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Schrippen schmieren statt Frust schieben

Das Transferprogramm 21 zur Nachhaltigkeitsdebatte hält Einzug in den Schulalltag


„Mit mehr als der Hälfte unserer Schüler haben wir keine Probleme“, erzählt Wolfgang Lüdtke, seit zwanzig Jahren Leiter der Kepler-Schule in Neukölln-Nord, wenige Meter von der ehemaligen Mauer entfernt. Der 56-Jährige betont diesen Satz, ihn stört die Stigmatisierung seiner Hauptschüler als „Restschüler der Nation“. „Wie sollen wir Schüler in ihrem Selbstbewusstsein stärken, wenn sie glauben müssen, die Hauptschule sei das Schlimmste, was ihnen passieren kann?“, fragt der Historiker und fügt hinzu, dass sich die Arbeitsmarktlage für Hauptschüler in den vergangenen Jahren drastisch verschlimmert hätte: Nur zwei von 60 Schülern finden noch eine Lehrstelle.

Viele müssen sich deshalb weiterqualifizieren. „Das ist möglich, aber schwierig“, erzählt der Lehrer Sven Schmidt, zumal die Schüler kaum auf häusliche Unterstützung zählen können. „Ich animiere meine Schüler, dass sie es in der Hand haben, ob sie später von der Sozialhilfe leben oder nicht“, sagt Martina Ahl-Liebchen, die wie die 34 anderen Lehrer die Schüler zur Eigenverantwortung aktivieren möchte. „Dabei mussten wir auf die veränderte Lebenswelt reagieren“, erzählt die Lehrerin. Seit 1997 nimmt die Kepler-Schule deshalb an dem BLK-Programm-21 teil, das inzwischen in dem Transfer-Programm aufgegangen ist. „Unser Part ist es, den sozialen Aspekt in dem Programm zu stärken“, sagt Sven Schmidt, der wie ein Drittel der Lehrer aus der ehemaligen DDR stammt. Neue Lernformen und neue Inhalte ließ sich das engagierte Lehrerkollegium einfallen, um dem Schwänzen, der Schulmüdigkeit und der Frustration, keine Lehrstelle zu finden, entgegenzuwirken.

Besonders für die Klassen neun und zehn besteht mit den Schülerfirmen und dem College-System inzwischen ein attraktives Angebot. In Kürze soll die Nachhaltigkeit als Prinzip in das Schulprogramm aufgenommen werden. Der Morgen beginnt mit Deutsch, Mathematik und Englisch; anschließend stehen Kurse wie „Unsere Zukunft in der EU“, „Die Organisation eines Kinderfestes“ oder „Rund um das Auto“ auf dem interdisziplinären und praxisnahen Programm. Im letztgenannten berechnen die Schüler den Benzinverbrauch und sie lernen, wie ein Motor funktioniert. „Ich biete gerade einen Kurs an, wie ein Computer-Raum in einer Grundschule gestaltet sein sollte“, sagt Kunst- und Deutschlehrer Schmidt. Bevor die Schüler das dortige Kollegium befragten, griffen sie zum Pinsel, um die Räume ansprechend zu streichen. Dann entwickelten vier Gruppen Modelle, aus denen eines zur Realisierung ausgewählt wurde. Besonders begeistert sind die Schüler von den drei internen Firmen, die Reparaturen oder einen Catering-Service anbieten und Multimedia produzieren und für die sich die Schüler „offiziell“ bewerben müssen. „Da arbeiten die Schüler freiwillig am Wochenende“, meint Lüdtke.

Angefangen hat alles mit einem Schülerfrühstück. „Wir haben gemerkt, dass Schüler hungrig in die Schule kamen“, erzählt Martina Ahl-Liebchen. Im großen Innenhof – gleich neben dem Abfall mit Mülltrennung – steht ein Marktstand, an dem Schüler ein abwechslungsreiches Frühstück zubereiten. Vom Einkauf des Obstes, bis hin zur täglichen Abrechnung der Kasse und zur Kalkulation sind sie für alles verantwortlich. Inzwischen profitieren auch etliche Familien in der Nachbarschaft von dem besonderen Serviceangebot, denn die Keplerschüler liefern belegte Brötchen und selbst gebackenen Kuchen frei Haus.

