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20 Jahre Euro-Einführung

Vor knapp 20 Jahren wurde in zwölf Staaten der Europäischen Union der Euro als Bargeldmittel eingeführt

27.09.2021

Eine riesige Münze überragt am Morgen des 17. Dezember 2001 die Menschen in der Innenstadt von Frankfurt. Hier wurden die ersten Tütchen mit einem Sortiment von Euro-Münzen verkauft.

Eine riesige Münze überragt am Morgen des 17. Dezember 2001 die Menschen in der Innenstadt von Frankfurt. Hier wurden die ersten Tütchen mit einem Sortiment von Euro-Münzen verkauft.
Bildquelle: picture alliance

300 Millionen Menschen, zwölf Staaten, eine Währung: Am 1. Januar 2002 trat der drei Jahre zuvor bereits als Buchgeld eingeführte Euro auch als Bargeldmittel ins Leben der meisten Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union (EU). Er ersetzte in den Euro-Staaten die nationalen Währungen, darunter das irische Pfund und die Deutsche Mark (D-Mark).

Eingeführt wurde die Gemeinschaftswährung zu jeweils unwiderruflich festen Umrechnungskursen zu den nationalen Währungen, die dafür wegfielen. So betrug der Wechselkurs des Euro zur deutschen Währung 1,95583 D-Mark.

Der Euro für 340 Millionen Menschen

Mittlerweile nutzen 19 der EU-Mitgliedsstaaten und 340 Millionen Menschen dieselbe Währung. Der zeitliche und logistische Aufwand bei der Bargeld-Einführung war enorm: Allein in Deutschland konnten Banken und Unternehmen vom 1. September 2001 an bei den Landeszentralbanken Euro-Bargeld beziehen und einlagern. In den rund 2.600 Spezialfahrzeugen der Werttransportbranche wurden im Bundesgebiet Euro-Bargeldnoten im Wert von 2,5 Milliarden Euro und Münzen im Wert von 15,5 Milliarden Euro transportiert.

Die alten D-Mark-Scheine und -Münzen behielten ungeachtet der Euro-Einführung ihre Gültigkeit: Sie können bei der Bundesbank zeitlich unbegrenzt und gebührenfrei in Euro umgetauscht werden. Acht Perspektiven aus der Wissenschaft auf 20 Jahre mit dem Euro.

Theocharis Grigoriadis: Neue Möglichkeiten für Osteuropa

Theocharis Grigoriadis ist Professor für Volkswirtschaftslehre am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin.

Theocharis Grigoriadis ist Professor für Volkswirtschaftslehre am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: privat

Die Einführung des Euro hat den Volkswirtschaften Ostmitteleuropas und der ehemaligen Sowjetunion neue Möglichkeiten eröffnet. Während die Slowakei, Slowenien und die baltischen Staaten inzwischen der Eurozone beigetreten sind, haben andere osteuropäische Volkswirtschaften der Europäischen Union – etwa Polen, Ungarn, Tschechien, Kroatien, Rumänien und Bulgarien – ihre jeweilige Geldpolitik de facto auf die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ausgerichtet. Das Vorhandensein starker Spillover-Effekte aufgrund der unkonventionellen Geldpolitik der Europäischen Zentralbank während der Finanzkrise deutet auf eine starke Interdependenz zwischen der Eurozone und den Nicht-Euro-Ländern der Europäischen Union hin.

Darüber hinaus scheint Russland im Gegensatz zu anderen Volkswirtschaften der ehemaligen Sowjetunion und Südosteuropas wie Serbien und der Ukraine angesichts des festen Wechselkurssystems des russischen Rubels zum Euro erheblich von den geldpolitischen Entwicklungen in der Eurozone abhängig zu sein. Daher bleibt der Euro trotz des ungünstigen politischen Umfelds in den Beziehungen zwischen der EU und Russland in Bezug auf die Ukraine und Georgien eine strategische Währung für Russland; sie spielt eine entscheidende Rolle für die weitere Internationalisierung der russischen Wirtschaft.

