Tierschutz und Ethik
Jörg Luy hat deutschlandweit die erste Professur auf diesem Gebiet
„Schade, dass das Wort ,Tierschützer‘ zum Schimpfwort verkommen ist“, sagt der neu berufene Tiermediziner Jörg Luy. Die Freie Universität Berlin berief den 38-Jährigen im vergangenen Sommersemester auf die deutschlandweit erste Professur für Tierschutz und Ethik am Fachbereich Veterinärmedizin. Für diese Professur brachte Luy beste Voraussetzungen mit: Nach dem Abitur in Köln entschied sich Jörg Luy für das Doppelstudium der Veterinärmedizin und Philosophie in Gießen. Den Magister der Philosophie erwarb er später in Berlin. Schon in seiner preisgekrönten Dissertation „Die Tötungsfrage in der Tierschutzethik“ kombinierte Luy seine beiden Fächer. „Mich irritierte, dass unser Tierschutzgesetz das Leben und Wohlbefinden des Tieres schützen soll, während es gleichzeitig die Schlachtung von Millionen von Tieren zulässt“, erzählt Luy. In Deutschland werden jährlich etwa fünf Millionen Rinder, vierzig Millionen Schweine, eine Million Schafe und Ziegen, mehrere Tausend Pferde und ungefähr 600000 Tonnen Geflügel für den menschlichen Verzehr getötet.
Geregelt ist das Töten von Tieren im Tierschutzgesetz, wonach niemand einem Tier ohne „vernünftigen Grund“ Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf. Seit 1972 gilt auch das Töten von Wirbeltieren als strafbare Handlung, allerdings nur, wenn es ohne „vernünftigen Grund“ erfolgt. Schon damals waren sich die Rechtsphilosophen nicht einig, inwiefern hier ein unmoralisches Verhalten vorliegt – und sie sind es sich auch heute noch nicht. „Interessant ist außerdem, dass diese gesetzliche Strafandrohung nur auf Wirbeltiere beschränkt ist. Hummer, Langusten oder Tintenfische bleiben ohne naturwissenschaftliche Erklärung ausgeklammert“, so Luy.
Viele Fragen des Tierschutzes sind bislang durch das Gesetz nicht eindeutig geklärt, wie die moralische Verpflichtung, Tiertötungen grundsätzlich angst- und schmerzlos durchzuführen, gleichzeitig aber die religiös motivierten Traditionen eines betäubungslosen Schlachtens zu berücksichtigen. „Das ist insofern recht schwierig, als die Anerkennung eines Primats der Religion gegenüber der Moral verschiedene Tierschutzgesetze erforderlich machen würde“, erklärt Jörg Luy und fragt zurück: „Wäre denn das betäubungslose Schlachten in tierschutzethischer Hinsicht unproblematisch, wenn alle Menschen orthodoxe Juden wären?“
Die Frage nach der ethisch gebotenen Art und Weise der Tiertötung gehört zur Frage der Tierquälerei. Und diese ist – das meint zumindest der australische Philosoph Peter Singer, der in den vergangenen Jahrzehnten den größten Einfluss auf die Tierschutzethik ausgeübt hat – losgelöst von der Tötungsfrage zu betrachten. „Wir müssen uns natürlich grundsätzlich fragen, ob es moralisch zulässig ist, ein Tier zu töten – selbst wenn sicher gestellt ist, dass vor der Lebensbeendigung das Bewusstsein des betroffenen Tieres schmerzlos erlischt und auch kein Indiz für eine seelische Belastung, wie zum Beispiel Angst, bei diesem Tier vorliegt“, sagt Jörg Luy. Gerade in der Tiermedizin stelle sich aber oft die Frage, wie eine „tierschutzgerechte Tötung“ in der Praxis aussehen müsste; insbesondere für Massentiertötungen zur Begrenzung von Tierseuchen liegen bis heute keine ethisch befriedigenden Verfahren vor.