Szenenwechsel. Pappelallee im quirligen Prenzlauer Berg. In dem Backsteinbau Nr. 30-31 befindet sich das Oberstufenzentrum Bürowirtschaft und Dienstleistungen (OSZBWD). Hier werden Schüler, zumeist vollzeitschulisch, für Berufe rund um das Büro ausgebildet. Besonders ambitionierte Schüler können parallel zur Ausbildung auch das Fachabitur erwerben.

Service wird an den drei Standorten des Oberstufenzentrums groß geschrieben. Im Lernbüro mit modernen i-Macs erinnern Zettel an den Schränken die Schüler daran, wie sie sich am höflichsten am Telefon melden. Während ihrer Ausbildung am OSZ arbeiten die Schüler fast drei Jahre lang in einem Modellunternehmen. Hier lernen sie sämtliche Aufgaben von der Auftragsbearbeitung bis zur Personalverwaltung kennen. Seit kurzem arbeiten die zukünftigen Bürokaufleute dabei mit modernster Bürosoftware von SAP. Wenn die Jugendlichen dann für drei Monate ihr Praktikum in den Betrieben absolvieren, „staunen die Angestellten oft über deren umfangreiche EDV-Kenntnisse“, freut sich Klemens Griesehop. Er ist einer der vier aus der „Nachhaltigkeitsgruppe“, die sich jede Woche ein Mal trifft. „Wir haben ungemein von dem BLK-Programm profitiert“, sind sich die Lehrer einig. Ohne die Unterstützung von Professor Gerhard de Haan hätte das Nachhaltigkeitsprojekt in dem seit 1997 schnell wachsenden Oberstufenzentrum nicht eine solche Dynamik entwickelt.

„Uns ist wichtig, dass die Schüler Umweltbewusstsein an praktischen Beispielen lernen“, sagt Carsten Wolfer, der an der Freien Universität in dem Transfer-Programm mitarbeitet. So untersuchen die Auszubildenden in einem Projekt verschiedene Papiersorten unter wirtschaftlichen und ökologischen Gesichtspunkten. Im dritten Ausbildungsjahr führen Auszubildende des Modellunternehmens in einer Unterrichtseinheit ein Managementsystem durch, das hilft, den betrieblichen Umweltschutz kontinuierlich zu verbessern – das so genannte Ökoaudit. Das Lehrerteam entwickelte dazu Werkstattmaterialien, die inzwischen deutschlandweit in Schulen eingesetzt werden. Jede Abteilung des Modellunternehmens überprüft hierzu Produkte auf ihre Umwelt- und Sozialverträglichkeit. „Eine Schülerin aus der Abteilung Einkauf erhielt den Auftrag, Aktenordner zu testen“, erzählt Klemens Griesehop. Dabei stieß sie darauf, dass Teile der Aktenordner von chilenischen Kindern hergestellt wurden, was zu einer lebhaften Diskussion unter ihren Mitschülern führte.

„Insgesamt gelingt es uns schon, die Auszubildenden für Umweltfragen zu sensibilisieren“, berichtet Griesehop, auch wenn sie sich – wie die meisten in dem Alter – für Autos, Handys und Klamotten interessierten. Auch das junge Kollegium unterstützt die Aktivitäten und bildet sich thematisch weiter. Wirklich die Zähne ausgebissen hat sich die Arbeitsgruppe allerdings bei den Sanierungsmaßnahmen für einen umweltfreundlichen Schulumbau für das OSZ Bürowirtschaft. „Wir wollten zum Beispiel das gesammelte Regenwasser für die Toiletten und Freiflächen nutzen und damit Frischwasser sparen“, erzählt Klemens Griesehop „und konnten uns bei den zuständigen Senatsbehörden nicht durchsetzen.“ Ein Wermutstropfen in der Erfolgsgeschichte.

Von Felicitas von Aretin