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Autonomie jetzt!

Liebe Leser und Leserinnen des Tagesspiegels, liebe Freunde der Freien Universität!

Wissen Sie, wie schwierig es geworden ist, Spitzenwissenschaft in Berlin zu betreiben? Wissen Sie, wie mühsam es geworden ist, für die Menschen in diesem Land zu forschen, für Ihre Gesundheit, für bessere Lebensbedingungen, für eine wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft im internationalen Wettbewerb, wie schwierig, junge Menschen dieser Stadt für akademische Berufe auf internationalem Niveau auszubilden, damit sie eine gute berufliche Chance haben?

Ich rede nicht vom Geld. Die seit Jahrzehnten erfolgte notorische staatliche Unterfinanzierung der Universitäten ist ein schwerwiegendes Vergehen an der Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder, an unserer aller Zukunft.

Ich rede von der Freiheit der Wissenschaft. Wenn man Wissenschaften nicht ausreichend finanziert, muss man ihnen wenigstens die Möglichkeit geben, sich die erforderlichen Geldmittel woanders zu beschaffen. Doch die Geldgeber erwarten zwei Dinge: Erstens: Sicherheit. Wenn z.B. nicht sicher ist, ob ein Laborgebäude künftig noch der Universität zur Verfügung steht, riskiert niemand sein Geld für einen Forschungsauftrag. Die Berliner Politik möchte jetzt aber den Hochschulen die Gebäude wegnehmen und sie zentral verwalten und vermieten lassen. Die Hochschulen sollen ihre eigenen Gebäude mieten!

Zweitens: Sicherheit: Wenn ein Unternehmen oder eine Stiftung Forschungsmittel für viele Jahre binden soll, dann muss sicher sein, dass sich die Bedingungen nicht ändern, die für die sachgerechte Verwendung der Mittel erforderlich sind: Das heißt: Es muss sicher sein, dass persönlich verantwortliche Forscher und nicht anonyme Gremien über das Geld verfügen.

Wenn man diese Bedingungen erfüllen will, muss man den Universitäten völlige Autonomie geben. Sie müssen über ihre Grundstücke und Gebäude verfügen, ihre Professoren und Professorinnen selbst berufen, über ihr Budget nach kaufmännischen und nicht nach bürokratischen Regeln verfügen, schnelle, flexible Entscheidungen mit persönlichen Verantwortlichkeiten treffen können.

Das Land Hessen hat es vorgemacht: Der TU Darmstadt sind diese Rechte auf ihren eigenen Wunsch eingeräumt worden. In Berlin, das in der Hochschulpolitik mit den Hochschulverträgen einmal die Nase vorn hatte, gilt das leider nicht. Ganz im Gegenteil müssen die knappen Freiräume jeden Tag mühsam verteidigt werden, um nicht auf überholte zentralistische Staatsideen zurückzufallen.

Die Berliner Hochschulen sind bereit, sich der internationalen Herausforderung zu stellen: Die Weltspitzenuniversitäten werden unternehmerisch gesteuert. Die Politiker der Länder, in denen sie stehen, denken im Traum nicht daran, ihnen irgendwelche Vorschriften zu machen. Dabei erhalten zum Beispiel selbst die so genannten „privaten“ TOP-Universitäten in den USA jeweils dreimal so viel staatliche Mittel wie die Berliner Universitäten. Dort genügt es, Leistungsziele zu vereinbaren. Den Weg zu den Leistungen überlässt man den Hochschulen. Diese Haltung erwarten die Berliner Hochschulen wenn jetzt die ausgehandelten Verträge im Berliner Senat und im Abgeordnetenhaus zur Entscheidung anstehen. Wer heute nicht als absolutistischer Monarch dastehen möchte, kann sich nicht darauf beschränken, Gedankenfreiheit zu gewähren. Das Gebot der Stunde heißt: Geben Sie Handlungsfreiheit, Sire!

Professor Dr. Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität Berlin