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Testverfahren rettet Mäuse

In der Pharmazie wird ein Trainingslabor zu tierversuchsfreien Testverfahren eingerichtet


Insgesamt 2 112 341 Versuchstiere wurden 2003 in Deutschland zu wissenschaftlichen Zwecken gehalten oder getötet. Gegenüber dem Vorjahr ist das ein Rückgang um 4,5 Prozent. Zu verdanken ist das der Entwicklung alternativer Testverfahren für toxikologische und diagnostische Prüfungen. Sie sind nötig, um Menschen die Unbedenklichkeit von Produkten des täglichen Lebens zu garantieren. Während in der Vergangenheit oft hunderte von Versuchstieren für einen einzigen Test ihr Leben lassen mussten, ist es heute möglich, durch Vortests und alternative Testverfahren ihre Zahl auf ein Minimum zu beschränken.

An der Freien Universität hat Monika Schäfer-Korting, als eine der Pionierinnen auf dem Gebiet, schon 1995 damit begonnen, alternative Testverfahren zu entwickeln. Die ZEBET, die Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch, war kurz zuvor gegründet worden. Es war die erste Einrichtung dieser Art weltweit. Monika Schäfer-Korting fand schon damals, dass man Tierversuche nur dann durchführen sollte, wenn unbedingt nötig und dass es auch andere Möglichkeiten geben müsse. Heute ist sie Leiterin der Abteilung Pharmakologie am Institut für Pharmazie und in Sachen tierversuchsfreie Testverfahren schon einen guten Schritt weiter. Mit den von ihr entwickelten neuen Verfahren können Chemikalien an künstlicher Haut getestet werden.

Im Stockwerk unter Schäfer-Kortings Büro, in der Königin-Luise-Straße 2-4, liegen die Labore. Durch eine Schleuse gelangt die Besucherin in einen Teil des Labors, an dem außen ein gelbes Warnschild hängt: „Vorsicht Radioaktivität!“ „Hier muss man sich komplett umkleiden. Schuhe und Kittel dürfen diesen Bereich nicht verlassen“, erklärt Doktorandin Katharina Manzer. In dem Labor finden Experimente an künstlicher menschlicher Haut statt. Dabei werden Kunsthautstücke in kleine Glaszylinder, so genannte Franz-Zellen, eingespannt. Unterhalb der runden Hautscheiben befindet sich ein Empfängermedium, das die Körperflüssigkeit Blut simuliert. Auf die Oberseite der Haut können die verschiedensten Stoffe aufgetragen werden. Manche dieser Stoffe sind radioaktiv markiert, damit man sie hinterher leichter nachweisen kann. Daher die Sicherheitsmaßnahmen. „Man wartet sechs, acht oder 24 Stunden, so lange, wie beispielsweise Kosmetika auf der Haut sind und entnimmt in regelmäßigen Abständen Proben aus dem Empfängermedium“, so Manzer. In verschiedenen Analyseverfahren untersuchen die Wissenschaftler dann, welche Stoffe die Haut durchdringen konnten und welche nicht.

