feststehenden sozialen Hierarchie könne man zu jener Zeit aber noch nicht sprechen, man könne also nicht einfach schließen, dass das Mädchen die Tochter eines Anführers gewesen sei oder Ähnliches.

Komplexe Beziehungen

Überhaupt zeige ein anderer Fund aus Ba’ja, wie komplex die sozialen Beziehungen in der Siedlung gewesen sein müssen. Man könnte ja annehmen, dass in einer derart großen Gruppe sich jemand als „Anführer“ oder als sozial höhergestellt etabliert, weil er den anderen körperlich überlegen ist oder sich durch Brutalität oder Kraft auszeichnet. Marion Benz berichtet aber von einem anderen Grab, dessen Beigaben fast so reichhaltig gewesen seien wie die des toten Mädchens. Darin lag ein junger Mann, doch die Oberarmringe, die er trug, hatten nur einen Durchmesser von 70 Millimetern, was heißt: Er war wohl auch für die damalige Zeit ausgesprochen schmächtig.

Es könnte also eher so gewesen sein, dass jemand sich in Ba’ja dadurch Ansehen erwarb, dass er Konflikte durch Schlichtung und Vermittlung löste anstatt durch körperliche Kraft: War der junge Mann sogar eine Art Friedensrichter? Wer weiß. Es hat den Anschein, als ob in Ba’ja jeder Fund, jede neue Ausgrabung neues Wissen freilegt – und zugleich zu neuen Fragen Anlass gibt, deren Antworten aber noch im Verborgenen liegen.