Paul Nolte: Motor der sozialen und kulturellen Europäisierung

Paul Nolte ist Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin.

Paul Nolte ist Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Bei der Urlaubsvorbereitung fiel mir ein Reiseführer in die Hand, der Preise in Italien in der damaligen Währung Lira nannte. So alt ist der schon! Beim Reisen quer durch große Teile Europas nicht mehr Geldwechseln und umrechnen zu müssen, ist sehr schnell selbstverständlich geworden, auch für die Deutschen, denen ihre D-Mark symbolisch besonders wichtig war: als Projektionsfläche des Wirtschaftswunderwohlstands im Westen, des Begehrens nach Konsum und anderer Freiheit in der DDR. Die Boulevardpresse hat den Euro eine Zeitlang als „Teuro“ zu verhöhnen versucht; die AfD spielte in ihrer Gründungszeit die populistische Karte gegen die gemeinsame europäische Währung.

Volkswirtschaftliche Kritik am Euro ist nicht von der Hand zu weisen, aber Ökonomie ist eben nicht alles. In der historischen Bilanz ist jedenfalls klar: Der Euro hat sich als machtvoller Motor der kulturellen Europäisierung erwiesen, auch übrigens, was ja der Grund für manche Kritik in Deutschland ist, der sozialen Nivellierung zwischen Nordeuropa und wirtschaftlich weniger entwickelten Staaten Südeuropas

Wolfgang Strehl: Der Euro als Konkurrenz zum Dollar?

Wolfgang Strehl ist promovierter Volkswirt am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin.

Wolfgang Strehl ist promovierter Volkswirt am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: privat

In den gut zwei Jahrzehnten seit seiner Einführung konnte der Euro die Dominanz des US-Dollar im Weltfinanzsystem nicht brechen. Nach wie vor ist der Dollar die unangefochtene Nummer eins als Reservewährung und internationales Zahlungsmittel. Besonders die Eurokrise und deren politische Handhabung haben die internationale Rolle des Euro spürbar geschwächt. Zudem fehlt es der Eurozone noch immer an einem „tiefen“ Kapitalmarkt mit einem ultrasicheren, in reichlicher Menge vorhandenen zentralen Finanztitel wie der US-Staatsanleihe. Weitere Fortschritte bei der europäischen Banken- und Kapitalmarktunion sowie eine dauerhafte Emission von Gemeinschaftsanleihen – welche überdies die volle „Rückendeckung“ der Europäischen Zentralbank genießen müssten – könnten die internationale Attraktivität des Euro in den nächsten Jahrzehnten durchaus entscheidend erhöhen.

Eine echte, europäische Alternative zum Dollar würde neben direkten wirtschaftlichen Vorteilen für Europa auch eine geringere Abhängigkeit der Staatengemeinschaft vom US-Finanzsystem mit sich bringen; sie könnte so zur Stabilität der Weltwirtschaft beitragen.

Barbara Fritz: Besorgte Blicke aus Buenos Aires

Barbara Fritz ist Professorin an der Freien Universität für die Ökonomie Lateinamerikas.

Barbara Fritz ist Professorin an der Freien Universität für die Ökonomie Lateinamerikas.
Bildquelle: Vitoscha Königs

Besorgte Blicke aus Buenos Aires Der Euro war gerade eingeführt. Lateinamerika schaute neugierig auf das Experiment. Als Ökonomin aus Europa wurde ich von den argentinischen Kolleginnen und Kollegen um einen Vortrag gebeten. Die erste Frage überraschte mich: Welche Möglichkeiten denn vorgesehen seien, aus dem Euro wieder auszusteigen? Na, eigentlich keine, konnte ich nur sagen. Schließlich war das ja die Idee: die europäische Integration dauerhaft abzusichern. Die argentinischen Ökonomen schauten besorgt.

