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Zwischen den Welten

Anja Bandau erforscht Fremdheitserfahrungen in der Literatur ethnischer Minderheiten


Kultur prägt den Menschen, aber Menschen prägen auch die Kultur, in der sie leben. Es ist genau dieses Wechselspiel, das die Juniorprofessorin Anja Bandau am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin mit Blick auf die Literatur von Migranten erforscht. „Transkulturalität und Literatur“ nennt sie das Phänomen, wonach sich die Fremdheitserfahrungen Schreibender auf deren literarische Werke auswirken. Sich grundlegend von anderen zu unterscheiden und deswegen ausgegrenzt zu werden – diese Erfahrungen haben auch viele in den USA lebende Autorinnen mexikanischer Herkunft gemacht. Und darüber geschrieben. Diese spanischsprachige Literatur in den Vereinigten Staaten ist ein Spezialgebiet der 36-jährigen Romanistin Anja Bandau. In ihrer Dissertation widmet sie sich den Texten der beiden Autorinnen Gloria Anzaldúa und Cherríe Moraga. „Diese beiden Schriftstellerinnen vermitteln mit ihren Texten zwischen den beiden Kulturen, denen sie sich zugehörig fühlen: der mexikanischen und der amerikanischen. Sie sind Literatinnen und Kulturtheoretikerinnen, die sich zugleich auch politisch engagieren“, so Bandau. Das Ergebnis sind politisch-theoretisch-literarische Essays, die das „Zwischen-den-Kulturen-Stehen“ der beiden Mexiko-Amerikanerinnen deutlich widerspiegeln.

Anja Bandau, Tochter einer deutschen Mutter und eines nigerianischen Vaters, führt ihr Interesse an transkulturellen Phänomenen unter anderem auf das „Anders-Sein“ während ihrer Jugend in der DDR zurück. Internationale Solidarität und Völkerfreundschaft seien zwar viel zitierte Begriffe gewesen – die Möglichkeit, diese tatsächlich zu leben, jedoch begrenzt. „Es gab immer wieder Momente, in denen mir bewusst wurde, dass ich als anders wahrgenommen werde“, sagt Bandau. Die Frage, wie andernorts mit solchen Erfahrungen umgegangen wird, weckte ihr wissenschaftliches Interesse.

„Migrationsbewegungen und die Kulturen, die daraus entstehen, faszinieren mich generell“, erzählt die Wissenschaftlerin. Im Rahmen ihrer Juniorprofessur wird sie ihr Forschungsgebiet daher auf die transatlantischen Verbindungen zwischen der Karibik, Europa und den verschiedenen Amerikas ausweiten. Als nächstes hat sie sich dazu die literarischen Texte über die haitianische Revolution vorgenommen. „An den Geschehnissen dieser Zeit lässt sich gut zeigen, wie Menschen mit ihren Erfahrungen aus gewaltvollen Umbruchsituationen umgehen“, erläutert Bandau.

Um Gewalterfahrungen geht es auch in einem anderen ihrer Forschungsprojekte. Seit über einem Jahr beschäftigt sie sich gemeinsam mit zwei Kollegen mit der Ästhetisierung von Bürgerkriegserfahrungen. Sie wollen herausfinden, wie Menschen traumatische Konflikte in Film, Musik, Literatur und Bild verarbeiten. „Das Thema Bürgerkonflikt ist durch die so genannten ’neuen’ Kriege der letzten Jahrzehnte sehr aktuell geworden“, sagt Bandau. Bürgerkriege erzeugten eine ganz andere räumliche Nähe der Konfliktparteien und konzentrierten ihre Gewalt viel stärker auf die Zivilbevölkerung als „Nationenkriege“, über deren kulturelle Verarbeitung bereits viel geforscht worden sei. „Kunst dient einerseits den Konfliktparteien als Mittel der Propaganda, hilft aber andererseits den traumatisierten Menschen ihre Gewalterfahrungen zu bewältigen“, so Bandau. Und sie trägt dazu bei, die Identität einzelner oder eines ganzen Volkes neu zu definieren – womit sich beide Forschungsgebiete von Bandau wieder unter einen Hut bringen lassen.

Anja Bandau will nicht im stillen Kämmerlein forschen: „Vernetzte Zusammenarbeit und Austausch sind ganz zentrale Aspekte für mich.“ Gemeinsam mit Kollegen anderer Unis konzipiert sie derzeit den neuen hochschulübergreifenden Masterstudiengang „Transnationale Literatur- und Kulturstudien“ der FU. „Literatur und Kultur sind nicht Luxus, sondern ganz zentrale Lebensäußerungen. Die Beschäftigung mit ihnen bringt jeden weiter – nicht zuletzt im Selbstverständnis und im Verständnis der eigenen Kultur."

Von Marion Jüstel und Anke Assig