Luy untersucht deshalb, wo im Tierreich die Grenze zwischen empfindungsfähigen und automatischen Organismen zu ziehen ist. „Für mich ist die Leidensfähigkeit eines Tieres das Kriterium für die Notwendigkeit moralischen Handelns, und deshalb glaube ich, dass nur die Tötung ethisch zu rechtfertigen ist, die für das Tier angst- und schmerzfrei geschieht. Ob aber wirbellose Tiere, wie unsere Honigbiene, überhaupt ein Schmerzbewusstsein haben, darüber streiten sich die Wissenschaftler.“ Diese Messlatte gelte auch für Tierversuche. Das Tierschutzgesetz verbietet Tierversuche, wenn die Schmerzen, Leiden oder Schäden der Tiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch nicht vertretbar sind. Luys Ziel ist es, genauer zu bestimmen, welche Bedingungen bei welchem Versuchszweck und bei welchem Seelenleben der Tiere für eine „ethische Vertretbarkeit“ erfüllt sein müssen.
Tierschutz meint nicht automatisch auch Lebensschutz. „Ethisch gebotener Tierschutz bedeutet primär die Sicherstellung von Lebensqualität. Der Schutz des Lebens ist ein umstrittenes Extra. Es gibt im Tierschutz vorbildliche Länder, wie Schweden oder die Schweiz, in deren Tierschutzgesetzen ein Schutz des Lebens gar nicht enthalten ist“, sagt der Juniorprofessor. Aus Gründen der Lebensqualität hat er zu Hause kein Haustier. „Natürlich bin ich ein Tierfreund, aber weil ich ihnen nicht die Lebensqualität bieten könnte, die sie benötigen und verdienen, halte ich lieber keines.“ Als Kind hatte er Schildkröten, Kaninchen und Prachtfinken. Alle hatten einen selbst gebauten Riesenkäfig. Davon träumt heute so manches Tier. Denn die einst vorbildliche Tierschutzgesetzgebung Deutschlands ist in vielen Details von anderen Ländern überholt worden. „Deutschland hinkt mit seinem Tierschutzgesetz nicht nur seinen eigenen Ansprüchen hinterher“, sagt Luy, „sondern beispielsweise auch dem österreichischen oder dem schweizerischen Gesetz.“ In Österreich etwa gilt seit diesem Jahr das Verbot, Wildtiere im Zirkus zu halten und mitwirken zu lassen, weil sie dort nicht art- und verhaltensgerecht gehalten werden können. Gleichzeitig ist auch die Pelztierhaltung zum Zweck der Pelzgewinnung verboten worden. Die Schweiz hat die Käfighaltung von Legehennen 1992 komplett aufgegeben. In Deutschland hingegen ist im Jahr 2002 das Rechtskonzept des „Ethischen Tierschutzes“ zum Staatsziel erklärt worden, „aber die neuen, daraus resultierenden Aufgaben sind bislang nur ansatzweise von der Exekutive, Legislative oder Judikative umgesetzt worden“, kritisiert Luy.
Seit vier Jahren setzt sich der Fachtierarzt für Tierschutz hauptberuflich für den tierärztlichen Tierschutz ein. Anfangs als Geschäftsführer der in Berlin ansässigen Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz, wo er heute noch ehrenamtlich im Stiftungsvorstand tätig ist, jetzt als Professor an der Freien Universität. Wegen seiner Bemühungen, Ethik und Tiermedizin miteinander zu vernetzen und dadurch neue Lösungsansätze zu entwickeln, wurde er als Ethik-Berater 2002 zur Gesellschaft Deutscher Lebensmitteltechnologen (GDL) und 2003 zum Welt-Zoo-Verband (WAZA) gerufen. Die an der FU neu eingerichtete Juniorprofessur stellt für ihn eine besondere Herausforderung dar: „Die Verknüpfung von Ethik und Tiermedizin hat eine kleine, interessante Nische geschaffen. Und wie das bei neuen Nischen so ist, braucht es ein wenig Pioniergeist, wobei mich gerade dieses Fehlen fertiger Strukturen fasziniert.“