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Himmlische Plätzchen

Weihnachten ist ein Familienfest mit religiösen Wurzeln geworden. Warum sich die moderne Welt daran erinnert

Ob es am nahenden Weihnachtsfest liegt, dass in der vorliegenden Zeitung ein Professor für Katholische Theologie einen Artikel für die erste Seite verfasst? Erinnert man sich in diesen Tagen nicht nur der Kirchen, sondern auch der Theologie wie ein lieb gewordenes Erbstück? Es ist beruhigend zu wissen, dass es dafür an der Freien Universität keine Anzeichen gibt.

Das Seminar für Katholische Theologie gehört zu den kleinen Fächern der Universität. Die Zuschreibung „klein“ ergibt sich aus der Zahl der Professuren, nicht aber aus dem Forschungsgegenstand. Der Zeitraum umfasst an die drei Jahrtausende, die geografische Begrenzung existiert in der Theologie theoretisch nicht. Unvermeidlich liegt ein Zentrum im europäischen Kulturraum. Aber man kann und soll daran erinnern, dass von den vier lateinischen Kirchenvätern, Ambrosius, Augustinus, Gregor und Hieronymus, einer in Nordafrika lebte und lehrte – Augustinus. Ein anderer, Hieronymus, dem das westliche Europa die lateinische Bibelübersetzung, die Vulgata, verdankt, schrieb und starb in Bethlehem. Ganz zu schweigen davon, dass sich der christliche Glaube auf Jesus von Nazareth gründet, einen jüdischen Bauhandwerker aus Galiläa.

Das Christentum, das von den Anfängen an weder schichten-, noch geschlechts- noch ethno-spezifisch war, hat ein erstaunliches Maß an Anpassung an Kulturen erwiesen, die dem seines Entstehungsmilieus doch vergleichsweise fremd waren. Bereits der Transfer der aramäischen Verkündigung Jesu ins Griechische und der Weitergabe der Glaubensaussagen über ihn von galiläischen Juden an griechisch sprechende Juden der Diaspora, sind als entscheidende Schritte zur Überwindung kultureller Barrieren zu sehen. Wenn auch das Verhältnis der frühen Christen zu ihrer kulturellen Umgebung keineswegs spannungsfrei war, so bedurfte es nur dreihundert Jahre, um sich über den ganzen Erdkreis auszubreiten.

Ein Gang in die Berliner Museen bestätigt, dass europäische Kultur bis in die Neuzeit hinein weitgehend von christlichen Inhalten beeinflusst wurde, sei es in positiver, kritischer oder negierender Rezeption. Dabei kam es teilweise zu einer Verwobenheit von Christentum und Kultur. Die Religion war bedeutend mehr als ein Begleitphänomen. Die christliche Religion wurde zu dem Deutmodell der vorbefindlichen Wirklichkeit schlechthin. Auch wenn neuzeitliches Denken ohne eine Befreiung aus dieser religiösen Bindung nicht denkbar ist, so hat sich damit das Christentum keineswegs erledigt.

Dieser Satz gilt nicht nur, weil man aus der Vorgegebenheit seines Verstehens nicht entkommen kann, sondern auch, weil man sich mit einer schlichten Negation aus den intellektuellen historischen Kontexten des Diskurses verabschiedet. Die allgemeine Religionsverachtung weiter intellektueller Kreise der alten BRD lastet gegenwärtig bleiern auf der gesellschaftlichen Diskussion, die von einer Politisierung von Religion, in welcher Art auch immer, geprägt ist. Wer hätte es vor zwanzig Jahren für denkbar gehalten, dass das Wort vom „christlichen Abendland“ tatsächlich wieder Konjunktur hätte? Wobei anzumerken bleibt, dass mit seiner Wiederbelebung keine inhaltliche Präzision einhergeht. Denn ob es sich hierbei um eine religiöse oder kulturelle oder gar geografische Bewertung handelt, bleibt völlig im Dunkeln.

Den Zusammenhang von Religion und Gesellschaft nicht nur in historischer, sondern auch gegenwärtiger Perspektive zu bedenken, gehört zu dem, was der Theologie aufgegeben ist. Sie kann das um so berechtigter, da ein Blick in die Theologiegeschichte beweist, dass sie immer stets an diesen Prozessen, ob nun gut oder schlecht, beteiligt war. Indem Theologie sich historisch vollzieht, partizipiert sie an den historischen Ereignissen und ist Teil des sozio-kulturellen Kontexts, den sie selbst mitgestaltete.

Wenn man sich nun vergegenwärtigt, dass das, was man mit europäischer Kultur und Zivilisation bezeichnet, weitgehend vom Christentum in seinen verschiedenen Konfessionen bestimmt war, dann kann man die Theologie als die ursächliche Kulturwissenschaft bezeichnen. Sie liefert die Methodik, das Instrumentarium und das Wissen, um die Prägung dieser Kultur zu deuten, zu begreifen und zu verstehen. Und sie vermag auch zu einer kritischen Würdigung zu verhelfen. Damit ist sicherlich nicht die ureigenste Aufgabe der Theologie benannt, die die Arbeit am Wort, seiner Erinnerung und seiner Reflexion ist, deren Zentrum eben die Rede von Gott war, ist und bleibt. Aber dennoch ist der Theologie in einer säkularen Gesellschaft die Aufgabe zugewachsen, über kulturelle Traditionen Auskunft zu geben, und sich mit anderen Wissenschaften um ein mehr an Verstehen und Verständniszuwachs zu bemühen.

