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Verstehen. Verhindern. Vertraut machen.

Im Tiermedizinischen Zentrum für Resistenzforschung werden Resistenzen aufgeklärt und neue Hygienekonzepte entwickelt

30.06.2022

Lothar Wieler, Günter Ziegler und Gregor von Samson-Himmelstjerna im Gespräch der bei der Eröffung des TZR

Lothar H.Wieler, RKI-Präsident und Veterinär-Professor (re.), bei der Eröffnung des Forschungsgebäudes mit TZR-Sprecher Prof. Dr. Georg von Samson- Himmelstjerna (li.) und dem Präsidenten der Freien Universität, Prof. Dr. Günter M. Ziegler.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Mal sind es Bakterien, mal Viren, mal Parasiten, die sich in einer Nutztierherde rasend schnell ausbreiten. Vor allem um Durchfall- oder Atemwegserkrankungen bei Nutztieren wie Schweinen, Rindern oder Geflügel zu bekämpfen, werden in der intensiven Tierhaltung seit Langem Antibiotika und andere Antiinfektiva eingesetzt. Doch das verschlimmert das Problem oft noch, weil sich resistente Erreger entwickeln können.

Das Tiermedizinische Zentrum für Resistenzforschung ist in Europa einzigartig

Um die Mechanismen dahinter gründlich erforschen zu können, eröffnete der Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin im Mai sein Zentrum für Resistenzforschung (TZR). Der rund 60 Millionen Euro teure Forschungsbau auf dem Campus Düppel wurde vom Bund und vom Land Berlin finanziert, bietet 110 Arbeitsplätze und ist in Europa einzigartig: Neben Laborräumen und hochmodernem Gerät zur biochemischen Analyse und hochauflösende Mikroskopie gibt es auch umfangreiche Tierhaltungsmöglichkeiten von variabler Größe – direkt im Gebäude. „Sie erlauben uns, die Erregergruppen aus unseren Laboren unter kontrollierten Bedingungen gleich im Tier zu erforschen. Und dies in unterschiedlichen Gruppengrößen, sodass wir Fragestellungen mit unmittelbarem Praxisbezug untersuchen können“, sagt Georg von Samson-Himmelstjerna, Parasitologe und Sprecher des TZR. Einziehen werden neben klassischen Labornagetieren vor allem Schweine, Geflügel, Wiederkäuer und Nutzfische. Tierhaltung kann im Kleinen simuliert und nachhaltigere Haltungsbedingungen können erprobt werden – zum Beispiel Stroh statt harter Spaltenboden bei Schweinen. „Erstmals können wir nun sogar Nutzfische halten – ein absolutes Zukunftsfeld“, hebt Uwe Rösler, Hygieniker und Dekan des Fachbereichs hervor.

Genau zu verstehen, wie Resistenzen entstehen, ist das eine – sie durch reduzierten Einsatz von Antiinfektiva zu verhindern, ein weiteres Thema. Beispiel: Ektoparasiten. Sie sitzen auf dem Tier und übertragen häufig kleinere Erreger – zum Beispiel Viren (Stechmücken) oder Borrelien und Piroplasmen (Zecken). Gegen solche Blutparasiten, die für die Tierhaltung in Afrika ein großes Problem sind, wollen die Fachleute für Tropenmedizin der Freien Universität, die nun ins TZR umziehen, Impfstoffe entwickeln.

Antibiotika helfen immer weniger gegen Infektionen

Dass Antibiotika, einst hochwirksam gegen bakterielle Infektionen, inzwischen ein stumpfes Schwert sind, ist aus der Humanmedizin bekannt. Bei Antiparasitika sieht es ähnlich aus – und inzwischen gibt es sogar Resistenzen gegen Desinfektionsmittel. Das ist für die Tierhaltung und Veterinärmedizin hochproblematisch, erhält jedoch noch größere Relevanz, da letztlich alles mit allem zusammenhängt: Resistente Erreger gelangen in die Umwelt, in tierische Produkte und kommen darüber zum Menschen. Das Wohlbefinden von Mensch, Tier und Umwelt ist also unmittelbar miteinander verknüpft. Gemäß dem „One Health Concept“ der Weltgesundheitsorganisation WHO gilt es, gemeinsam dafür zu sorgen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen – auf regionaler, nationaler und globaler Ebene.

Was ist zu tun? „Es fängt damit an, wie wir unser Fleisch produzieren: Je weniger intensiv wir Tiere halten, desto weniger gestresst und krankheitsanfällig sind sie. Das reduziert den Einsatz von Antiinfektiva, und es kommt weniger leicht zu einer Resistenzentwicklung“, sagt Uwe Rösler. Das Zweite sei der Umgang mit dem Lebensmittel. Rohes ist nie absolut keimfrei, auch nicht Bioware. „Das Hähnchenbrustfilet wird für alle Zeit ein Risikolebensmittel bleiben. Auf diesen sind einfach immer Keime zu erwarten“, betont Uwe Rösler. Geflügel müsse immer durchgekocht oder -gebraten werden. „Entencarpaccio geht einfach nicht!“

Krankheitserreger wechseln zwischen Mensch und Tier

Das Dritte ist der enge Austausch zwischen Mensch und Tier. „Dank“ Corona ist inzwischen allgemein bekannt, dass Krankheitserreger zwischen den Spezies springen können, der Begriff „Zoonose“ gehört zum erweiterten Wortschatz. Die Menschen dafür zu sensibilisieren, dass es nicht nur zu „exotischen“ Übertragungen kommt, wie bei SARS-CoV2 oder den Affenpocken, sieht Georg von Samson- Himmelstjerna als wichtige Aufgabe des TZR. Auch der Kontakt zwischen Haustieren und ihren Besitzerinnen und Besitzern birgt Risiken. „Wenn ich meinen Hund im Bett schlafen lasse, besteht ein Infektionsrisiko. Jagt er draußen und nimmt Nager auf, muss er entsprechend oft entwurmt werden.“ Das heißt, regelmäßig Antiinfektiva – dadurch droht das Risiko einer Resistenzentwicklung. „Umgekehrt kolonisiert auch der Mensch seine Haustiere mit resistenten Keimen“, sagt Uwe Rösler. „Deshalb werden wir Medizinerinnen und Mediziner entsprechend schulen – aus Tier- und Humanmedizin.“

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