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Versammelt euch!

An der Freien Universität wurde ein historisches Plakat aus der Vorgeschichte der Hochschule restauriert. Auf diesem Plakat wird zur Versammlung am 23. April 1948 im Hotel Esplanade aufgerufen

30.06.2022

Schwarz-Weiß-Foto von Studierenden während einer Versammlung am 23. April 1948 im Hotel Esplanade

Appell. Der Student Otto Stolz (rechts) fordert die Gründung einer freien Universität in den Westsektoren der Stadt.
Bildquelle: FU Berlin, Universitätsarchiv, Foto/31136, Fotograf unbekannt

Bei der Versammlung am 23. April 1948 im Hotel Esplanade forderten Studierende die Gründung einer freien Universität im Westsektor Berlins. Durch eine Spende der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligen der Freien Universität Berlin e. V. konnte das stark beschädigte Plakat restauriert werden. Was geschah in den turbulenten Wochen vor dem Gründungsbeschluss im Jahr 1948?

Die politische Repression gegen Andersdenkende setzte an der Berliner Universität Unter den Linden schon bald nach der Wiederaufnahme des Studienbetriebs im September 1945 ein. Anlässlich der Feier zum 1. Mai 1946 protestieren 30 Mitglieder der „Studentischen Arbeitsgemeinschaft im Jugendausschuss der Stadt Berlin“ gegen die Anbringung des SED-Emblems über dem Haupteingang der Universität Unter den Linden. Daraufhin wurde der Vorsitzende dieser Arbeitsgemeinschaft Georg Wrazidlo seines Amtes enthoben und durch ein SED-Mitglied ersetzt.

Georg Wradzidlo war wie die anderen Unterzeichner der Protesterklärung anerkanntes „Opfer des Faschismus“, da er im November 1944 wegen Wehrkraftzersetzung ohne Urteil in den Konzentrationslagern Groß-Rosen und in Buchenwald inhaftiert war. Nach der Befreiung durch die US-amerikanischen Streitkräfte kam er nach Berlin, um sein abgebrochenes Medizinstudium fortzusetzen. Die Sowjetische Militäradministration ernannte ihn Ende November 1945 zum Vorsitzenden der „Studentischen Arbeitsgemeinschaft“.

Am 8. März 1947 verhaftete die sowjetische Geheimpolizei NKWD die im Zulassungsbüro der Berliner Universität tätige 21-jährige Studentin Gerda Rösch. Fünf Tages später wurden der 29-jährige Georg Wradzidlo und der 21-jährige Germanistikstudent Manfred Klein festgenommen. Das sowjetische Militärtribunal Berlin-Lichtenberg verurteilte Gerda Rösch wegen der Bildung einer „Untergrundbewegung an der Universität Berlin“ zu 25 Jahren Zwangsarbeit. Manfred Klein und Georg Wradzidlo erhielten das gleiche Strafmaß wegen angeblicher Spionage.

Haft und Zwangsarbeit für Freiheitsforderung

Manfred Klein, Mitglied der Katholischen Jugend und der CDU, gehörte am 26. April 1946 gemeinsam mit Erich Honecker zu den Mitunterzeichnern des Gründungsaufrufs der Freien Deutschen Jugend (FDJ), die sich zunächst als überparteiliche Jugendorganisation verstand. Manfred Klein, der sowohl Mitglied des Studentenrats der Universität Unter den Linden wie auch des FDJ-Zentralrats war, hatte kurz vor seiner Verhaftung den Antrag gestellt, ein Bekenntnis zur Freiheit der Person in das FDJ-Programm aufzunehmen. Gerda Rösch, Manfred Klein und Georg Wrazidlo kamen erst 1956 aus der DDR-Haft wieder frei.