Die Theologie hatte schon seit der Spätantike das wissenschaftliches Konzept der inneren Verschiedenheit der Disziplinen. Nun tritt sie transdisziplinär in den wissenschaftlichen Diskurs ein. An der Freien Universität findet dies seinen Niederschlag ganz selbstverständlich auch in der Lehre. Das ist nicht zuletzt durch die Studierenden selbst vorgegeben: Sie kombinieren Theologie mit Fächern wie Philosophie, Kunstgeschichte, Judaistik und Geschichtswissenschaften und tragen so zur Akzentuierung des Faches bei.

Aus der engen Beziehung der Theologie zu geschichtlich Gewordenem erklärt es sich wohl auch, dass das „kleine“ Fach Katholische Theologie erstaunlich häufig als Expertenwissen der Freien Universität zu Rate gezogen wird, um aus theologischer Perspektive zu gesellschaftlichen Vorgängen Stellung zu nehmen.

In diesem Semester, in dem das Seminar für Katholische Theologie gemeinsam mit dem Zentrum für Antisemitismusforschung der TU die gemeinsame Ringvorlesung „Nicht nur Vergangenheit. Juden und Antisemitismus in den neuen EU-Ländern“ veranstaltet, gab es bereits zahlreiche Gespräche zu dem schwierigen Problemfeld Christentum und Antisemitismus, das einen Forschungsschwerpunkt des Seminars bildet. Aber es gibt ebenso Fragen zu dogmatischen, historischen oder liturgischen Themen. In regelmäßigen Abständen werde ich in Verkennung meiner Profession gebeten, mich als Ferndiagnostiker und Wahrsager zu betätigen. Die Frage lautet dann in beträchtlicher Schlichtheit: „Wie krank ist der Papst und wer wird sein Nachfolger?“ Doch zugestanden sei, dass der eigentliche Ansturm vor den christlichen Feiertagen anbricht. Das „Weihnachtsgeschäft“ begann dieses Jahr Mitte November mit der Frage, woher eigentlich die Weihnachtsplätzchen kommen. Meine Antwort war theologisch sicher nicht ganz korrekt, aber entsprach dem, womit meine Mutter mich vor 45 Jahren in münsterländischem Platt beschied: „Die backen die Engel im Himmel; daher ist auch der Himmel so rot.“

Frage und Antwort mögen nicht ernst gemeint gewesen sein, aber sie vergegenwärtigen doch, dass die christlichen Feste auch einen Vorrat an Erinnerung beinhalten, den man erkunden will. Das Weihnachtsfest, das die Geburt des wahren Retters der Welt als Grund der Hoffnung auf Entmachung aller angemaßter Herrschaft feiert, hat spätestens seit dem bürgerlichen Zeitalter einen schleichenden Wandel zu einem Familienfest durchgemacht, das der religiösen Begründung nicht mehr notwendig bedarf. Und dennoch gibt es die Neugier, die sich aber nicht vorrangig auf die religiösen Wurzeln bezieht, sondern auf Elemente des Brauchtums. So habe ich in wenigen Wochen fünfzehn Interviews zum Weihnachtsbaum gegeben.

Man kann diese Neugier durchaus als Indiz dafür nehmen, dass es ein gewisses Unbehagen an der gängigen Art des Feierns gibt. Bedenklich finde ich jedoch, wie oft in den vergangenen Jahren nach völkischen Elementen des Weihnachtsfestes gefragt wurde. Dass man bei dem Verlust der eigentlichen Bedeutung des Festes auf Surrogate aus Germanismus, völkischen Legenden und Nazikitsch zurückgreift, zeigt allerdings ein Maß an intellektueller Verwahrlosung. Denn diese Zusammenhänge werden nicht etwa kritisch gefragt, sondern als historisch gesichert vorausgesetzt. Keiner der Interviewer hat sich auch nur ein Mal die Frage gestellt, wie man sich den Prozess der Weitergabe germanischer Riten über dieses Zeitkontinuum von zwei Jahrtausenden vorzustellen hat. Eine Reporterin eines öffentlich-rechtlichen Senders sprach ungehemmt von völkischen Überlieferungen, die das Christentum subversiv unterwandert hätte. Erstaunlicherweise zeigte sie sich bei meiner Rückfrage, ob sie Mitglied der Wikingerjugend sei, beleidigt.

Dabei ist offensichtlich: Es gibt kein christliches Fest, dass nicht seinen Ursprung in jüdisch-christlicher Tradition hat. Doch augenscheinlich fällt es leichter, in den Nebeln der germanischen Sümpfe herumzustochern, als sich an das zu halten, was eben auch zur kulturellen Identität gehört. Niemand muss daran glauben, dass Weihnachten die Zeitenwende der Welt bedeutet, aber deswegen muss man Glauben nicht durch Leichtgläubigkeit ersetzen.