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Ein italienisches Monument

In diesem Jahr jährt sich der Todestag von Dante Alighieri zum 700. Mal. Er gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller und Philosophen Italiens

02.07.2021

Vor 700 Jahren gestorben und kein bisschen vergessen: der italienische Nationaldichter Dante Alighieri auf einem Gemälde von Sandro Botticelli

Vor 700 Jahren gestorben und kein bisschen vergessen: der italienische Nationaldichter Dante Alighieri auf einem Gemälde von Sandro Botticelli
Bildquelle: Wikipedia

Eine trichterförmige, aufwendig kolorierte Zeichnung ist alles, was Robert Langdon und Sienna Brooks haben, um eine Katastrophe zu verhindern. Die „Karte der Hölle“, ein Gemälde des italienischen Malers Sandro Botticelli, führt die beiden quer durch Florenz. Dabei stoßen die Protagonisten aus dem Roman „Inferno“ des US-amerikanischen Autors Dan Brown immer wieder auf Bezüge zu Dante Alighieri; Sandro Botticellis Gemälde ist eine Darstellung der Hölle, wie sie der italienische Dichter in seinem Werk „Inferno“ beschreibt.

In diesem Jahr jährt sich der Todestag des Literaten und Philosophen zum 700. Mal. „Dantes Arbeiten werden auch heute noch immer wieder in der Literatur und den Bildenden Künsten behandelt“, sagt Bernhard Huß von der Freien Universität Berlin. Der Romanistikprofessor vom Italienzentrum der Hochschule veranstaltet in diesem Sommersemester in Kooperation mit dem Italienischen Kulturinstitut Berlin eine Vorlesungsreihe zum „Purgatorio“, dem Läuterungsberg. Es ist der zweite Teil von Dantes „Göttlicher Komödie“. 

Modern: Dantes Plädoyer für die Trennung von Staat und Kirche 

Dante, 1265 in Florenz geboren, widmet sich dort viele Jahre seines Lebens der Dichtkunst. Er beschäftigt sich aber auch mit politischen Fragen. In seiner Schrift „De Monarchia libri tres“ („Drei Bücher über die Monarchie“) setzt er sich mit dem Verhältnis von Monarchie und Kirche auseinander. „Dante plädierte für eine deutliche Trennung staatlicher und kirchlicher Institutionen – eine sehr moderne Sicht“, sagt Bernhard Huß.

Die Schärfe der politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit, die mit dem Konflikt zwischen Kaiser und Papst zusammenhingen, verspürt der Autor am eigenen Leib: Dante wird 1302 aus Florenz verbannt und zieht bis zu seinem Tod 1321 in Ravenna quer durch Norditalien. 

Diese Erfahrungen behandelt er in der „Göttlichen Komödie“. „Ausgangspunkt ist Dantes eigene Orientierungslosigkeit. Er hat sich in seinem Leben verirrt und sucht einen Ausweg“, erklärt Bernhard Huß. Am Ende sind es vor allem religiöse Überlegungen, die den Protagonisten aus seiner Verlorenheit führen. Er gelangt zu Gott in den Himmel und kehrt von dort zurück auf die Erde, um dort die „Göttliche Komödie“ zu schreiben. „Das tut er mit einem gehörigen moralischen Impetus. Dante beschäftigt sich intensiv mit ethisch-moralischen Vorstellungen und erschafft ein Wertesystem, anhand dessen er seine Mitmenschen beurteilt.“

Dantes Suche nach Erkenntnis ist heute aktueller denn je, sagt Bernhard Huß: „Wir haben so viele Möglichkeiten wie nie zuvor. Das kann aber auch überfordern.“ Dantes Ausführungen über die Hölle und das Paradies würden dazu auffordern, die eigenen Auffassungen von „gut“ und „böse“ neu zu betrachten und die Problematik sozialer Verantwortung zu reflektieren. Der Romanistikprofessor ist davon überzeugt, dass Gesellschaften zukünftig mehr über Werte und Moral diskutieren werden. „Die Pandemie hat viele soziale Ungleichheiten zutage treten lassen, die wir vorher nicht wahrgenommen haben.“ 

