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Viel Lärm um Assel, Schnecke und Regenwurm

Der Bodenökologe Matthias Rillig lädt Kunstschaffende zu Gastaufenthalten in sein Labor an der Freien Universität ein – und hört zu, was im Erdreich passiert

04.05.2022

Großaufnahme eines Regenwurms mit Pflanzen und Steinen im Hintergrund

Stille? Von wegen. Wie das Meer und die Luft ist auch das Erdreich voller Geräusche.
Bildquelle: pixabay

Welche Geräusche machen eigentlich Pilze, wenn sie durch den Boden wachsen? Darüber hatte Matthias Rillig, Professor für Bodenökologie an der Freien Universität Berlin, noch nie nachgedacht, bis die französische Künstlerin Karine Bonneval sich an ihn wandte. „Die Frage hat mich nicht mehr losgelassen“, sagt Matthias Rillig, „und mich schließlich zu einem ganz neuen Forschungsfeld geführt.“

Schall und Vibrationen liefern Information für Bodentiere

Karine Bonneval habe 2016 im Labor seiner Arbeitsgruppe hospitieren wollen und ihn inspiriert, ins Erdreich hineinzulauschen. Eine ihrer Klanginstallationen habe ihm besonders gefallen. „Es war eine Art Teppich aus Erde, daraus ragten Röhren aus Ton wie Fruchtkörper hervor. Sie dienten als Hörstationen, an denen den Geräuschen der Bodentiere gelauscht werden konnte“, erinnert sich Matthias Rillig. Gemeinsam mit der Künstlerin und einem Kollegen publizierte er einen Fachartikel darüber, welche Rolle Schall oder Vibrationen als Informationsquelle für Organismen im Boden spielen könnten. Das sei eine neue Perspektive für ihn gewesen, berichtet der Ökologe, weil er vorher davon ausgegangen sei, dass es im Boden still und dunkel ist und Organismen vor allem durch den Austausch chemischer Signale kommunizieren.

Nach dieser erfolgreichen Zusammenarbeit lud Matthias Rillig regelmäßig Kunstschaffende in seine Arbeitsgruppe ein, darunter auch die slowenische Künstlerin Saša Spačal, die in ihrer Reihe „Myco Mythologies“ ergründete, was Menschen von Pilzen über artenübergreifendes Überleben mittels Inklusion und Fürsorge lernen können. „Viele Mitglieder meines Teams sind begeistert dabei“, sagt der Wissenschaftler.

Kunst und Wissenschaft können eine gemeinsame Sprache finden

Seine Erfahrungen mit „Artists in Residence“ hat er gemeinsam mit seinen Gästen ausgewertet und in einem Fachartikel in zehn Regeln zusammengefasst, die zum Gelingen eines solchen Projektes beitragen können. Regel Nummer eins: Forschende wie Kunstschaffende sollten offen dafür sein, ihre Ideen zu teilen. „Kunstschaffende sind Forschende der Kunst“, sagt Matthias Rillig. Als Wissenschaftler müsse er ihre Weltsicht, ihre Arbeitsweise und Ergebnisse anerkennen, um zu neuen Einsichten zu gelangen. „Das gelingt am besten, wenn wir miteinander reden, arbeiten, uns gut kennenlernen und dabei eine gemeinsame Sprache finden.“

Inzwischen interessieren sich auch andere Arbeitsgruppen am Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie für das Konzept und bereiten Kooperationen vor. Die Fachbereichsverwaltung fördert solche Projekte mit einem Zuschuss von jeweils bis zu 5.000 Euro.

Sonde für Aufnahme von Bodengeraeuschen in einem Kasten auf dem Boden von oben

Mit Sonden kann der Wissenschaftler und Künstler Marcus Maeder Geräusche im Boden aufnehmen.
Bildquelle: Marcus Maeder

