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Quantenwelten – eiskalt simuliert

Die Physikerin Monika Aidelsburger von der LMU München erhält den Klung-Wilhelmy-Wissenschafts-Preis 2021

28.09.2021

Zeitliche Steuerung eines Experiments. Verschiedene elektrische Signale werden an einzelne Geräte gesendet. Sie bewirken, dass alle Schritte mit höchster Genauigkeit zur richtigen Zeit ausgeführt werden.

Zeitliche Steuerung eines Experiments. Verschiedene elektrische Signale werden an einzelne Geräte gesendet. Sie bewirken, dass alle Schritte mit höchster Genauigkeit zur richtigen Zeit ausgeführt werden.
Bildquelle: Kraemer/Krupp-Stiftung

Elektrisch leitende Metalle, Halbleiter, Supraleitung und noch exotischere Quanteneigenschaften: Erst mit dem wachsenden physikalischen Verständnis solcher kristallinen Materialien konnte zum Beispiel die Halbleiterelektronik als Schlüsseltechnologie entstehen.

All diese Eigenschaften basieren auf dem Zusammenspiel von Elektronen mit den Atomen, die in diesen Materialien dreidimensional zu einem regelmäßigen „Kristallgitter“ sortiert sind. Je komplexer und spannender ein Phänomen ist, etwa die Hochtemperatur-Supraleitung, desto intensiver wird das Zusammenspiel von im Material beweglichen Elektronen: Sie bilden ein großes Quantenkollektiv. Solch ein Vielteilchensystem stellt die Theoretische Physik vor große Herausforderungen, denn sein Gesamtverhalten lässt sich nicht mehr exakt ausrechnen. Der Grund: Jedes zusätzliche Quantenteilchen in einem Quantensystem verdoppelt sozusagen dessen Quantenkomplexität. Diese exponentielle Explosion der benötigten Rechenleistung bringt selbst Supercomputer schnell an Grenzen. Also muss sich die Theorie mit stark vereinfachten Modellen begnügen.

Bisher mussten stark vereinfachte Modelle genügen

Bisher jedenfalls, denn es gibt eine Lösung: Um das Verhalten eines Quantensystems genau zu berechnen, nehme man ein zweites Quantensystem als „Rechenwerk“. „Dieses zweite Quantensystem muss sehr gut kontrollierbar sein“, sagt Monika Aidelsburger und erklärt damit den entscheidenden Unterschied. Das Elektronenkollektiv in einem Material ist nämlich von außen nur schlecht zugänglich. Das erzwingt bislang indirekte Untersuchungsmethoden, ungefähr wie die Übertragung eines Fußballspiels im Radio statt mit Bildern im TV.

Die Quantensimulation soll gewissermaßen den Sprung vom Radio zum TV bringen, ist die Hoffnung. Auf diesem noch jungen, aber rasant wachsenden Gebiet der Grundlagenforschung arbeitet die Physikprofessorin von der Ludwig- Maximilians-Universität (LMU) in München. Die Verheißung: Solche Quantensimulatoren könnten eines Tages sogar bei der Suche nach neuen Werkstoffen oder beim Verständnis chemischer Reaktionen helfen. Auch bei der Entwicklung von Quantencomputern, die robuster gegen Störungen sind, könnten sie zukünftig eine wichtige Rolle spielen. Für Monika Aidelsburger geht es aber vor allem um ganz grundsätzliche Fragestellungen der Physik.

Schon viele Auszeichnungen für Monika Aidelsburger

An der Entwicklung von Quantensimulatoren forscht Aidelsburger seit ihrer Masterarbeit. Für ihre kreativen Ideen hat die 34-jährige Physikerin schon verblüffend viele Preise erhalten. Nun wird sie am 18. November 2021 an der Freien Universität Berlin mit dem Klung-Wilhelmy-Wissenschafts-Preis 2021 ausgezeichnet. Diese Ehrung wird im jährlichen Wechsel Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Chemie und der Physik verliehen, ausgewählt von zwei Fachkommissionen der Freien Universität Berlin.

Mit 50.000 Euro gehört sie zu den höchstdotierten, privat finanzierten Preisen für junge deutsche Spitzenforscher. Die Jury ehrt Monika Aidelsburger „für ihre herausragende Forschung über die experimentelle Realisierung synthetischer Eichfelder in optischen Gittern und deren Anwendung zur Quantensimulation topologischer Phasen der Materie“. Das System, mit dem Monika Aidelsburger arbeitet, jongliert gewissermaßen mit einzelnen Atomen wie mit Bällen. Die Atome werden in einer Vakuumkammer verdampft und dann mit Laserstrahlen bis fast zum Stillstand abgebremst.