Literarisch sei Dante ohnehin von großer Bedeutung. Die Sprache der „Göttlichen Komödie“ besteche durch ihre Präzision und zugleich die auffällige Verwendung ganz verschiedener Sprachregister, von erhaben bis grob und anstößig; Dantes Fähigkeit, komplizierte wissenschaftliche und theologische Fragen in den poetischen Duktus seiner Erzählung zu integrieren, sei einzigartig: „Das hat ihn in den Olymp der ganz großen Autoren katapultiert“, sagt Bernhard Huß. Er zähle zu den Gründungsvätern der europäischen Literatur: „Mit der ‚Commedia‘ hat Dante die nachantike Erzählliteratur mitbegründet. Auch die europäische Liebeslyrik ist sehr von seinen Arbeiten geprägt“, sagt der Romanist. 

Besonders groß sei die Bewunderung für den italienischen Dichter im 19. Jahrhundert in Deutschland gewesen. „In der Romantik sah man ihn als ein künstlerisches Genie, das nicht nach literarischen Regeln dichtete, sondern aus der Tiefe seiner eigenen Erkenntnis heraus Inspiration schöpfte.“ Mit der Begeisterung für Dantes Dichtkunst stieg in Deutschland auch das wissenschaftliche Interesse an seiner Person. Die 1865 gegründete Deutsche Dante-Gesellschaft gilt als die weltweit älteste internationale wissenschaftliche Vereinigung, die sich dem Leben und Wirken des Schriftstellers widmet. 

Jedes Schulkind in Italien liest Dante 

Für die italienische Gesellschaft habe Dante einen besonderen Stellenwert, sagt Bernhard Huß: „Er ist ein Monument!“ Das liege einmal an seinen sprachwissenschaftlichen Arbeiten. In dem Werk „De vulgari eloquentia“ („Über die Redegewandtheit in der Volkssprache“) untersucht er unterschiedliche Sprachen, die zu seiner Zeit in Italien verbreitet waren, und vergleicht sie mit dem Lateinischen, der damals dominierenden gelehrten Sprache. Heute gilt Dante als linguistischer und poetischer Mitbegründer des Italienischen als Literatur- und Alltagssprache. 

Zudem hätten historische Umstände dazu geführt, dass die Arbeit des Dichters seit dessen Tod immer wieder für politische Zwecke vereinnahmt worden sei. „Im 19. Jahrhundert etwa, als Italien begann, sich zu einem Nationalstaat zu entwickeln, bediente man sich Dantes Werke, um nationale Ideen hervorzuheben.“ Heute finde diese Nationalisierung ihren Ausdruck in Porträts, die Dante in den Nationalfarben Italiens Grün, Weiß, Rot darstellen, sowie in Übertragungen von Dante-Lesungen in den öffentlichrechtlichen Medien. 

In Deutschland sei dieses Ausmaß an Bewunderung für einen Schriftsteller nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, sagt Bernhard Huß. Zwar gibt es auch hierzulande Literaten, Johann Wolfgang von Goethe etwa, die eine große Bedeutung für die Kultur Deutschlands haben.

„Ob Dante für Italien das ist, was Goethe für Deutschland ist? Ja und nein“, konstatiert Bernhard Huß. Beide besäßen den Rang eines Nationaldichters, aber in Deutschland habe man nach 1968 eine differenzierte und teils skeptische Haltung zum nationalen Literaturkanon entwickelt. „Jedes Schulkind in Italien muss irgendwann ein Werk von Dante lesen. Alle italienischen Abiturientinnen und Abiturienten haben die ‚Göttliche Komödie‘ kennengelernt. In Deutschland ist das anders. Man kann im Deutschunterricht Goethes ‚Faust‘ lesen, es ist aber nicht mehr Pflicht. In Italien kann man sich eine solch distanzierte Haltung zu einem Nationaldichter kaum vorstellen. Wie wir in Deutschland zu einem Autor wie Goethe stehen, stößt dort häufig auf Erstaunen.“