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Politainment und der US-Wahlkampf

Damit ein gewünschter visueller Eindruck nicht zunichte gemacht wird, müssen die Personen und die Ereignisse kontrolliert werden

 

George W. Bush könnte als klarer Sieger der Präsidentschaftswahlen in den USA prognostiziert werden, ginge es allein um ein Voraussagekriterium: Wie viele Kleinkinder hat der Amtsinhaber in diesem Wahlkampf bereits in die Höhe gestemmt, um ein für die Fotografen immer wieder attraktives Sujet zu bedienen? Eine Recherche der im Internet zugänglichen Fotos ergibt jedenfalls einen ansehnlichen Vorsprung für Bush. Was zeigen solche Bilder? Die Mutter des Kindes hat offensichtlich Vertrauen in den Amtsinhaber beziehungsweise den Kandidaten, um ihm zeitweise ihr Kind zu überlassen. Der Amtsinhaber/Kandidat erscheint als universelle Verkörperung einer vertrauenswürdigen Vaterfigur. Ob Bush oder Kerry: Für die nächsten vier Jahre sollen die Amerikaner wieder einen Präsidenten wählen, an den sie ihre Entscheidungsmacht delegieren. Für die nächsten vier Jahre können sie diese Wahl nicht rückgängig machen. Das heißt, sie müssen dem Amtsinhaber oder dem Kandidaten Vertrauen schenken. Wie vertraut man eigentlich Politikern?

Der amerikanische Mediensoziologe Todd Gitlin hat die Metamorphose des Wahlkampfs in der Mediendemokratie als einen Dreischritt beschrieben: Nachdem in der Berichterstattung zunächst die Auseinandersetzung der Konkurrenten um Sachfragen im Vordergrund stand, haben die modernen Instrumente der Demoskopie den Wahlkampf zu einer sportlichen Veranstaltung gemacht – wer liegt im Rennen vorn und mit welchem Vorsprung? Niemand möchte auf ein Pferd setzen, das verlieren wird. Indem sie sich an Umfragedaten orientieren, versichern sich die Wähler, die damit selbst in ihrem Verhalten immer unberechenbarer werden, dass sie nicht auf das falsche Pferd setzen. Der vorläufig letzte Schritt ist erreicht, wenn die Wähler die Inszenierungsstrategien der Wahlkämpfer bewerten und diese Bewertung zu einem wesentlichen Faktor ihrer Wahlentscheidung machen. Sachargumente, die Kenntnis des Spitzenreiters und die Normalkompetenz des Mediennutzers, Medieninszenierungen zu bewerten sind die Elemente, aus denen das Vertrauen in Politiker in der Mediendemokratie entsteht. Dabei hat der Umstand, dass die Rolle von Inszenierungen immer wichtiger wird, die Kommunikation von politischem Vertrauen immer mehr mit Unterhaltungselementen verschränkt. Politik wird zum medialen Politainment. Politische Sachargumente müssen dramatisiert werden, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Aber vor allem müssen sich Politiker überzeugend als vertrauenswürdig darstellen.

Die Echtzeitmassenmedien und besonders das Fernsehen haben die Distanz, die zwischen Herrschern und Volk in den vorigen Jahrhunderten bestand, radikal verkürzt. Zwar werden die wichtigen Entscheidungen immer noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen, alles andere jedoch ist sichtbar geworden: die Person des Politikers, sein privates, familiäres Umfeld, seine Freunde und Vertrauten, seine Biografie.

Obgleich die für die amerikanischen Kandidatenwahlkämpfe typische Personalisierung im deutschen System der Parteienwahlkämpfe noch nicht in allen Möglichkeiten ausgeschöpft ist, ist die Tendenz, die Privatperson und das Privatleben des Politikers als Teil einer Medieninszenierung zu begreifen, auch hierzulande offensichtlich. Neben die „Hard News“, in denen über die Sachargumente, also Problemdiagnosen und Reformvorstellungen der Politiker berichtet wird, treten die „Soft News“, die weniger Wissen, dafür mehr Möglichkeiten emotionaler Teilhabe vermitteln an den (inszenierten) Ereignissen der Mediendemokratie.

