Springe direkt zu Inhalt

Gegen den Schmerz

Steglitzer Schmerzforscher wollen das Übel an der Nerven„wurzel“ packen


Peng – ein etwas übertriebener Ausfallschritt, um beim Badminton doch noch eine gute Figur zu machen und die Achillessehne war gerissen. Während durch den abrupten Vorfall die Bewegungsgeschwindigkeit des Körpers auf Null reduziert wird, reagiert das Nervensystem rasant. Schmerzrezeptoren erhalten aus den verletzten Zellen eindeutige Signale in Form verschiedener Eiweißmoleküle oder auch Kalium, so genannter Schmerzmediatoren. Die Rezeptoren übersetzen das Signal unmittelbar in elektrische Aktivität in sensorischen Nervenfasern, von dort geht es über die Leitungsbahnen des Rückenmarks zur zentralen Reizverarbeitung ins Gehirn. Bei der Bekämpfung von Schmerzen – während und nach Operationen, bei Tumoren oder auch chronischen Leiden – werden üblicherweise die stechenden, ziehenden, pochenden oder bohrenden Empfindungen ausgeschaltet. Der therapeutische Hebel wird also erst dann angesetzt, wenn die ursprünglichen Signale im Zentralen Nervensystem (ZNS) bereits zu einem Schmerzerlebnis verarbeitet worden sind.

Seit Jahren versuchen deshalb Schmerzforscher einen Schritt weiter zu gehen. Christoph Stein, Direktor an der Klinik für Anästhesie und Operative Intensivmedizin am Campus Benjamin Franklin der Charité, gehört mit seinem Team dabei zu den international erfolgreichsten Wissenschaftlern. „Die bisher eingesetzten Opiate wirken über das Rückenmark und das Gehirn. Dabei verursachen sie aber mehr oder weniger ausgeprägte, unerwünschte Wirkungen, unter anderem Dämpfung der Atmung, Verwirrtheit, Toleranz oder Abhängigkeit“, erklärt Stein. Deshalb untersucht der Berliner Schmerzforscher auch ihre peripheren Wirkungen: „Die neue Schmerzmittelgeneration würde gleich mehrere Vorteile bieten: Bekannte Nebenwirkungen blieben aus, und zusätzlich würden sie entzündungshemmend wirken, möglicherweise auch Schmerzen in Zusammenhang mit Nervenleiden lindern.“ Das Wissen über die periphere Wirkung von Opiaten und Opioiden ist noch relativ neu. Bereits jetzt lassen sich aber schon Schmerzen in Gelenken und Organen durch direktes, lokales Einspritzen der Opioide lindern. So werden die Mittel unter anderem nach Operationen am Knie direkt in das Gelenk injiziert.

Eine gentherapeutische Variante der lokalen Schmerztherapie ist eines der Ziele von Christoph Stein. „Wir wissen, dass Immunzellen in entzündeten Geweben Endorphine freisetzen, die ebenfalls an die Opiatrezeptoren binden und Schmerzen lindern“, erläutert der Mediziner. Bei Ratten mit rheumatoider Arthritis ist es bereits gelungen, per Gentaxi die Erbinformation für die Endorphinproduktion in die entzündeten Gewebezellen zu transportieren. Hier sollen sich nun die Endorphin freisetzenden Immunzellen vermehren. Laut Stein wird diese Schmerzbekämpfung zwar nicht in allen Fällen chronischer, aber sehr wahrscheinlich bei einigen entzündlichen Schmerzerkrankungen helfen können. Die Patienten würden eventuell nur einige Injektionen pro Jahr erhalten.

Ein anderes wichtiges Ziel der von Stein geleiteten und durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit 3,9 Millionen Euro geförderten Forschungsgruppe „Opioidanalgesie bei Entzündungsschmerz“ ist ein auf verletzte Gewebe, aber eben nicht auf das ZNS, wirkendes Opioid. Der Mediziner betont, dass, „wegen der anhaltenden Diskussion um die Nebenwirkungen und das Abhängigkeitsrisiko der bekannten Opiate die Entwicklung ausschließlich peripher wirkender Substanzen dringend nötig ist. Sie werden bereits in ersten klinischen Studien geprüft und könnten sogar eine Alternative zu Aspirin-ähnlichen Medikamenten sein“. Die peripheren Opioide haben einen doppelten Effekt. Einerseits können sie Schmerzen lindern, in dem sie Nozizeptoren, also die Rezeptoren, die durch die Schmerzsignale aus verletzten Zellen erregt werden, zum Schweigen zu bringen. Gleichzeitig machen sie die Nozizeptoren resistent gegen die in verletzten oder entzündeten Geweben heranströmenden Schmerzmediatoren und verhindern so die Schmerzentstehung.

Rund elf Millionen Menschen leiden in Deutschland unter Schmerzen, davon mehr als eine halbe Million an chronischen. Die Versorgungssituation hat sich zwar etwas verbessert, doch mit den peripher wirkenden Medikamenten könnten einige Hürden des Betäubungsmittelgesetzes und Ärzten wie Patienten Bedenken genommen werden.

 

Von Matthias Manych