20 Jahre später, nach der Griechenland- Krise und ihren Folgen, sind wir klüger – oder anders gesagt: so klug wie die Ökonominnen und Ökonomen in Buenos Aires es schon damals waren. Argentinien hatte seine Währung eins zu eins an den US-Dollar gekoppelt – und war damit in eine katastrophale Krise geschlittert. Klar, das war eine ganz andere Art von Währungsunion, aber trotzdem die Erfahrung: Wenn wirtschaftliche Ungleichgewichte Mitgliedsländer in Gläubiger und Schuldner spalten, ist dies Gift für eine gemeinsame Währung. Die Lösung für den Euroraum wäre: zu starke Ungleichgewichte vermeiden. Gemeinsame Schuldenaufnahme ist da ein guter Anfang. Aber es bräuchte viel mehr.

Thomas Rixen: Der Euro als Integrationsmotor oder Spaltpilz?

Thomas Rixen ist Professor für Internationale und Vergleichende Politische Ökonomie an der Freien Universität Berlin.

Thomas Rixen ist Professor für Internationale und Vergleichende Politische Ökonomie an der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: privat

Zwei Thesen zum Euro standen sich von Beginn an gegenüber. Die Spaltpilzthese vieler Ökonominnen und Ökonomen besagt, dass die Mitgliedstaaten wirtschaftlich zu heterogen für den Euro seien. Die Einheitswährung ohne gemeinsame Fiskalpolitik verstärke die Ungleichgewichte und spalte die Europäische Union. Die These vom Integrationsmotor besagt, dass der Euro die Staaten wirtschaftlich aneinanderbinde und dies die politische Union festige. Ihr folgte die Politik.

20 Jahre später führt die Spaltpilzthese deutlich nach Punkten: Die Eurokrise teilte die EU nord-südlich in Gläubiger- und Schuldnerländer, befeuerte den Nationalismus und brachte den Euro an den Rand des Scheiterns. Die Reparaturmaßnahmen überließ man den Technokraten der Europäischen Zentralbank.

Es brauchte die Corona-Pandemie, um die Politik wachzurütteln. Der Aufbaufonds und die gemeinsame Verschuldung könnten der Startschuss für eine solidarische Fiskalpolitik und für EU-Steuern sein. Die Geschichte – „no taxation without representation“ (keine Besteuerung ohne politische Vertretung) – lehrt, dass dieser Weg eine Demokratisierung der EU erfordert. Wenn die Politik Recht behalten will, braucht es jetzt politische Kräfte und Persönlichkeiten, die ihn mit Mut und Zuversicht einschlagen. Wo sind sie?

Tanja A. Börzel: Symbol für die friedliche Einigung Europas

Tanja A. Börzel ist Professorin am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Arbeitsstelle Europäische Integration, und Sprecherin des Exzellenzclusters SCRIPTS.

Tanja A. Börzel ist Professorin am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Arbeitsstelle Europäische Integration, und Sprecherin des Exzellenzclusters SCRIPTS.
Bildquelle: Martin Funck

Am 1. Januar 2002 stand ich um Mitternacht aufgeregt in der Schlange vor einem Bankautomaten, um die ersten Euroscheine in Empfang zu nehmen. Die endgültige Festlegung der Wechselkurse war schon zwei Jahre zuvor erfolgt. Die Bargeldeinführung des Euro war also eher symbolischer Natur. Aber die politische Symbolik des Euro ist mindestens genauso wichtig wie seine wirtschaftliche Bedeutung.

In der Ökonomie gilt die gemeinsame Währung als Schlussstein der wirtschaftlichen Integration. Der Maastrichter Vertrag von 1993 sieht vor, dass sich die Europäische Union über die Währungsunion zu einer echten Wirtschaftsunion entwickelt. Inwiefern der Euro zur wirtschaftlichen Integration Europas beigetragen hat, ist allerdings umstritten. Nur 19 der seit dem Brexit 27 EU-Mitgliedstaaten gehören der Eurozone an: Sie haben bis heute keine gemeinsame Wirtschaftspolitik entwickelt, die als eine zentrale Voraussetzung für einen stabilen Euro angesichts wachsender Krisen gilt.