Kunst und Philosophie treffen auf Umweltwissenschaften

Neuer Gast im Labor von Matthias Rillig ist Marcus Maeder. Der Schweizer hat Freie Kunst und Philosophie studiert, schreibt eine Doktorarbeit in Umweltsystemwissenschaften an der ETH Zürich und forscht an der Zürcher Hochschule der Künste zu akustischer Ökologie. „Wir lernen von ihm, Geräusche im Boden aufzunehmen, zu verstärken und zu reproduzieren, sodass wir sie in kontrollierter Form im Laborexperiment abspielen können“, erklärt der Biologieprofessor. Mit speziellen Kontaktmikrofonen, die wie eine Antenne weitgehend zerstörungsfrei in den Boden gesteckt werden, habe Marcus Maeder etwa aufgenommen, wie ein vorbeifahrender Traktor im Erdreich klingt. Mit dem Geräusch werden Bodenproben mehrfach über einen definierten Zeitraum in kontrollierter Umgebung beschallt, dann wird gemessen, ob der Lärm einen Effekt auf Zersetzungsprozesse und die Biodiversität in den Proben hat.

Wie klingen Ameisen?

In einem weiteren Experiment erfassen die hochsensiblen Mikrofone, wie sich Lautäußerungen von Ameisen, Springschwänzen und anderen Tieren als Reaktion auf das Traktorgeräusch verändern.„ Noch ist das Ergebnis nicht spruchreif“, sagt Marcus Maeder, es sehe aber danach aus, dass die Tierchen nach der Störung eine Zeit lang innehalten und nicht mehr akustisch kommunizieren.

Marcus Maeder und Matthias Rillig vermuten, dass die Aktivität und Vielfalt der Makro- und Meso-Fauna im Boden unter Störgeräuschen leide, etwa unter dem Lärm von Autobahnen, Flughäfen, Baustellen und landwirtschaftlichen Maschinen. „Noise Pollution“, so der Fachbegriff, wäre dann ein weiterer Faktor im globalen Wandel unserer Umwelt. „Wir stehen auf diesem Forschungsgebiet erst ganz am Anfang. Aber wir kennen den Effekt von Lärmverschmutzung in den Ozeanen und in der Luft – wieso sollte es im Boden anders sein?“, sagt Matthias Rillig.

Das wichtigste Werkzeug: der Verstärker

Je höher die Biodiversität, desto besser können Böden ihre Funktionen erfüllen, also etwa abgestorbenes organisches Material zersetzen und Nährstoffe für die Produktion pflanzlicher Nahrungsmittel herstellen. Milben, Insekten, Springschwänze, Regenwürmer, Schnecken, Tausendfüßer und Asseln zerkleinern als sogenannte primäre Zersetzer-Material, damit Mikroorganismen es überhaupt verwerten können. „Fehlten diese Bodentiere, wäre unser Kohlenstoffkreislauf ein anderer“, erläutert Marcus Maeder.

In der Akademie der Künste Berlin möchte er im kommenden Jahr eine Klanginstallation ausstellen, die Veränderungen der Artenvielfalt im Boden akustisch erfahrbar macht. Sein wichtigstes Werkzeug sei der Verstärker, sagt der Künstler. Um die Geräusche der Bodentiere zu hören, müsse er sie um den Faktor 1000 verstärken. „So rücken einem die Dinge auf den Leib, es entsteht ein Moment der Intimität.“ Auf diese Weise zeigten Kunst und Wissenschaft, dass der Boden höchst belebt ist und empfindlich auf menschliche Einflüsse reagiert.

Akustische Signatur von Bodentieren mit Künstlicher Intelligenz erkennen

In einem weiteren gemeinsamen Projekt mit der Arbeitsgruppe von Matthias Rillig geht es darum, die akustische Signatur von Bodentieren automatisch zu erkennen. „Wir zeichnen die Laute einzelner Bodentiere auf, etwa von Regenwürmern, Springschwänzen, Asseln und Ameisen, und trainieren eine Software darauf, die einzelnen Spezies an ihren Lauten zu erkennen.

Die Arbeit ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber mit einer anderen Methode kann Marcus Maeder bereits jetzt akustisch messen, wie viele verschiedene Arten großer und mittelgroßer Tiere in einer Bodenprobe enthalten sind. Dazu wertet er aus, wie viele verschiedene Geräusche in einer Aufnahme enthalten sind, welche Dynamik sie haben und errechnet daraus mit statistischen Verfahren einen Index für die Artenvielfalt. Das funktioniert erstaunlich präzise, wie vergleichende Auswertungen mit herkömmlichen Methoden zur Bestimmung der Artenvielfalt gezeigt haben.

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