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Eine Delle im Glück

Wissenschaftler der Freien Universität Berlin untersuchen die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Lebenszufriedenheit und emotionales Wohlempfinden

02.07.2021

Zufrieden: 14 Tage nach dem Beginn des ersten Lockdowns stiegen die Werte wieder an.

Zufrieden: 14 Tage nach dem Beginn des ersten Lockdowns stiegen die Werte wieder an.
Bildquelle: pexels / Kat Jayne

In dem Augenblick, da wir begriffen: Jetzt ist es ernst, diese Pandemie wird unser Leben tiefgreifend verändern, kamen zugleich die Fragen auf: Was wird Corona mit uns machen? Werden wir das aushalten, als Gesellschaft und als Individuen? Werden wir einsamer werden? Verzagter? Oder entspannter, weniger gestresst? Werden die immer neuen Phasen des Lockdowns uns zermürben, depressiv machen? Oder genießen wir das Herunterschalten? Mit einem Wort: Was macht die Pandemie mit unserer Zufriedenheit, unserer Vorstellung von Glück? 

Bald folgten sich teilweise widersprechende Befunde, wie Corona sich auswirke. Die meisten Erhebungen hatten allerdings das Manko eines fehlenden Vergleichswerts: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hätten erst dann angefangen zu erforschen, wie es den Menschen geht, so der Einwand, als die Pandemie in vollem Gange war: Wie einsam, glücklich oder gestresst dieselben Menschen sich vor Corona gefühlt hatten, konnten sie nicht mehr erheben. 

Die beiden Wissenschaftler der Freien Universität, der Psychologe Michael Eid und der Ökonom Ronnie Schöb, hingegen fanden sich in der guten Lage, über das Werkzeug für eine derartige Untersuchung bereits zu verfügen. Sie leiten seit 2017 ein Forschungsprojekt zur Erhebung von Lebenszufriedenheit und Messung von Stress und emotionalem Wohlbefinden. Ursprünglich war dieses Projekt unter dem Namen GJSP (German Job Search Panel) zusammen mit Kollegen der Universität Leeds, dem IAB Nürnberg und der Universität Erlangen-Nürnberg angestoßen worden, um zu untersuchen, welche Auswirkungen Jobverlust und Arbeitslosigkeit auf das Wohlbefinden von Menschen haben. 

Alle, die seit 2017 arbeitssuchend waren, wurden angeschrieben

Alle, die sich seit 2017 in Deutschland arbeitssuchend gemeldet haben, wurden in anonymisierter Form angeschrieben. Die Teilnahme am GJSP beinhaltete nach anfänglichen Hintergrundinterviews vor allem häufige Abfragen via Smartphone über einen Zeitraum von zwei Jahren. Ziel ist es, ein möglichst unmittelbares Langzeitbild davon zu bekommen, wie es um Lebenszufriedenheit, emotionales Wohlbefinden und psychische Gesundheit steht. Die Frage, die die Forscher damit beantworten wollten, war: Wie gehen Menschen damit um, wenn sie sich arbeitssuchend melden und dann entweder kürzer oder länger arbeitslos werden oder es ihnen gelingt, gleich wieder in ein neues Arbeitsverhältnis zu kommen? 

Die Probanden des GJSP waren also bereits Teil einer Studie zu Lebenszufriedenheit, als die Pandemie begann; sehr rasch konnte die Untersuchung nun ausgeweitet werden und auch die Auswirkungen der Pandemie „live“ erfassen.

Man muss dazu wissen: Die Studie ist nicht repräsentativ für die Gesamtgesellschaft, weil sie auf arbeitende oder arbeitssuchende Menschen beschränkt ist. Da der Arbeitsmarkt vor Corona boomte, waren aber die meisten derer, die sich vorher arbeitssuchend gemeldet hatten und nun an der Studie teilnahmen, längst wieder in stabilen Beschäftigungsverhältnissen, als die Corona-Pandemie begann. 

Was sind nun die ersten vorläufigen Ergebnisse der Studie? 

Man könnte es so zusammenfassen: In punkto allgemeiner Lebenszufriedenheit hat Corona für die meisten Menschen nur wenig verändert, bis auf eine kurze Delle der Verunsicherung zu Beginn des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020. Es ist aber sehr klar erkennbar, dass das Depressionserleben zeitweise zugenommen hat. Diese Zunahme war vor allem bei Menschen in Kurzarbeit sehr ausgeprägt. 

„In Hinblick auf die allgemeine Lebenszufriedenheit – also die Frage: Wie glücklich sind die Deutschen? – sehen wir nur während des ersten Lockdowns im März 2020 kurzfristig fallende Werte, die schon nach 14 Tagen wieder auf das Vorniveau ansteigen“, erläutert Ronnie Schöb. Ein Schockmoment also, eine momentane Verunsicherung, mehr nicht. Auch was das affektive, emotionale Wohlempfinden sowie das Glücksempfinden angeht, sagt Schöb, habe es zunächst nur „ein kleines Abrutschen während der ersten Welle“ gegeben, aber das ist nicht sehr ausgeprägt.

Der zweite Lockdown habe dann jedoch deutlich stärker auf die Stimmung geschlagen. Umgekehrt aber sei von Beginn des Lockdowns an die Wachheit deutlich gestiegen und bis in den Spätsommer deutlich höher geblieben als normal. „Die Menschen waren weniger müde, weniger träge“, sagt Schöb. 

Besonders einschneidend waren die Auswirkungen der Pandemie aber auf die Arbeitsplatzzufriedenheit: „Diese sank mit Beginn des ersten Lockdowns deutlich ab und blieb kontinuierlich niedriger als normal“, sagt Schöb: „Das lag wohl an Homeoffice, Kurzarbeit und eventuell auch an der Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren.“

Damit zusammen hänge wohl mit der stärkste Effekt, der in der Untersuchung sichtbar werde: „ein vergleichsweise starker Anstieg der Häufigkeit depressiver Verstimmungen im ersten Lockdown“. Im Sommer sei dieser Wert zwar auf ein „normales“ Niveau gesunken, bis er im zweiten Lockdown wieder angestiegen sei.

Zusammenfassend müsse man aber sagen: „Wir sehen die deutliche Tendenz, dass manche Menschen durch die Pandemie zeitweise depressiver werden. Und es ist offensichtlich, dass die Arbeitsmarktunsicherheit hierbei eine große Rolle spielt: Denn Arbeitsplatzunsicherheit führt generell dazu, dass die Depressionsneigung steigt.“ 

Wie unterschiedlich die Auswirkungen von Corona auf die Menschen je nach Arbeitssituation waren, das werten das Team um Michael Eid und Ronnie Schöb derzeit noch aus; zwei Studien dazu sind in Vorbereitung und werden in den nächsten Monaten erscheinen.