Bewegung in den Führungsetagen
Das Managerinnen-Barometer zeigt, dass Geschlechterquoten wirken: Unternehmen besetzen Vorstände mit mehr Frauen
22.02.2022
Immer noch einsam an der Spitze? Martina Merz, Vorstandsvorsitzende von Thyssenkrupp, spricht im November 2021 bei der Bilanzpressekonferenz des Konzerns. 2021 stieg der Anteil von Frauen in Führungspositionen.
Im Jahr 2021 gab es mit einem Anteil von 15 Prozent mehr Frauen in den Vorständen großer deutscher Unternehmen als jemals zuvor. Damit reagierten die Konzerne auf eine neue gesetzliche Mindestbeteiligung für Frauen in Führungsgremien, noch bevor sie überhaupt in Kraft getreten ist. „Der Frauenanteil ist immer noch gering“, sagt Anja Kirsch, Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität mit dem Schwerpunkt Gender, Governance und internationales Management. „Aber wenn klar ist, dass gehandelt werden muss, dann werden die Führungspositionen schließlich auch mit Frauen besetzt.“ Im europäischen Vergleich hinkt Deutschland sowohl mit der Reichweite des neuen Gesetzes als auch mit dem Frauenanteil in Vorständen deutlich hinterher.
Höchster Anstieg des Anteils von Frauen in Führungspositionen seit Messungsbeginn
Für das diesjährige Managerinnen-Barometer, das Forscherinnen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und der Freien Universität gemeinsam aufgestellt haben, wurden unter anderem die 200 umsatzstärksten Unternehmen und der Frauenanteil in deren Vorständen und Aufsichtsräten untersucht. Mit 139 Vorständinnen gab es 38 Frauen mehr als noch 2020 in dem Gremium, für das von August dieses Jahres an das sogenannte Führungspositionen-Gesetz II in Kraft tritt. Das ist der höchste Anstieg des Frauenanteils seit Beginn des Managerinnen-Barometers im Jahr 2006.
Gemäß der von August an gültigen gesetzlichen Mindestbeteiligung muss in börsennotierten, paritätisch mitbestimmten Unternehmen ab einer Vorstandsgröße von vier Personen mindestens eine Frau im Vorstand sein. „Das betrifft in Deutschland mit insgesamt 66 Unternehmen nur eine sehr kleine Anzahl“, sagt Anja Kirsch. Dennoch betont sie den positiven Effekt der Quote: „Vorständinnen sind – im Gegensatz zu Aufsichtsrätinnen – tagtäglich im Unternehmen tätig und haben oft auch dort Karriere gemacht. Damit eignen sie sich noch stärker als Rollenvorbilder für Frauen, die im selben Unternehmen arbeiten.“
In der Gruppe der Top-200-Unternehmen stieg der Frauenanteil im Vorstand bei denjenigen, auf die die Mindestbeteiligung nicht zutrifft, nur um knapp drei Prozentpunkte auf rund 14 Prozent, während in den an das Gesetz gebundenen Unternehmen der Anteil im Jahresvergleich von 14 auf 19 Prozentpunkte stieg.
Viele Unternehmen haben noch kein Ziel für den Frauenanteil im Vorstand definiert
Eine Frauenquote von 30 Prozent gilt bereits seit 2015 für Aufsichtsräte in Deutschland. Daher liegt der Frauenanteil mit fast einem Drittel auf einem höheren Niveau als in den Vorständen – aber es gibt dort deutlich weniger Zuwächse. Zudem müssen die Aufsichtsräte seit Einführung des Gesetzes eine Zielgröße für den Frauenanteil im Vorstand festlegen. „Viele Unternehmen haben sich aber gar nicht bewegt und eine Zielgröße von null festgelegt“, sagt Anja Kirsch. Sowohl diese Tatsache als auch den Antizipationseffekt bei der Quote für weibliche Vorstände sieht sie als klaren Beleg dafür, dass gesetzliche Vorgaben nötig seien und ausgeweitet werden müssten.
Besonders im europäischen Vergleich zeige sich noch einmal, wie klein die Reichweite des Gesetzes ist, sagt Anja Kirsch. „In acht weiteren EU-Ländern gibt es Geschlechterquoten, die für eine größere Gruppe von Unternehmen gelten.“ Sie hält die Durchsetzung eines Richtlinienvorschlags der EU-Kommission für eine Geschlechterquote in Spitzenpositionen großer Unternehmen für hilfreich. „Auch die anderen 18 Staaten müssten dann eine Quote einführen“, sagt sie.
Dass es ohne gesetzliche Vorgaben wenig Fortschritt in diesem Bereich gibt, zeigen auch die Zahlen zum Frauenanteil in Spitzenpositionen von Unternehmen in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union: Während in Ländern mit Quote der Anteil bei 35 Prozent Frauen in Spitzengremien liegt, sind es bei den Ländern ohne Quote nur 22 Prozent. „Da Deutschland bisher im Rat der Europäischen Union gegen dieses Vorhaben gestimmt hat, besteht seit dem Regierungswechsel Ende 2021 Hoffnung auf eine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse zugunsten einer EU-weiten Geschlechterquote“, sagt Anja Kirsch.
Die Quote: kein Wundermittel
Die Wirksamkeit der Quote steht anhand dieser Daten außer Frage. Anja Kirsch betont jedoch, dass sie kein Allheilmittel sei. „Einen positiven Einfluss auf die Gleichstellung von Männern und Frauen in Unternehmen haben neben gesetzlichen Quoten natürlich auch andere Aspekte“, sagt sie. Dazu gehörten zum Beispiel die Frage nach der Ausgestaltung von Führungspositionen mit Blick auf Doppelspitzen, Elternzeit und Mutterschutz sowie die innerbetriebliche Förderung und Weiterentwicklung von Frauen.
Weitere Informationen
- Prof. Dr. Anja Kirsch, Professorin für Gender, Governance und internationales Management am Management-Department der Freien Universität Berlin
- Ausführliche Ergebnisse des Managerinnen-Barometers im DIW-Wochenbericht 3/2022
- YouTube-Video "Nachgeforscht" vom DIW Berlin über Ergebnisse und Hintergrund des Managerinnen-Barometers