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Ein ambivalentes Bündnis

Christian Calliess, an der Freien Universität Professor für Öffentliches Recht und Europarecht, im Interview über Klima und Demokratie

02.07.2021

Beriet die Bundesregierung. Christian Calliess war bis 2020 Mitglied des Sachverständigenrates für Umweltfragen.

Beriet die Bundesregierung. Christian Calliess war bis 2020 Mitglied des Sachverständigenrates für Umweltfragen.
Bildquelle: SRU

Für das 1,5-bis-2,0-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens wären massive Reduktionen von Treibhausgasemissionen notwendig. Tobias Kluge im Gespräch mit dem an der Freien Universität Berlin lehrenden Juristen Christian Calliess, bis 2020 langjähriges Mitglied des die Bundesregierung beratenden Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU), über die Chancen und Grenzen politischen Klimaschutzes.

Klimaschutz wird oft als eine Beschneidung von Freiheiten wahrgenommen. Gleichzeitig ist Klimaschutz die Grundvoraussetzung für zukünftige Freiheit, für Frieden und Sicherheit. Wie kann man aus einem solchen Widerspruch herauskommen?

In einer Demokratie wählen wir das Parlament, das wiederum durch seine Gesetze Freiheit zwischen den Bürgerinnen und Bürgern verteilt. Es herrscht oft die Ansicht vor, dass staatliche Regulierung einseitig freiheitsbeschränkend ist. Aber Gesetze sind oft auch freiheitsermöglichend. Ein Beispiel: Strenge Abgasvorschriften beschränken zwar die Freiheit der Auto-Industrie. Gleichzeitig ermöglichen sie die Freiheit, saubere Luft in den Städten zu atmen. Diese Dimension von Freiheit wird auch im Klimaschutz nicht hinreichend gesehen.

Wissenschaft und Politik kommen beim Klimaschutz wichtige Aufgaben zu: Die einen liefern die Fakten, die anderen müssen sie umsetzen. Warum gestaltet sich dieses Zusammenspiel zunehmend schwierig?

Ich glaube, dass der Einfluss der Wissenschaft mitunter überschätzt wird. Die Wissenschaft schafft es manchmal, nach langer Zeit eine Sensibilität auf der politischen Ebene zu erreichen. Das heißt dann aber noch lange nicht, dass daraus konkrete und verbindliche Maßnahmen folgen. Langfristige Themen, die nicht unmittelbar drängen wie die Pandemie, haben es im politischen Alltag schwer. Bei diesen unmittelbaren Herausforderungen ist klar: Wir brauchen jetzt sofort eine Lösung! Die Klimakrise scheint viel weiter weg und ihre Konsequenzen dementsprechend abstrakter.

Ist das der Grund, warum sich die Demokratie bei der Klimakrise oft als sehr langsam erweist?

Ich sehe in der Tat einen Grund darin, dass Demokratien aufgrund der Wahlperioden eher kurzfristige Ziele im Blick haben und langfristige Themen wie Nachhaltigkeit, Generationengerechtigkeit und Klimaschutz daher einen schweren Stand haben. Wählerinnen und Wähler und entsprechend Politikerinnen und Politiker sind meist an sichtbaren und kurzfristig messbaren Erfolgen interessiert. Wir brauchen daher eine institutionelle Absicherung für langfristige Ziele, die gewährleistet, dass diese auch über Legislaturperioden hinaus nicht aus dem Blick geraten.

Wie kann das gelingen?

Unserer Verfassung kommt hier eine wichtige Rolle zu. Diese definiert nicht nur Grundrechte, sondern auch Staatsziele. Das Staatsziel Klimaschutz könnte eine langfristige Ausrichtung von Politik über Wahlperioden hinaus garantieren. Voraussetzung dafür ist ein sogenanntes Monitoring, zum Beispiel durch Klimaschutzbeauftragte, die darauf achten, dass einzelne Ministerien wie das Verkehrsministerium sich im Rahmen des Leitgesetzes bewegen.

Welche Möglichkeiten gibt es, wenn die Politik zu zögerlich handelt?

Hier kommt die sogenannte Dritte Gewalt ins Spiel – also die Gerichte. Das geschieht bereits mit Klimaklagen. Würden die Gerichte mit Blick auf die planetaren Belastungsgrenzen, also im Klimaschutz das 1,5-bis-2,0-Grad-Ziel, sich an der Logik des sozialen Existenzminimums, das das Bundesverfassungsgericht für den einzelnen Menschen und seine Bedürfnisse sehr genau definiert hat, auf ökologische Sachverhalte übertragen, dann bestünden Möglichkeiten. Es gibt nämlich genauso ein Schutzminimum für den Planeten und damit die ökologische Existenzgrundlage der Menschen. Warum sollte die Logik des Sozialstaats nicht auch für den Umweltstaat gelten?

Lassen sich Natur und Planet als Rechtssubjekte begreifen?

Der US-amerikanische Umweltrechtler Christopher Stone vertrat Anfang der 1970er Jahre ein Verfahren, in dem es um ein unberührtes Tal ging. Dieses wurde durch einen Staudamm bedroht. Stone argumentierte, dass das Tal ein Eigenrecht hat, geschützt zu werden. Am Ende hat es mit dem Eigenrecht nicht funktioniert, da unser Rechtssystem – das deutsche, westliche – nur Menschen Rechte zuerkennt. Gleichwohl können Menschen die Rechte der Natur stellvertretend vor Gericht in Form einer Verbandsklage ähnlich wirksam wahrnehmen. Eigenrechte der Natur sind somit eher ein ethisches als ein rechtliches Thema.

Weitere Informationen

Das Interview wurde für das Projekt „Wissensstadt Berlin 2021“ geführt, an dem auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität Berlin beteiligt sind: www.wissensstadt.berlin

Zur Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität Berlin siehe auch die Meldung Wissensstadt Berlin 2021