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Unruhrädchen der Zellen

Volker Erdmann und sein Netzwerk erforschen das vielfältige Potenzial der RNA

Ribonukleinsäure, kurz RNA, ist das Schwestermolekül der DNA. Im Gegensatz zur DNA, deren einzige Aufgabe die Speicherung der genetischen Information ist, ist RNA jedoch ein wahrer Alleskönner. Der Oberbegriff RNA vereinigt dabei eine ganze Reihe hoch spezialisierter Moleküle: Messenger-RNAs speichern und transportieren Informationen; interferenz RNAs, kurz siRNAs, können durch Bindung an messenger RNAs, deren Informationen wieder aufheben; Ribosomen, die so genannten Eiweißfabriken der Zelle, haben wie viele andere Enzyme auch eine katalytische RNA im Zentrum. An fast allen Prozessen in der Zelle sind RNAs beteiligt. „RNAs haben aufgrund ihrer Vielfältigkeit ein wahnsinniges medizinisches Potenzial“, sagt Volker Erdmann, Professor für Biochemie an der Freien Universität und Gründer des RNA-Netzwerkes.

Volker Erdmann hatte dieses strukturelle Potenzial der RNA schon früh erkannt. Um deren vielfältige Möglichkeiten zu erforschen, gründete er deshalb 1998 das RNA-Netzwerk. Über zwanzig Labore und Arbeitsgruppen von Berliner Universitäten, Max-Planck-Instituten und Teilen der Helmholtz-Gesellschaft sowie Partner aus der Industrie, sind inzwischen am Netzwerk beteiligt. Gesammelt und koordiniert werden alle Aktivitäten von der eigens zu diesem Zweck gegründeten RiNA GmbH. Joachim Klein, wissenschaftlicher Koordinator der RiNA erklärt, dass die meiste Forschung in den Universitätslaboren stattfindet. „Diese geben dann ihre Forschungsergebnisse an die RiNA zur Patentierung, konkreten Produktentwicklung und Vermarktung weiter“, so Klein. Inzwischen arbeiten von den 25 Mitarbeitern der RiNA aber auch zwanzig in firmeneigenen Projekten.

Doch was genau tun RNAs in der Zelle? Und in welcher Form könnten sie uns nützlich werden? Da wäre einerseits das weite Feld der Krebstherapie. So genannte hoch-affine, also hoch-spezifisch-bindende RNAs, sind hier die großen Hoffnungsträger. „Wir arbeiten an RNAs, die sich mit einem Metallcluster versehen, an ganz bestimmte, beispielsweise nur in Tumorzellen oder erkranktem Gewebe, vorkommende Proteine binden können. Anhand des Metallclusters können diese Zellen oder Gewebestrukturen dann sichtbar gemacht werden. Der Vorteil wäre, dass man nicht nur den eigentlichen Tumor genau sehen könnte, sondern auch Metastasen, die anderweitig womöglich unentdeckt geblieben wären“, erklärt Volker Erdmann. Ähnlich funktioniert auch der kürzlich entwickelte Nanotag, ein kleines Peptidschnipselchen, das wie ein Anker an bestimmte Proteine gehängt werden kann und mit dessen Hilfe diese Proteine dann aus dem großen Substanzgemisch gezielt herausgefischt werden können.

Die RNAs erzeugen die Biochemiker durch so genannte „molekulare Evolution“ im Reagenzglas. Dabei handelt es sich um einen Prozess, in dem durch kontinuierliche Veränderung einzelner Nukleotide, das heißt der Einzelbausteine einer RN immer wieder neue Sequenzen und neue Strukturen erzeugt werden. „Der Vorteil der Herstellung im zellfreien Raum ist, dass es nicht annähernd so viele störende Faktoren gibt wie in der Zelle“, erklärt Erdmann. Wollte man beispielsweise eine RNA erzeugen, die das Wachstum einer Tumorzelle stoppt, dann würde, im Falle des Erfolgs, die Zelle absterben und man würde die RNA nie erhalten. Im Reagenzglas kann man aber beliebig viele RNAs erzeugen. Die so gewonnenen RNAs werden dann auf ihre Struktur hin analysiert. Dies geschieht teilweise in Kristallisationsversuchen im Weltall, denn dort, so Erdmann, wachsen die Kristalle, die man zur Strukturanalyse benötigt, regelmäßiger als auf der Erde.

Beinahe wäre es jedoch gar nicht zur Gründung des RNA-Netzwerkes gekommen, zumindest nicht in Berlin. Denn eigentlich war den Amerikanern zuerst bewusst geworden, von welcher Bedeutung Erdmanns Forschung war. Sie wollten ihn als Direktor für das Mitte der Neunziger Jahre neu gegründete Institut für Marine Biotechnologie in Baltimore gewinnen. Der damals amtierende Bundeskanzler Helmut Kohl bekam jedoch Wind von der Angelegenheit. Wenn es ein solches Interesse an Erdmann jenseits des Atlantiks gab, dann musste an der RNA-Forschung wohl was dran sein. So kam es, dass das Kanzleramt sich für Erdmann beim damaligen Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers stark machte und man schließlich in Zusammenarbeit mit der Stadt Berlin, dem Bund und der Industrie eine Forschungsförderung von 120 Millionen D-Mark über zehn Jahre zur Erforschung der RNAs bereitstellte. Damit war Baltimore vom Tisch und an der Freien Universität Berlin entstand das weltweit einzigartige RNA-Netzwerk.

Insgesamt gibt es wohl über 45.000 RNA-Gene im menschlichen Genom (im Vergleich zu 25.000 Proteingenen), bei denen von gerade einmal achtzig die Struktur bekannt ist. Volker Erdmann vermutet, dass die RNAs so etwas wie das Unruhrädchen der Zellen sind. „Die Arbeit in der Zelle machen die Proteine, die Feinregulation wird von den RNAs erledigt. Will man die Biologie des Menschen und seiner Krankheiten also vollständig verstehen, ist es unbedingt notwendig, die RNAs genauer zu erforschen. Daran arbeiten wir mit dem RNA-Netzwerk.“

DNA UND RNA

Die Entdecker der Doppelhelix
Im Februar 1953 veröffentlichten James D. Watson und Francis Crick die Struktur des Erbmoleküls DNA. Ihr Modell der Doppelhelix ist die wichtigste Entdeckung der Biologie im 20. Jahrhundert. Beiden Wissenschaftlern wurde gemeinsam mit ihrem Kollegen Maurice Wilkins in Anerkennung dieser Leistung 1962 der Nobelpreis für Medizin/Physiologie verliehen.

Mit der Entdeckung der DNA-Struktur und der Doppelhelix begann eine Revolution in der Molekularbiologie, die zu wichtigen Fortschritten in der Wissenschaft und Medizin geführt hat. Durch die Aufklärung der DNA-Struktur ist auch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms seit den 1990er Jahren möglich geworden.

Eng verbunden mit der Entschlüsselung der Desoxyribonukleinsäure (DNA) ist die Analyse eines weiteren, chemisch sehr ähnlichen Moleküls: die Ribonukleinsäure (RNA). Sie dient, neben anderen Funktionen, als Überbringer der im Erbgut gespeicherten genetischen Informationen. Damit übernimmt sie eine zentrale Funktion im Ablauf biochemischer Reaktionen, die für alle Lebensfunktionen wichtig sind.

Anfang Oktober 2004 folgte James D. Watson einer Einladung des Berliner RNA-Netzwerks, an dem die Freie Universität maßgeblich beteiligt ist, nach Dahlem. ( is/AN)

 

Von Isabel Pasch