Es ist ein langer Weg, bis ein tierfreies Testverfahren als wirkliche Alternative etabliert werden kann. In der ersten Stufe müssen die Versuche entwickelt und mit den Resultaten der herkömmlichen Tierversuche verglichen werden. „Bisher wurden Versuche zur Bestimmung der Aufnahme von Chemikalien über die Haut an Ratten durchgeführt“, sagt Schäfer-Korting. Das Problem sei jedoch, dass Ratten als Pelztiere wesentlich mehr Haarfollikel besitzen als der Mensch. Durch diese Follikel können Stoffe sehr viel schneller und einfacher tiefer in die Haut eindringen. „Die Tests an Ratten sind daher nur eingeschränkt brauchbar und überschätzen die Aufnahme beim Menschen erheblich“, urteilt Schäfer-Korting. Bei der Entwicklung ihrer alternativen Testmethode wurden daher verschiedene Modelle miteinander verglichen. Die Forscher untersuchten zunächst die Aufnahme der Modell-Stoffe Koffein und Testosteron. Sie setzen Schweinehaut, Haut von Rindereutern, menschliche Haut sowie drei verschiedene Arten kommerziell erhältlicher Kunsthaut ein. Zusammen mit fünf Partner-Laboren an der Universität des Saarlands, der Tierärztlichen Hochschule Hannover, der Universität München und der Firma Across Barriers, wurden die Versuche parallel zueinander durchgeführt. Die statistische Auswertung übernahm die ZEBET. Nur wenn überall am Ende die gleichen Ergebnisse stehen, kann eine Methode als sicher gelten. Diese so genannte Prävalidierung, also eine Voreinschätzung, konnte erfolgreich abgeschlossen werden. In einer zweiten Phase wird jetzt eine größere Anzahl an Substanzen von weiteren Laboren getestet. „Wenn auch diese Phase vorbei ist, wollen wir die Ergebnisse der europäischen Validierungsbehörde für alternative Testverfahren vorlegen und hoffen, dass unsere Methode dann offiziell als Alternative zu den herkömmlichen Tests an Ratten angewendet werden wird“, sagt die Professorin.

Schon aus Gründen des Tierschutzes werden alternative Testverfahren in Zukunft noch dringender gebraucht. Um bisher unbekannte Gefahren durch schon lange verwendete chemische Substanzen zu erkennen, hat die Europäische Union kürzlich ein neues Meldeverfahren mit dem Namen REACH beschlossen. Danach müssen etwa 20 000 bis 30 000 verschiedene Chemikalien, die bereits auf dem Markt sind, an Tieren getestet werden. Im schlimmsten Fall könnte dies mehr als zehn Millionen Versuchstiere erfordern. Doch erwartet die EU, dass alternative Testverfahren dieses Schreckensszenario wesentlich abmildern können und fördert daher Forschungsprojekte zu Alternativverfahren sowie die Anwendung dieser Verfahren in den gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitstests.

Um die an der FU entwickelten Methoden anderen Forschern zugänglich zu machen, richtet das Team von Monika Schäfer-Korting deshalb an der FU ein Trainingslabor ein. Ab Juli 2005 können Forscher aus der Industrie, von staatlichen Institutionen und anderen Forschungsinstituten aus der gesamten Europäischen Union und darüber hinaus, alternative Testmethoden kennen lernen. „Wir werden fünf verschiedene Kurse anbieten, jeweils mit unterschiedlichen Schwerpunkten“, erklärt die Koordinatorin Maria Engelke das Programm „Invitrotrain“. Die Schulungen umfassen verschiedene bereits bewährte Alternativmethoden, aber auch solche, die die so genannte 3R-Strategie zur Entwicklung von Alternativmethoden behandeln.

Die 3R-Strategie steht für „refine, reduce, replace“. Das Ziel: Das Leiden der Tiere durch bessere Versuchsdurchführungen zu verbessern – refine. Die Anzahl der Tiere für Experimente zu reduzieren – reduce. Und Tierversuche vollständig durch Reagenzglasmethoden, in der Fachsprache in-vitro, zu ersetzen – replace. Wissenschaftler an anderen Universitäten arbeiten außerdem an so genannten in-silico-Methoden. Damit soll im Computer das Zusammenwirken von chemischen Substanzen im Körper simuliert und vorhergesagt werden. Auch an Modellen künstlicher Augen und an Neuronen, die mit elektronischen Chips gekoppelt sind und so Aufschluss über giftige Effekte auf das Nervensystem geben sollen, wird bereits gearbeitet. „Zwar wird es immer eine letzte Stufe geben, in der Tiere eingesetzt werden, bevor eine Substanz für den menschlichen Gebrauch zugelassen werden kann. Durch alternative Methoden kann jedoch die Zahl der benötigten Tiere auf ein Minimum beschränkt werden“, sagt Monika Schäfer-Korting.