Skandale ermöglichen den Einblick in Privates, das verborgen bleiben sollte, damit die Inszenierung des vertrauenswürdigen Amtsinhabers beziehungsweise Kandidaten nicht beschädigt wird. Hat George W. Bush tatsächlich regulär seine Dienstzeit bei der texanischen Nationalgarde abgeleistet? Hat John Kerry tatsächlich den Green Beret Jim Rassman unter Beschuss gerettet? Wenn wir Zweifel haben, muss auch unser Urteil über die Vertrauenswürdigkeit dieser Politiker überdacht, muss eine Wahlentscheidung womöglich revidiert werden.

Die zur Wahl stehenden Politiker sind nicht nur Teil eines Wahlkampfteams, das sich um die Organisation eines möglichst schlagkräftigen Wahlkampfes bemüht. Sie sind auch Mittelpunkt eines Bühnenensembles, einer Medieninszenierung. Dabei ist es die Aufgabe der anderen Ensemblemitglieder, die Vertrauenswürdigkeit des zu wählenden Politikers herauszustreichen. Im engsten Zirkel finden wir hier seine Familie: Ehefrau und Kinder. Die Auftritte von Laura Bush und Teresa Heinz Kerry auf den Nominierungsparteitagen, auf denen ihre Ehemänner gekürt wurden, waren mehr als nur eine Pflicht. Ebenso wie die Töchter, Barbara und Jenna auf der einen, Alexandra und Vanessa auf der anderen Seite sind sie der beste – lebende, verkörperte, sichtbare – Beweis dafür, dass man ihre Ehemänner/Väter für liebenswert, verantwortungsvoll, vertrauenswürdig halten sollte. Es gibt natürlich noch andere Ensemblemitglieder in einem äußeren Zirkel – allesamt Gewährsleute für die Vertrauenswürdigkeit der Kandidaten, die ihren Part spielen - wie etwa Senator John McCain, einer der über die Grenzen der Republikanischen Partei hinaus populärsten amerikanischen Politiker. Sein Auftritt am ersten Tag des Nominierungsparteitages der Republikaner setzt ein solches Vertrauenszeichen. Oder es sind hoch dekorierte Soldaten wie der Air Force-General Merrill A. McPeak, der in einem Wahlwerbespot der Demokraten erklärt, warum er nicht mehr für Bush eintreten kann.

Politainment macht die Werbung der Politiker um Vertrauen zu einer Sache von Inszenierung. Inszeniert werden nicht zuletzt Bilder und Szenen, die überzeugen sollen. Andererseits müssen Personen und Ereignisse so kontrolliert werden, dass ein gewünschter visueller Eindruck nicht zunichte gemacht wird: Die Pose des bevorstehenden Sieges darf nicht künstlich wirken, die Verbrüderungsgesten des Wahlkämpfers mit seinen Anhängern müssen authentisch verkörpert werden, der Politiker darf nicht zu steif, seine Freundlichkeit nicht aufgesetzt wirken. Ob diese Körperarbeit der Wahlkämpfer gelingt, zeigen uns die Bilder der Massenmedien. Vertrauen baut auf Sehen. Dort, wo uns keine Bilder geliefert werden, greifen wir auf unsere Imaginationen zurück, die dabei in gleicher Weise funktionieren wie richtige Bilder. Die Veröffentlichung des Buches von Kitty Kelley hat nun kurz vor der Wahl eine Pandora-Büchse schlimmer Imaginationen geöffnet: George W. und sein Bruder Jebb bei der Kokain-Party in Camp David, Laura Bush mit einem Marihuana-Bauchladen. Selbst wenn alle von Kelley ausgegrabenen Skandale und Skandälchen um George W. Bush entkräftet werden könnten: Viele Wähler haben sich vorgestellt, wie Bush all diese Dinge getan hat. Und nicht nur die Wahrheit, auch Vorstellungen können Wahlen entscheiden.

Der Autor ist Soziologe am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin