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Den Horizont der Universität erweitert

Eberhard Lämmert zum 80. Geburtstag

Eberhard Lämmert kann man jetzt mit 80 Jahren auch als „Nestor“ rühmen. Er ist Germanist, vor allem aber vergleichender Literaturwissenschaftler mit Sicht auf verschiedene Medien, Epochen und Kulturen. Berufene Fachleute haben schon bei seinen früheren runden Geburtstagen dazu vieles gesagt und geschrieben, auch zu seinen Verdiensten als Präsident der Deutschen Schillergesellschaft mit dem Literaturarchiv Marbach, als Kuratoriumsmitglied im Einstein Forum in Potsdam, als Direktor der Geisteswissenschaftlichen Zentren und als Leiter des Zentrums für Literaturforschung in Berlin.

Mein Blick richtet sich auf das hochschul- und wissenschaftspolitische Wirken von Eberhard Lämmert, besonders als Präsident der Freien Universität Berlin und im Vorstand des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD). Wie zufällig bin ich ihm in diese Leitungsfunktionen gefolgt. Das hat uns über viele Jahre immer wieder zusammengeführt.

Eberhard Lämmert ist auch als FU-Präsident individueller Wissenschaftler, Philologe, geblieben und hat das Amt wie ein Rektor ausgeübt. Damit war er in den Jahren von 1976 bis 1983 ein Glücksfall für die FU. Mit seinem großen wissenschaftlichen und persönlichen Ansehen hat er diese Universität in die nationale und internationale scientific community zurückgeführt und damit die durch frühere Wirren entstandene Distanzierung beendet. Ebenso hat er mit den von ihm ins Leben gerufenen „Universitätsvorlesungen“ Bürger und Universität in Berlin wieder miteinander ins Gespräch gebracht.

Innerhalb der FU und im Verhältnis zur Berliner Politik herrschten in dieser Zeit Zerrissenheit und Konflikt. Dagegen hat Eberhard Lämmert sachlich argumentativ und persönlich liberal alles Mögliche getan, um die minima moralia einer Universität zu verteidigen. Im Bemühen um Verstehen und Überzeugen wollte er die bornierten und gegenseitig verhakten politischen Fronten entspannen; dabei konnte er auch zwischen alle Fronten geraten. Zu erwähnen ist etwa sein Einsatz gegen die Auswüchse des so genannten Radikalenerlasses, wodurch alle politischen „Linken“ als „feindlich“ verdächtigt und auch für viele Berufswege disqualifiziert werden konnten. Eberhard Lämmert fand aber ebenso eindringliche Worte gegen gewalttätige Aktionen, die der Universität „den Atem“ nähmen.

Damals haben wir in verschiedenen Rollen gemeinsam das besondere Ordnungsrecht zur Disziplinierung von Studierenden beseitigt. Studentische Aktivisten forderten jedoch, dass die Universität „rechts- und polizeifrei“ sein und sogar bei groben Verstößen ohne jeden Rechtsschutz auskommen sollte.

Das alles ließ wenig Zeit und Möglichkeit, den wissenschaftlichen Dialog in der Universität über Fachgrenzen hinweg zu fördern, wozu Eberhard Lämmert als Geisteswissenschaftler mit einem früheren naturwissenschaftlichen Studium besonders prädestiniert war und ist. Es gibt auch bis heute keine annähernde Verständigung über die „ethischen Grenzen des wissenschaftlich Machbaren“. Dabei kommen Geistes- und Sozialwissenschaftler ohne naturwissenschaftliche Bildung leicht in die Versuchung, entschieden über Fragen zu urteilen, von denen sie nicht genug verstehen, und die Naturwissenschaftler „mores“ zu lehren, deren Wertempfinden sie auch zu gering schätzen. Das war bei Eberhard Lämmert nicht der Fall.

Dialog und abwägender Vergleich sind für Eberhard Lämmert prinzipiell vernünftige Maxime. Dazu gehört allerdings die Einsicht, dass es keinen ganz richtigen Satz und demgemäß auch keinen ganz falschen Gegensatz gibt. Dabei können Philologen offener als Juristen argumentieren, die über Konflikte wirklich entscheiden und bei aller möglichen „unbegrenzten Auslegung“ im jeweiligen Systemrahmen bleiben müssen.Darüber haben wir uns gelegentlich ernsthaft, aber auch heiter unterhalten. Geistige Grenzen zu überwinden, war Eberhard Lämmert ein ständiges Anliegen. So hat er maßgeblich dabei mitgewirkt, zunächst die „nationale“ Germanistik zu entgrenzen und später die vergleichende Literaturwissenschaft in Deutschland zu internationalisieren und zum Dialog mit anderen Kulturen zu führen. Mit dieser Grundhaltung konnte er auch im Vorstand und im Beirat Germanistik des DAAD prägend wirken. So war er bei der Konzeption und den ersten Gründungen von „Centers for German and European Studies“ an ausgewählten angelsächsischen Universitäten beteiligt.

Während er diese auf Deutschland und Europa konzentrierte Ausrichtung in ausländischen Universitäten unterstützt hat, bleibt er skeptisch gegenüber einer möglichen neuen Begrenzung der Germanistik „in und für Europa“ – so das Motto des diesjährigen Germanistentages in München, an dem Eberhard Lämmert aktiv teilnahm. Dieser Vorbehalt ließe sich auch gegenüber dem Bologna-Prozess anmelden; denn der für Europa angestrebte „gemeinsame Hochschulraum“ darf nicht auf diesen Teil der Welt beschränkt bleiben.

Inzwischen gibt es erhebliche öffentliche Mittel zum „europäisch-islamischen Kulturdialog“, auch für den DAAD. Hier ist es wichtig, dass daraus keine politisch kurzatmige und einseitige Aktion im Gefolge des 11. September, sondern ein wirklicher Dialog wird. Wenn Eberhard Lämmert noch im Vorstand des DAAD wäre, würde er dort sicher auch intervenieren, dass „der vergessene Kontinent“ Afrika seine Freundlichkeit gegenüber Europa vielleicht mit Gewalt beenden müsse, um die nötige Zuwendung zu erhalten.

Viele haben Eberhard Lämmert viel zu verdanken. Das gilt vor allem für die FU, der er aber auch für das übertragene Präsidentenamt dankbar ist, weil er dadurch die weite Welt der universitären Wissenschaften besser kennen lernen konnte. Die Verbindung zur Universität hält auch ihre älteren Mitglieder jung. Deshalb sind meine guten Wünsche für Eberhard Lämmert zum 80. Geburtstag und noch zu vielen weiteren Feiertagen wohl begründet.

Der Autor war von 1991 bis 1999 Präsident der Freien Universität Berlin.