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Standards für Forschung

Neue Strukturen stärken die gute wissenschaftliche Praxis an der Freien Universität Berlin

29.09.2021

An der Freien Universität Berlin ist im Dezember 2020 eine neue Satzung zur guten wissenschaftlichen Praxis in Kraft getreten.

An der Freien Universität Berlin ist im Dezember 2020 eine neue Satzung zur guten wissenschaftlichen Praxis in Kraft getreten.
Bildquelle: Michael Fahrig

„Publish or perish“ – veröffentlichen oder untergehen: Wer in der Wissenschaft Erfolg haben will, muss viel publizieren. Der nächste Karriereschritt in der Wissenschaft, die Finanzierung eines weiteren Forschungsprojekts – viel hängt davon ab, eine möglichst große Zahl von Artikeln in hochrangigen Fachjournalen zu veröffentlichen. Wer in Zeitschriften wie „Science“ oder „Nature“ publiziert, und sei es nur als einer von zahlreichen Ko-Autorinnen und Autoren, hat vielleicht die Chance, eines Tages eine begehrte Stelle oder gar eine Professur zu erlangen. Je größer der Druck, desto stärker kann die Versuchung sein, Ergebnisse nachträglich „anzupassen“, nur flüchtig zu prüfen, günstig zu interpretieren oder gar zu fälschen. „Dieser Versuchung müssen wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler widerstehen“, sagt Marianne Braig, Professorin für Lateinamerikanistik und als Vizepräsidentin für Forschung an der Freien Universität zuständig für gute wissenschaftliche Praxis. „Die wissenschaftliche Integrität zu verletzten, bedeutet, das Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse aufs Spiel zu setzen.“

Ethisch korrekt und kritisch forschen

Unter dem Begriff der guten wissenschaftlichen Praxis werden Leitlinien und Prinzipien zusammengefasst, denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer Arbeit verpflichtet sind. Diese Standards helfen dabei, Erkenntnisprozesse nachvollziehbar zu gestalten und Forschungsergebnisse nachhaltig verfügbar zu machen. So gelten etwa Regeln für die transparente und gewissenhafte Nutzung von Quellen sowie Empfehlungen für die Dokumentation und Aufbewahrung von Forschungsdaten. Weitere Leitlinien geben vor, sich mit den ethischen Aspekten von Forschungsvorhaben auseinanderzusetzen und die Beiträge von Kolleginnen und Kollegen ehrlich und kritisch zu besprechen. Auch Abhängigkeitsverhältnisse und Machtmissbrauch gegenüber Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern werden thematisiert.

An der Freien Universität Berlin ist im Dezember 2020 eine neue Satzung zur guten wissenschaftlichen Praxis in Kraft getreten, die sich am Kodex der Deutschen Forschungsgemeinschaft orientiert. Um diese Prinzipien noch stärker im Universitätsalltag zu verankern, wurden einige Neuerungen auf den Weg gebracht. „Dazu gehört die Einrichtung eines umfassenden und in allen Fachbereichen verankerten Ombudswesens“, erklärt Marianne Braig. „Wir möchten Vertrauens- und Schutzräume schaffen und stärken – jenseits von Betreuungs- oder Hierarchieverhältnissen –, in denen über Unsicherheit, Irritationen und Sorgen im Zusammenhang mit wissenschaftlichem Arbeiten gesprochen werden kann.“

Eine Ombudsperson, um in der Wissenschaft zu schlichten

Auf die neue Position der „Zentralen Ombudsperson“ wurde der Physikprofessor Joachim Heberle berufen. Er hat schon als Mitglied des Gremiums „Ombudsman für die Wissenschaft“ bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft vielfach Konflikte wie Vorwürfe von Datenmanipulation oder Plagiat, kriselnde Betreuungsverhältnisse und persönliche Auseinandersetzungen erlebt und geschlichtet. Vor allem die Autorschaft wissenschaftlicher Publikationen sei hart umkämpft, weil sie als Beleg für die individuelle Leistung von Forschenden zähle: „Häufig muss geklärt werden, wer Autor oder Autorin sein darf oder sein sollte, wer also wesentlich und vor allem inhaltlich zu einem Projekt und zur Publikation beigetragen hat“, erläutert Joachim Heberle. In solchen und ähnlichen Fällen können Ombudspersonen – der Begriff leitet sich von dem schwedischen Wort „Ombudsman“ („Fürsprecher“) ab – moderieren, um einen Kompromiss herbeizuführen. Unterstützung erhält der Physiker von der Koordinationsstelle Wissenschaftliche Integrität. Die Stelle informiert Universitätsangehörige zum Thema sowie zu den Abläufen an der Freien Universität und bündelt alle Prozesse in diesem Bereich. Wichtig sei ihm, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ein gutes Beispiel für Ehrlichkeit und Transparenz geben, denn dies sei die Basis von Wissenschaft, sagt Heberle. Dazu gehöre auch, angemessen mit wissenschaftlichen Enttäuschungen umzugehen: „Wenn ein Experiment nicht das erwartete Ergebnis bringt, sollte man mit anderen darüber sprechen können. Dann wird schnell klar, dass neben der Begeisterung für die Wissenschaft auch Rückschläge dazugehören.“

Die Nanostrukturwissenschaftlerin Britta Anstötz leitet ein Graduiertenprogramm am Fachbereich Physik der Freien Universität; sie hat sich zur Trainerin für gute wissenschaftliche Praxis ausbilden lassen. Neben der Schulung von Promovierenden möchte sie sich künftig auch dafür einsetzen, dass solche Seminare schon im Bachelor- und Masterstudium angeboten werden. „So vermitteln wir von Anfang an, dass es kein Bagatelldelikt ist, im Laborpraktikum das Protokoll vom Nachbarn abzuschreiben oder Messpunkte zu korrigieren, wenn sie nicht zu den erwarteten Ergebnissen passen.“

Neue Richtlinie zu Forschungsdaten

Auch Technik kann helfen, Wissenschaft vertrauenswürdiger zu machen, etwa wenn alle Mess- oder Umfrageergebnisse eines Projekts öffentlich einsehbar sind. Deshalb hat die Freie Universität im Mai dieses Jahres eine neue Richtlinie zum Umgang mit Forschungsdaten verabschiedet. „Viele Drittmittelgeber verlangen genaue Angaben dazu, welche Daten in einem Drittmittelprojekt wie transformiert, gespeichert und langfristig zugänglich gemacht werden; ebenso wollen Gutachterinnen und Gutachter von Fachartikeln immer häufiger einen Blick in die Datenbanken werfen – quer durch die Disziplinen“, sagt Sibylle Söring. Die Germanistin leitet das Team Forschungsdatenmanagement an der Universitätsbibliothek und ist stellvertretende Leiterin der dortigen neuen Abteilung „Dienste für Forschung“. Söring, die zuvor viele Jahre als wissenschaftliche Koordinatorin verschiedene bundesweite Informationsinfrastrukturprojekte für die Geisteswissenschaften betreut hat, kennt die Anforderungen der Forschenden. Mit ihrem Team bündelt und dokumentiert sie alle Services, die an der Freien Universität für den Umgang mit Forschungsdaten zur Verfügung stehen, und berät Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in allen Phasen eines Forschungsvorhabens. „Nur, wenn wir die Daten im Sinne offener Wissenschaft transparenter machen, ist Anschlussforschung, auch eigene, möglich – und nicht zuletzt auch sichtbar“, sagt sie.

In der Wissenschaft gebe es eben nicht die eine Wahrheit, betont Marianne Braig. Das habe sich in den Debatten um die Pandemie wieder gezeigt. „Erkenntnis setzt sich aus verschiedenen Perspektiven stückchenweise zusammen; jeder Wissensstand bildet nur einen vorübergehenden Stand im ständigen Ringen um Erkenntnis ab.“