Der wirtschaftliche Nutzen des Euro ist von Anfang an von Wissenschaft wie Politik kontrovers diskutiert worden. Seine Einführung war gerade in Deutschland eine politische Entscheidung. Der Euro steht für die friedliche Einigung Europas. So erklärt sich das entschiedene Eintreten der Bundesregierung für die Stabilisierung der Eurozone, sowohl während der Eurokrise als auch im Rahmen der Wirtschaftshilfen zur Bewältigung der Folgen von Covid-19.

Steffen Heinrich: Pionier und Nachzügler: der Euro aus japanischer Sicht

Steffen Heinrich ist Professor am Ostasiatischen Seminar/Japanologie für die Politik und Wirtschaft Japans.

Steffen Heinrich ist Professor am Ostasiatischen Seminar/Japanologie für die Politik und Wirtschaft Japans.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Für den Leitartikel der Asahi Shimbun, einer großen linksliberalen Tageszeitung, war die Einführung des Euro kurz vor der Jahreswende 1999 die Verwirklichung einer großen Vision: Die Idee von Nation wandele sich, indem der Euro aus Bürgern von Mitgliedsstaaten über kurz oder lang europäische Bürger mache.

Heute ist der japanische Blick auf den Euro nüchterner und von der Erfahrung geprägt, dass die europäische Geldpolitik der japanischen immer ähnlicher wird. Die japanische Zentralbank begann ihre Niedrigzinspolitik bereits 1990 und verschrieb sich „unkonventioneller Geldpolitik“ weit vor der Europäischen Zentralbank. Ökonomen sind sich uneins, ob die lange Phase der Niedrigzinsen nicht vor allem auch den demografischen Wandel widerspiegelt, der in Japan schon weit fortgeschritten ist. Sollte dies zutreffen, dürfte die Eurozone noch lange dem japanischen Beispiel folgen. So bahnbrechend die Einführung des Euro 1999 und des Euro-Bargelds 2002 gewesen sein mögen, derzeit erfüllt eher Japan die Rolle des Pioniers.

Wiebke Rabe: Der Euro als Weg in ein multipolares internationales Finanzsystem – aus der Sicht Chinas

Wiebke Rabe ist promovierte Politikwissenschaftlerin am Institut für Chinastudien der Freien Universität Berlin.

Wiebke Rabe ist promovierte Politikwissenschaftlerin am Institut für Chinastudien der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: privat

Die Einführung des Euro wurde in China positiv aufgenommen. Für China war die Etablierung der Eurozone ein Beispiel für regionale Integration und ein Schritt hin zu einem ausbalancierteren globalen Finanzsystem neben der Vormachtstellung des US-Dollar. Ein Auseinanderbrechen der Eurozone im Zuge der Eurokrise erschien chinesischen Finanzexperten als unwahrscheinlich und war unerwünscht. Somit investierte China weiterhin in europäische Staatsanleihen.

Auch wenn der Euro den Handel mit China erleichterte, sieht die chinesische Führung in der gemeinsamen Währung auch die Schwächen der europäischen Integration. So befand man Fortschritte zur Lösung der Eurokrise als schleppend und als weitere Schwachstellen eine unzureichende Liquidität, eine Fragmentierung des europäischen Schuldenmarktes und eine unvollständige Währungsunion. Der Euro galt China als Orientierung für die Internationalisierung der eigenen Währung, des Renminbi. In den kommenden Jahren wird die  Digitalisierung für beide Währungen prägend sein – eine Entwicklung, in der China mit der Digitalwährung e-CNY bereits vorangeschritten ist.