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Mäzenin und Muse der Moderne

Winnaretta Singer, Princesse de Polignac, gehörte um die Jahrhundertwende zu den bedeutendsten Förderinnen der Künste und trug damit auch zur Entwicklung des Wandels der ästhetischen Vorstellungen bei

Mäzene leitet das Empfinden, dass Reichtum Verpflichtung bedeutet. Diesem Grundsatz folgte in ganz ungewöhnlich engagierter Weise die Prinzessin Winnaretta von Polignac, geb. Singer (1865-1943), die im Frankreich der Jahrhundertwende 1900 zu den bedeutendsten Förderinnen der Künste gehörte. Als Tochter des Erfinders der Nähmaschine, Isaac Singer, erbte sie ein scheinbar unbegrenztes Vermögen. Schon als junges Mädchen erwies sich ihre Begabung für Musik, Malerei und Literatur als lebensbestimmend. Zu ihrem 16. Geburtstag wünschte sie sich von ihrem Vater die Aufführung des späten Streichquartetts in C-Dur Op. 131 von Ludwig von Beethoven. Sie spielte vorzüglich Klavier und Orgel, sang und malte ihr Leben lang in einem von den Impressionisten beeinflussten, besonders von dem von ihr verehrten Monet geprägten Stil.

In den 1860er Jahren zog Isaac Singer nach Paris und richtete sich auf luxuriöse Weise ein. Winnaretta Singer nahm Klavier- und Malunterricht und fand Zugang in die vornehme Gesellschaft der Epoche Napoleons III. Unmittelbar vor dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 verließen die Singers Paris und errichteten in England, in der Nähe von Torquay, ein großes Schloss. Nach dem Tod von Isaac zog es die Familie 1878 wieder nach Paris, wo Winnaretta Zutritt zu der Salonkultur, die das kulturelle Leben in der französischen Hauptstadt entscheidend prägte, fand. Dort begegnete sie Saint-Saëns, Massenet, Fauré, Debussy und Ravel.

Die Salons des Fin-de-siècle repräsentierten unterschiedliche gesellschaftliche Kreise. Keineswegs fanden Gelehrte, Schriftsteller und Künstler in denen des Adels grundsätzlich Zutritt. Winnaretta waren jedoch keine Türen verschlossen, nicht zuletzt aufgrund ihrer ersten Ehe mit dem Prinzen de Scey-Montbéliard. Sehr bald wurde nun ihr eigener Salon zum Mittelpunkt des Musiklebens. Winnaretta förderte die Musiker, arrangierte Konzerte, finanzierte Aufführungen und vergab Aufträge für Kompositionen. Gleichzeitig sammelte sie Gemälde der französischen Impressionisten. Sie besaß eine Reihe von Werken von Manet, Monet, Sisley, Whistler, Sargent und anderen zeitgenössischen Malern. Als sie vom Tod Manets 1883 erfuhr, war sie tief betroffen, begab sich zu seinem Atelier und erbat sich die Visitenkarte, die der Maler an seiner Tür angebracht hatte als ein persönliches Andenken. Mit ihrem Engagement für die Freilichtmalerei, die sie selbst praktizierte, stand sie damals noch ganz im Gegensatz zu den an der Akademie vertretenen Richtungen. Ihre Erwerbung von Edouard Manets, La Lecture, (heute Paris, Musée d'Orsay) wurde in ihrer Familie und von ihren Freunden als befremdlich aufgenommen.

Ihre erste unglückliche Ehe wurde geschieden, und sie heiratete 1893 Edmond Prince de Polignac. Diese Verbindung eröffnete ihr den Zugang zu allen gesellschaftlichen Kreisen, wie sie gleichzeitig den Rahmen für eine intensive Aktivität der Förderung der Künste in ihrem eigenen, eleganten, auch von Proust frequentierten Salon ermöglichte.

Polignac, der selbst komponierte, vereinte mit seiner Gemahlin die leidenschaftliche Bewunderung der Musik Wagners. Sie erlebte die Uraufführung des Parsifal 1882 in Bayreuth mit, das sie seitdem regelmäßig zu den Festspielen besuchte. Winnaretta hatte den Plan, in ihrem mit luxuriösem Aufwand ausgestatteten, von José-Maria Sert ausgemalten Palais in Paris eine eigens dem Komponisten gewidmete Kapelle einzurichten. Wie eine Art Tabernakel sollte Wagners eigenhändige Partitur des Parsifal das Zentrum der Anlage bilden. Über Jahre hinweg unterstützte sie Maler und Bildhauer, unter anderen den symbolistischen Keramiker Jean Carriès, ohne dass die Arbeiten endgültig zum Abschluss gelangten.