Angesichts dieser politischen Übergriffe auf engagierte Studentinnen und Studenten im sowjetischen Sektor kam es im Mai 1947 zur Herausgabe der Zeitschrift „Colloqium“; sie erschien unter amerikanischer Lizenz. Die „Zeitschrift für junge Akademiker“, so ihr Untertitel, wurde von Otto Hess, Joachim Schwarz (Chefredakteur) und Otto Stolz herausgegeben. Schwarz war im Juli 1945 von der Sowjetischen Militäradministration zum Vorsitzenden des „Zentralausschusses der Deutschen Studentenschaft beim Magistrat Berlin“ berufen worden, um an den Vorarbeiten zur Wiederaufnahme des Studiums an den Berliner Hochschulen mitzuwirken. Er studierte Rechtswissenschaft und hatte in der Zeit des Nationalsozialismus dem studentischen Widerstand mit Kontakten zur „Weißen Rose“ in München angehört.

Der Medizinstudent Otto Hess war 1940 als „wehrunwürdig“ aus dem Militärdienst entlassen und 1944 durch die Gestapo in ein Arbeitslager eingewiesen worden. Der 1917 geborene Otto Stolz gehörte als Schüler der Sozialistischen Arbeiterjugend an. Auch er war wie Georg Wradzidlo und Manfred Klein seit 1946 Mitglied der „Studentischen Arbeitsgemeinschaft“ an der Universität Unter den Linden.

Abbildung des restaurierten Plakats, blaue Schrift auf weißem Grund, Überschrift lautet "Terror"

Terror an der Freien Universität“. Ein kürzlich restauriertes Plakat zeigt den Aufruf zur Versammlung im Hotel Esplanade.
Bildquelle: FU Berlin, Universitätsarchiv, Plak/2280

Ost-Proteste im Westen

Am 16. April 1948 entzog der Präsident der „Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung“, Paul Wandel (SED), den Herausgebern und dem Chefredakteur der Zeitschrift „Colloquium“ die Zulassung zum Studium. Otto Hess und Otto Stolz gehörten der SPD, Schwarz der CDU an. Universitätsrektor Hermann Dersch begründet die Relegation der drei Studenten mit der in ihrer „publizistischen Tätigkeit liegenden Verletzung von Anstand und Würde“. Als Antwort auf die Relegationen riefen die Studentenorganisationen der SPD, der CDU und der LDP mit dem nun restaurierten Plakat zu einer Protestversammlung im Hotel Esplanade auf. Das Hotelgebäude lag im amerikanischen Sektor am Potsdamer Platz. Zwei größere Säle und das Treppenhaus blieben auch nach Bombentreffern im Jahr 1944 weiterhin nutzbar.

Das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ reagierte auf den Aufruf zur Protestversammlung mit der Drohung, jetzt sei auch an der Berliner Universität die „Machtfrage“ gestellt worden, wer streike oder Solidaritätsaktionen ausführe, gehe ebenfalls „den Weg der Drei!“ Ungeachtet dieses Einschüchterungsversuches versammelten sich am 23. April 1948 etwa 2000 Studentinnen und Studenten in und vor dem Gebäude des Hotels Esplanade. Da nicht alle Protestierenden im Inneren Platz fanden, wurden die dort gehaltenen Redebeiträge mit einem Lautsprecherwagen nach draußen übertragen. Der von der Universität Jena aus politischen Gründen relegierte Student Erich Weber (LDP) forderte ebenso wie Otto Stolz in seinem Redebeitrag ausdrücklich die Gründung einer „freien Universität“ in Berlin.

Versammlung ebnet den Weg für die Freie Universität

Nur einen Tag später, am 24. April 1948, beauftragte General Lucius D. Clay, Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone, den Journalisten Kendall Foss damit, Möglichkeiten für die Errichtung einer eigenständigen Universität in den West-Sektoren Berlins zu sondieren. Am 29. April 1948 beantragte dann die SPD-Fraktion in der Berliner Stadtverordnetenversammlung, die sofortige Einleitung von „Maßnahmen für die Errichtung einer freien Hochschule“. Dieser Antrag wurde am 11. Mai 1948 mehrheitlich gegen die Stimmen der SED-Fraktion angenommen. Damit war der Gründung der Freien Universität Berlin der Weg geebnet.

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