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Zivilcourage gegen Gewalt

Forschungsprojekt fördert Fairplay unter Schülern

„So einfach ist das nicht“, meint Herbert Scheithauer, seit dem Sommersemester 2004 Juniorprofessor für Pädagogische und Entwicklungspsychologie an der Freien Universität Berlin. „Mädchen verletzen nicht grundsätzlich mit Worten, während Jungen zuschlagen.“ Gewaltforschung an Schulen sei vielmehr weitaus differenzierter als allgemeine Vorurteile es nahe legten. Und Scheithauer muss es wissen, hat er doch über 2000 Schüler aus dem norddeutschen Raum nach ihren Erfahrungen mit Bullying, einer bestimmten Form von Gewalt unter Schülern, befragt. Das Ergebnis war erschreckend: Rund elf bis 13 Prozent der Schüler sind häufig – als Täter oder Opfer – von Bullying betroffen. „Von den 10 881 Schulunfällen, die die Unfallkasse Freie Hansestadt Bremen im Jahr 2003 verzeichnete, sind rund vierzig Prozent nach Schätzungen des Leiters ,Prävention‘ der Unfallkasse verhaltensbedingt“, erzählt der 34-jährige Diplompsychologe.

Der passionierte Fahrradfahrer blieb mit seinen Ergebnissen nicht in der Theorie stecken. Er entwickelte ein Beratungs- und Trainingsangebot in den Schulen. „Es gibt bei jeder Schlägerei auf dem Schulhof eine Gruppe von Außenseitern und einzelne Schüler, die eingreifen könnten oder sogar eingreifen würden, sich aber schlicht nicht trauen“, erzählt Scheithauer und fügt hinzu, dass es genau darum gehe, diese Gruppe zu stärken. In Bremen hat sich deshalb ein bundesweit einmaliges Präventionsprojekt unter dem Namen „fairplayer“ – für mehr Zivilcourage und Fairplay – gegründet, das von verschiedenen Bremer Bürgern in Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt Bremen, der Unfallkasse Freie Hansestadt Bremen, den Medien und vom Bremer Senat ebenso tatkräftige Unterstützung findet, wie vom lokalen Sport- und Fußballverein SV Werder Bremen (www.fairplayer.de). Das Programm „fairplayer“ zielt nicht auf die Täter, sondern auf die ressourcenstarken Schüler, die potenziell eingreifen können, sowie auf die Opfer von Schulgewalt. Hierzu haben sich die Initiatoren eine Reihe von Maßnahmen einfallen lassen. Bekannte Sportler, wie die Handball-Weltmeisterin Marina Basanova, der Fußballtrainer und Trainer des Jahres 2004 Thomas Schaaf und Musik-Bands treten als „fairplayer“-Botschafter auf.

Mit einem speziellen Logo auf T-Shirts und anderen Merchandising-Produkten etabliert sich „fairplayer“ als positiv besetzter Markenname. „Ich war überaus positiv überrascht wie sehr sich beispielsweise der Bremer Polizeipräsident Eckhard Mordhorst aber auch Oberbürgermeister Henning Scherf für unser Projekt haben gewinnen lassen.“ Wenn das Projekt in Bremen noch erfolgreicher wird, wollen Scheithauer und die beiden Mit-Initiatoren Stephan Rusch und Detlef Braun es auch auf Berliner Schulen übertragen.

Das Thema Gewalt hat Scheithauer auch in seiner Dissertation beschäftigt. Bei einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Metaanalyse untersuchte er die „geschlechtsspezifischen Formen aggressiven Verhaltens im Kindes- und Jugendalter.“ Zuvor hatte der Autor von annähernd fünfzig Fachartikeln, -buchbeiträgen, -büchern und Mitarbeiter mehrerer Lehrbücher gemeinsam mit zwei Kollegen die „Arbeitsgruppe Entwicklungswissenschaft“ an der Universität Bremen gegründet (www.entwicklungswissenschaft.de).

Diesem Ansatz sieht sich Scheithauer auch in der Lehre und Forschung an der Freien Universität verpflichtet, was er durch seinen im Aufbau befindlichen Arbeitsbereich „Entwicklungswissenschaft und Angewandte Entwicklungspsychologie" deutlich macht und erläutert: „Bei der Entwicklungswissenschaft geht es um einen interdisziplinären Ansatz, die allgemeine Entwicklungspsychologie mit Ergebnissen über abweichende, ,gestörte‘ Entwicklungen zu koppeln“. Selbstverständlich interessiert sich der Neuberliner deshalb auch für die Entwicklung von Kleinkindern, hat er doch während seines Zivildienstes über ein Jahr in der Kleinkindgruppe „Krümel“ gearbeitet und parallel Kinder mit Down-Syndrom betreut. Der gebürtige Bremer arbeitet im Projekt Papilio mit, einem Sucht- und Gewaltpräventionsprogramm im Kindergarten, das in Kooperation mit der Universität Bremen, wo Scheithauer zuvor tätig war, und der Universität Augsburg entwickelt wurde. Weitere Kooperationspartner sind die betapharm Arzneimittel GmbH Augsburg, die BMW Group und das Bayerische Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz. „Ein überaus spannendes Projekt, das die Chance hat, auf andere Bundesländer ausgedehnt zu werden“.

BULLYING

Negativ Handeln

Bullying beschreibt ein spezielles Muster aggressiven Verhaltens, also negative, schädigende Handlungen, wie zum Beispiel Hänseln, aus der Gruppe ausschließlich, körperliche Übergriffe, die über einen langen Zeitraum wiederholt auftreten. Dabei besteht ein Stärkeungleichgewicht zwischen sogenannten Bullys und den Adressaten, den Victims, die sich nicht erfolgreich gegen die Übergriffe wehren können.