Eine erhebliche Rolle spielten die Polignacs bei der Wiederentdeckung der Barockmusik, insbesondere der deutschen. Werke von Bach, Händel und Schütz gelangten nur durch ihre finanziellen Zuwendungen zur Aufführung.

Die Besonderheit des mäzenatischen Engagements der Princesse de Polignac bestand aber in ihrer konsequenten Förderung der Moderne. Fauré, Debussy und Saint-Saëns blieb sie weiterhin verbunden, erkannte und förderte aber nach 1900 auch die jüngeren, innovativen künstlerischen Bestrebungen. Ohne sie hätten sich weder Satie noch Stravinsky in künstlerischer Freiheit entfalten können. Sie unterstützte aber auch de Falla, Poulenc, Milhaud, Kurt Weill und viele andere Komponisten. Diaghilev, Cocteau und Picasso verdankten ihr die triumphalen Erfolge der Ballets russes. Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sie ihr mäzenatisches Engagement fort und finanzierte Orchester sowie deren Konzerte und förderte die Ausbildung junger Musiker und Dirigenten, wie Nadja Boulanger, Clara Haskil, Rubinstein, Markevitch und Horowitz.

Die Princesse de Polignac gehörte zu den bedeutendsten europäischen Mäzeninnen des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie trug auf erhebliche Weise durch ihre Förderung der Künste zur Entwicklung des Wandels der ästhetischen Vorstellungen bei, der sich um die Wende 1900 vollzog. Winnaretta de Polignac war stets dem Neuen aufgeschlossen, suchte und unterstützte junge Begabungen.

Aber nicht nur im künstlerischen Bereich setzte sie sich unentwegt, wenn auch stets streng dem Nutzen verfolgend, ein. Auch die Wissenschaften und den sozialen Wohnungsbau förderte sie auf entscheidende Weise, allerdings wiederum mit der Vorgabe, es müsse ein junger viel versprechender Architekt herangezogen werden: Le Corbusier.

Winnaretta stand mit ihrer Förderung der Künste nicht allein. Paris wies eine Reihe von Salons auf, in denen gesellschaftliches Zusammensein mit geistigem und kulturellem Austausch eine enge Bindung eingingen. Die ungewöhnliche Kennerschaft, die Professionalität der eigenen Kunstausübung sowie das Gespür und die Offenheit für neue künstlerische Entdeckungen sind die Gründe, warum sie einen festen Platz in der Geschichte der Moderne verdient.

Mäzenatentum im Sinne der Princesse de Polignac bedeutete jedoch nicht nur Anteil zu nehmen an den künstlerischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu ihren Lebzeiten. Wenn sie auch auf die großzügigste Weise half und auf diese Weise die Künste förderte, fand sie doch auch selbst durch ihr Engagement eine Erfüllung. In diesem Sinne bedeutet mäzenatisches Handeln einen unschätzbaren Gewinn an Lebensqualität, damals wie heute.

Der Autor ist Professor für Kunstgeschichte an der FU und am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris

EINE BRÜCKE FÜR KUNSTHISTORIKER

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Das Interesse der deutschen Kunstgeschichtsschreibung an Frankreich hat eine lange und bis heute lebendige Tradition, doch fehlte ihr bislang ein institutioneller Rahmen, wie ihn etwa die deutsche Italienforschung seit der Wende zum 20. Jahrhundert mit der Bibliotheca Hertziana in Rom oder dem Deutschen Kunsthistorischen Institut in Florenz besitzt. Daher wurde im Juli 1997 mit Hilfe der Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Deutsche Forum für Kunstgeschichte in Paris gegründet. Geleitet wird das Deutsche Forum für Kunstgeschichte von Prof. Dr. Thomas W. Gaehtgens (Freie Universität Berlin), dem ein Wissenschaftlicher Beirat deutscher, französischer und schweizer Kunsthistoriker zur Seite steht.

Als seine vorrangige Aufgabe sieht es das Deutsche Forum für Kunstgeschichte an, sowohl die deutsche Frankreichforschung zu konzentrieren als auch das Interesse der französischen Geisteswissenschaften an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit deutscher Kunst und Kunstgeschichte zu fördern. Sein Ziel ist es, eine Brücke zu schlagen, die Kunsthistoriker in Deutschland, Frankreich und anderen Ländern, aber auch kunsthistorische Institutionen in internationalem Rahmen miteinander verbindet.