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Rolle rückwärts?

Geschlechterrollen in der Pandemie

29.09.2021

Wie haben sich die Ansichten zu Geschlechterrollen durch die Corona-Pandemie geändert?

Wie haben sich die Ansichten zu Geschlechterrollen durch die Corona-Pandemie geändert?
Bildquelle: shutterstock/PH888

Die Schließungen von Schulen und Kindertagesstätten in der Corona-Pandemie haben einer Studie zufolge bei einigen Eltern die Ansichten zu Geschlechterrollen verändert. Die Forscherinnen und Forschern des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und der Freien Universität Berlin untersuchten dabei, wie Frauen und Männer zur Erwerbstätigkeit von Müttern stehen.

Nachdem im Jahr 2016 noch rund 60 Prozent der Väter mit kleinen Kindern sehr egalitäre Einstellungen vertreten hatten, waren es ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie nur noch rund 54 Prozent. Zumindest für Väter in Westdeutschland können die Forscherinnen und Forscher den Rückgang direkt und im statistisch signifikanten Sinne auf die Schließungen zurückführen. Für ostdeutsche Väter und für Mütter insgesamt lassen sich solche Effekte hingegen nicht nachweisen.

In Westdeutschland sinkt der Anteil der Väter mit sehr egalitären Geschlechterrollen-Ansichten

Die Studie basiert auf Daten aus zwei repräsentativen Bevölkerungsbefragungen. In der COMPASS-Umfrage von infratest dimap werden seit Ausbruch der Corona- Pandemie unter anderem die Einstellungen von in Deutschland wahlberechtigten Frauen und Männern zur Erwerbstätigkeit von Müttern erfragt. Aus dem ALLBUS-Datensatz (Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften) wurden entsprechende Vergleichsdaten für die Jahre 2008, 2012 und 2016 herangezogen.

In Westdeutschland ist der Anteil der Väter mit sehr egalitären Geschlechterrollen-Ansichten demnach um 7 Prozentpunkte gesunken, von 56 Prozent im Jahr 2016 auf 49 Prozent im Jahr 2021.Berücksichtigtman, dass die Einstellungen zur Erwerbstätigkeit von Müttern ohne die Pandemie dem langjährigen Trend entsprechend wohl noch egalitärer geworden wären, liegt der Rückgang sogar bei 12 Prozentpunkten. In Ostdeutschland haben solche Veränderungen offenbar nicht stattgefunden. Ein Grund dafür könnte sein, dass egalitäre Einstellungen zur mütterlichen Erwerbstätigkeit im Westen weniger gefestigt sind: Entwicklungen wie der Ausbau von Kindertagesstätten und die deutlich gestiegene Zahl erwerbstätiger Frauen waren dort verstärkt erst in den vergangenen Jahren zu beobachten.

Folgen von Schul- und Kitaschließungen politisch in den Blick nehmen

In weitergehenden Analysen rechneten die Forscherinnen und Forscher mögliche allgemeine Veränderungen in den Einstellungen zu Geschlechterrollen – die beispielsweise auch bei Männern und Frauen ohne Kinder zu beobachten sind – heraus. Doch auch dann blieben die Effekte der Kita- und Schulschließungen auf die Ansichten zu Geschlechterrollen von Vätern in Westdeutschland bestehen.

Die Politik sollte diese Erkenntnisse den Autorinnen und Autoren zufolge zum Anlass nehmen, neben den direkten Folgen der Kita- und Schulschließungen auch Nebenwirkungen wie die möglichen langfristigen Einstellungsänderungen in den Blick zu nehmen. „Von einer gesellschaftlichen Rolle rückwärts zu sprechen, wäre derzeit sicherlich noch zu dramatisch“, erklärt C. Katharina Spieß, Leiterin der Abteilung Bildung und Familie am DIW und Professorin an der Freien Universität Berlin. Dafür sei das Bild hinter den aggregierten Veränderungen vermutlich zu heterogen. „Dennoch ist es möglich, dass politische Ziele wie mehr erwerbstätige Frauen durch ein Ereignis wie die Corona-Pandemie ins Wanken geraten.“