Stillstand bedeutet aber in der Mikrowelt nichts anderes als Kälte, und so werden diese Atome mit weiteren Tricks bis auf eine Temperatur von wenigen Milliardstel Grad über den absoluten Nullpunkt abgekühlt. Nun lassen sie sich an den Kreuzungspunkten eines dreidimensionalen Gitters aus Laserlichtstrahlen einfangen. Mit dieser regelmäßigen Anordnung bilden die Atome einen Kristall nach. Allerdings übernehmen die ultrakalten Atome in dem Lichtgitter eine andere Aufgabe als die Atome in einem kristallinen Material: Sie sollen das Verhalten der Elektronen nachahmen, die für die interessanten Eigenschaften sorgen. Das Problem: Die elektrisch neutralen Atome reagieren nicht auf elektrische und magnetische Felder wie Elektronen. Diese Herausforderung meisterte die Physikerin zum Beispiel mit der Entwicklung einer ausgefeilten Lasersteuerung, die die Atome wie Elektronen in einem Magnetfeld reagieren lässt.

Nach der Promotion eine Auszeit in Asien

Dass Monika Aidelsburger Physik studieren würde, war in der Schule nicht zwingend vorgezeichnet. Es hätte auch Kunst oder Musik werden können, sagt sie. Dann berichteten ihr Freunde davon, dass das Physikstudium spannend, aber auch schwer sei. „Das wollte ich ausprobieren“, erzählt sie.

Sie studierte erfolgreich, und der Funke zündete so richtig in einer Vorlesung von Immanuel Bloch, einem der Pioniere der Quantensimulation in München. Sie bewarb sich bei ihm für die Masterarbeit und blieb bis zur Promotion. Danach nahm sie sich ein halbes Jahr Auszeit und reiste durch Asien. Anschließend ging sie als Postdoktorandin nach Frankreich, bekam aber so schnell ein Angebot der LMU München, dass sie kürzer als geplant blieb. Sie fing in München als Akademische Rätin an, inzwischen ist sie Physikprofessorin. Monika Aidelsburger interessiert sich für den Test von sehr abstrakten, aber grundlegend wichtigen Konzepten der Physik im Quantensimulator.

In ihrem Fokus ist die Topologie, ein Feld, das eigentlich aus der Mathematik kommt. Die Topologie spielt in der Physik eine zunehmende Rolle, weil sie exotische, aber physikalisch besonders spannende Eigenschaften elegant beschreiben kann – 2016 erhielten deshalb drei Pioniere des Gebiets den Nobelpreis für Physik. Allen diesen komplexen Phänomenen ist gemein, dass Elektronen als Quanten-Vielteilchensystem sie hervorbringen. Das berühmteste System mit solchen Eigenschaften ist der sogenannte Quanten-Hall-Effekt, für dessen Entdeckung der deutsche Physiker Klaus von Klitzing 1985 den ungeteilten Physik-Nobelpreis bekam. Monika Aidelsburger „baute“ diesen Effekt in ihrem Quantensimulator nicht nur nach. Sie zeigte damit, dass die Konzepte der Topologie auch über normale Materie hinaus anwendbar sind und faszinierende Eigenschaften hervorrufen.

Brezel, Ring und Tasse in der Topologie

Für Laien ist dies sehr abstrakt, wie so oft in der Physik. In der Tat ist das Spielfeld ein abstrakter „Raum“, in dem die Quantenzustände der am untersuchten Effekt beteiligten Elektronen eine spezielle Geometrie aufweisen. Diese erinnert an die Topologie von Objekten.

Beispiele für solche Objekte sind ein Ring, eine Kaffeetasse mit Henkel oder eine Brezel. Ring und Kaffeetasse besitzen jeweils ein durchgehendes Loch, Letztere im Henkel, und damit die gleiche Topologie. Sie sind – rein topologisch gesehen – gleichwertig und lassen sich leicht ineinander umformen. Die Brezel hat hingegen mit drei Löchern eine andere Topologie, daher lässt sie sich nicht einfach zu einem Ring machen.

Dieses Beharrungsvermögen, in der eigenen Topologie bleiben zu wollen, kann auch Elektronensysteme stabilisieren und somit zu exotischen Phänomenen führen. Ein Beispiel sind topologische Isolatoren, die nur an der Oberfläche elektrische Ströme leiten – dies sogar ohne elektrischen Widerstand. Solche Quantenphänomene, aber auch ganz grundlegende Vorhersagen der Theoretischen Physik zu anderen Gebieten, etwa der Teilchenphysik, will Monika Aidelsburger mit ihren Quantensimulatoren untersuchen. Das könnte zu mancher aufregenden Entdeckung führen. An Kreativität als Voraussetzung jedenfalls mangelt es der Physikerin nicht.