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Damit die Schule anders wird

Bildungsforscher Gerhard de Haan über das Thema „Nachhaltigkeit“ in den Klassenzimmern

 

Was bedeutet Bildung für nachhaltige Entwicklung für den Schulalltag?

Mit ihr ändert sich der schulische Alltag fundamental. In der Bildung für nachhaltige Entwicklung, kurz BNE, herrscht nicht der fragend-entwickelnde Unterricht vor, sondern das Lernen in Projekten entlang lebensnaher Probleme und Handlungsfelder. Hier bestimmen die Schülerinnen und Schüler die Themen mit, erarbeiten sie eigenständig und präsentieren die Resultate nicht nur in Klassenarbeiten, sondern auch in Form von Vorträgen oder Ausstellungen. So können sich mehrere Jahrgänge zum Beispiel mit der Frage befassen, wie eine Stadtbrache künftig nachhaltiger genutzt werden kann – und die Schülerinnen und Schüler präsentieren dann die Ergebnisse in der Kommune, im Stadtbezirk. Mit BNE hält genau derjenige Unterricht in den Schulen Einzug, von dem man im Kontext der Debatte um Pisa sagt, dass er aussichtsreich ist für den dauerhaften Erwerb von Kompetenzen.

 

Welche Fächer eignen sich besonders für das Konzept?

BNE ist besonders für fächerübergreifenden und fächerverbindenden Unterricht geeignet. Denn die Probleme nicht nachhaltiger wie auch Konzepte nachhaltiger Entwicklung lassen sich nicht einem Fach oder einer Wissenschaft zuordnen. Der Klimawandel zum Beispiel ist kein Problemfeld, mit dem sich nur Meteorologen befassen. Um ihn zu erklären und etwas dagegen unternehmen zu können, müssen Human- und Naturwissenschaftler, Soziologen, Psychologen, Anthropologen, Geophysiker und viele andere zusammenarbeiten. Dieses spiegelt sich dann auch im schulischen Unterricht: Ein Verbund der naturwissenschaftlichen Fächer und Bezüge zur Gesellschaftskunde, Erdkunde, Politik und Ethik ist unverzichtbar.

 

Wie nehmen die Lehrkräfte, wie die Schüler das Projekt an?

Für die Lehrkräfte bedeutet BNE zunächst einmal Mehrarbeit. Die Kooperation über die Fächergrenzen hinweg ist nicht einfach zu lösen und die Thematiken sind den Lehrkräften oftmals nicht vertraut. Denn sie sind nicht Gegenstand universitärer Ausbildung gewesen. Dennoch registrieren wir derzeit ein schnell wachsendes Interesse, weil die Lehrkräfte und Schulleitungen erkennen: Hier liegt die Zukunft der Schule. Die Resonanz ist bei den Schülern ausgesprochen positiv. Eine Befragung unter 1500 Schülern ergab, dass sie in der BNE einen weitaus interessanteren Unterricht sehen als in den herkömmlichen Fächern. Sie erleben große Lernzuwächse, sehen sich mit ihren Anliegen und in ihren Kompetenzen ernst genommen und fühlen sich motiviert, sich für die Nachhaltigkeit auch außerhalb des schulischen Alltags zu engagieren. Das ist in einer Zeit, in der die Schüler alles an der Schule gut finden, außer dem Unterricht, schon ein erstaunliches Ergebnis.

 

Wie würden Sie Ihre Aufgaben als Koordinator beschreiben?

Die beteiligten Bundesländer arbeiten arbeitsteilig an der Nachhaltigkeitsthematik. Koordination bedeutet in diesem Kontext, die Kooperation zwischen den Ländern zu fördern, dafür zu sorgen, dass die Einzelergebnisse von allen genutzt werden können. Koordination bedeutet aber auch dafür zu sorgen, dass wichtige Aufgaben gemeinsam angegangen werden. Die betrifft derzeit zum Beispiel die Entwicklung von Qualitätsstandards für die Schulen, also die Entwicklung von Gütekriterien für ein an der Nachhaltigkeit orientiertes Schulleben, für die Entwicklung von Gestaltungskompetenz von Schülerinnen und Schülern. Ferner gehört zu den koordinierenden Aufgaben dafür zu sorgen, dass die Nachhaltigkeitsthematik sinn- und niveauvoll in die neuen Ganztagsschulen integriert wird und dass wir bundesweit ein Fortbildungsnetz bekommen, damit BNE sowohl von den Inhalten her als auch vom Methodenrepertoire her in den Ländern angeboten werden kann.

 

Was sind die nächsten Schritte in dem Konzept nachhaltige Entwicklung?

Das Konzept der BNE ist in seinen Grundlagen von uns an der FU seit einigen Jahren schon systematisch entwickelt worden. Derzeit arbeiten wir einerseits daran, die Kompetenzen zu präzisieren, die als Minimal- oder auch Regelstandard von allen Schülerinnen und Schülern am Ende der Sekundarstufe I in Bezug auf die Nachhaltigkeit erworben werden sollen. Zudem arbeiten wir ein Konzept für die Grundschulen aus. Denn das anspruchsvolle Thema „Nachhaltigkeit“ haben wir zunächst mit dem Fokus „Sekundarstufen“ voran gebracht. Zentral wird in Zukunft auch die Beschäftigung mit der Transferforschung sein: Wie bringen wir das Thema „Nachhaltigkeit“ in die Breite? Welche Bedingungen befördern oder behindern den Prozess der Verbreitung und Verankerung der BNE? Das sind spannende Fragen, zu denen teilweise selbst eine Grundlagenforschung noch fehlt.

 

 Wie wünschen Sie sich den Schulalltag in zehn Jahren?

In zehn Jahren geht gerade die von den Vereinten Nationen für die Zeit von 2005 bis 2014 ausgerufene Weltdekade zur Bildung für nachhaltige Entwicklung zu Ende. Mit der Umsetzung der Dekade wurde in Deutschland die Unesco beauftragt, und es wurde ein Nationalkomitee eingerichtet, das seine Arbeitstelle bei uns an der FU hat und dessen Vorsitzender ich bin. Von daher wünsche ich mir, dass wir 2014 einen wichtigen Part im internationalen Bemühen um die BNE übernommen haben, dass die Nachhaltigkeit in den Schulprogrammen der meisten Schulen Deutschlands einen herausragenden Stellenwert einnimmt und der Schulalltag in der BNE ein Modell gewonnen hat, von dem alle Lehrkräfte, Eltern und Schüler sagen: So kann eine zukunftsfähige Schule aussehen, die Kompetenzen für die Gestaltung der Welt von morgen vermittelt.

Von Felicitas von Aretin