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Exzellenz im Grünen

Das Dahlem Humanities Center an der Freien Universität

Der Campus Dahlem hat eine lange Tradition wissenschaftlicher Exzellenz. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtete die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die Vorläuferin der Max-Planck-Gesellschaft, hier ein weltweit einmaliges Zentrum naturwissenschaftlicher Forschung. In aller Bescheidenheit möchte die Freie Universität mit dem Dahlem Humanities Center für den Bereich der Geisteswissenschaften an diese große Tradition anknüpfen. Sie legt jetzt ein Konzept für dieses erste Humanities Center Deutschlands vor, das 2006 seine Arbeit aufnehmen soll.

Die Freie Universität verfügt hierzu über eine deutschlandweit einmalige Fülle und Vielfalt geisteswissenschaftlicher Expertise: von babylonischen Grabmälern bis zur Theateravantgarde des 21. Jahrhunderts, vom Koran bis zur japanischen Gegenwartsliteratur wird hier nahezu alles erforscht und gelehrt, was das kulturelle Erbe der Menschheit ausmacht. Die FU hat daraus den Schluss gezogen, die Geisteswissenschaften zu einer der tragenden Säulen ihrer zukünftigen Forschungsstrategie zu machen.

Das Dahlem Humanities Center kann auf die seit Jahrzehnten national wie international renommierte Forschungsleistung der in den beiden Fachbereichen „Philosophie und Geisteswissenschaften“ und „Geschichts- und Kulturwissenschaften“ beheimateten Disziplinen aufbauen. Seine Aufgabenstellung ist eine dreifache: Durch die Bündelung derjenigen geisteswissenschaftlichen Bereiche der Freien Universität, die schon bisher mit innovativen Forschungskonzepten vorangegangen sind, wird zum einen die gesamte geistes- und kulturwissenschaftliche Forschung und Nachwuchsförderung an der Freien Universität neu orientiert. Mit der Einrichtung des Centers werden zweitens die Grenzen der traditionellen Organisationsstrukturen überwunden und eine bessere Nutzung der vorhandenen Stärken ermöglicht. Daran gekoppelt ist die Vertiefung der vielfältigen Arbeitsbeziehungen, die seit langem mit Kultureinrichtungen, Museen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in der Region bestehen. Und drittens schließlich wird mit der neuen Struktur ein Format geschaffen, das die internationale Sichtbarkeit der geisteswissenschaftlichen Forschung an der Freien Universität wesentlich steigern dürfte.

Für diese Bündelung von Kräften und Kompetenzen hat man den Begriff des Clusters geprägt. Die Freie Universität überarbeitet derzeit das universitätsweite Forschungsprofil unter diesem Vorzeichen. Es steht für Wissensallianzen, die Fächer übergreifend zukunftsfähige Problem- und Aufgabenfelder definieren, an deren Bearbeitung ein gesellschaftlicher Bedarf besteht und in denen Wissenschaftler/innen der FU besondere Exzellenz aufweisen. Darüber hinaus impliziert es die systematische Vernetzung und Herstellung von Querverbindungen über die Universität hinaus. Das ist umso naheliegender angesichts des Standortvorteils der Wissenschafts- und Kulturregion Berlin-Brandenburgs.

Das Dahlem Humanities Center wird in seiner Startphase fünf Cluster unter seinem Dach vereinen, die auch untereinander verzahnt sind. Sie sind das Ergebnis einer systematischen Analyse der Forschungsstärke der Geisteswissenschaften. Übergreifender Forschungsrahmen ist die Untersuchung von Erscheinungsformen, Prinzipien und Wirkungsweisen kultureller Dynamik. Der Cluster „Kulturelle Transformationsprozesse“ wird unter dem Blickwinkel der steten Veränderung dessen, was wir unter Kultur verstehen, zu einer neuen Theorie der kulturellen Aktivität beitragen. „Alte Welt und europäische Kultur“ werden in einem weiteren Cluster Forschungsobjekt für die Frage nach den Wurzeln komplex organisierter Gesellschaften sein. „Ästhetische Erfahrung“ wird sich vorrangig Fragen der Ästhetisierung unseres Alltags widmen, sei es im Sinne von politischen Inszenierungen, sei es im Sinne der Allgegenwart von Präsentations- und damit auch Ästhetisierungstechniken, die auch längst die „exakten“ Wissenschaften erfasst haben (man denke nur an die Inszenierung der Entschlüsselung des menschlichen Genoms). Was in den Medien oft unter dem polemischen Schlagwort des „Kampfes der Kulturen“ auftaucht, steht mit auf der Forschungsagenda des Clusters „Transkulturalität“. Das Augenmerk wird hier auf den Austauschprozessen und wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Kulturen in unterschiedlichen Weltregionen liegen und damit auf der spannenden Frage, wie sehr – oder wie wenig – „Kulturen“ als organische Einheiten zu begreifen sind. Der Cluster „Europäische Sprachen und sprachliches Wissen“ baut auf die außerordentliche Kompetenz der Freien Universität in der Erforschung und Vermittlung europäischer Sprachen, darunter Klein- und Minderheitensprachen.

Dieses Programm des Centers ist nicht statisch zu denken. Vielmehr wird das Dahlem Humanities Center eine Ermöglichungsstruktur sein, die produktive Impulse aus den Instituten aufnimmt und weiterführt. Zur neuen Schwerpunktsetzung in der Forschung tritt eine Reihe von neuen Programmen und Formaten: eine Graduate School für herausragende Doktoranden, deren Teilnehmer zu mindestens fünfzig Prozent aus dem nicht-deutschsprachigen Ausland kommen sollen, ein Fellowship-Programm für renommierte internationale Gastwissenschaftler, temporäre Think Tanks zu aktuellen Problemstellungen, Workshops mit Vertretern von Wissenschaft und Praxis und eine überregional bedeutsame Vorlesungsreihe, die Hegel-Lectures.

Das alles dient dem übergeordneten Entwicklungsziel der Freien Universität: Eine international konkurrenzfähige Forschungsuniversität zu sein, deren Qualität sich unmittelbar auf das Niveau der Lehre auswirkt. Warum der internationale Vergleich? Unsere direkte Konkurrenz – im Wettbewerb um Sichtbarkeit, Fördermittel, aber auch die besten Lehrenden und Studierenden – sind internationale Spitzenuniversitäten. Dorthin müssen wir blicken, wenn wir unsere Zukunft planen. Erst kürzlich sind FU-Wissenschaftler und Leiter von Humanities Centers amerikanischer Ivy-League-Universitäten zu einer ersten Konferenz zusammengetroffen, um Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu sondieren und konkrete Kooperationen in die Wege zu leiten. Auf regionaler Ebene stehen Gesprächsrunden mit Vertreterinnen und Vertretern außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, von Museen, Verlagen und Kultureinrichtungen an. In einem weiteren Schritt werden die ausländischen Kulturinstitute und die Kulturabteilungen von Botschaften in die Planungen eingebunden.

Unterstützung für diese weit reichenden Pläne erhofft sich die Freie Universität in erster Linie von privaten Förderern und Stiftungen. Erste Gespräche wurden bereits geführt. Selbstverständlich sind die Planungen auch vor dem Hintergrund des von der Bundesregierung angekündigten Exzellenzwettbewerbs zu sehen. Wie immer eine Einigung zwischen Bund und Ländern aussehen und wann immer sie erfolgen wird, die Freie Universität ist so aufgestellt, dass sie sich mit guten Chancen an diesem Wettbewerb beteiligen kann.

Von Klaus W. Hempfer, Univ.-Prof. für Romanische Philologie an der FU. Als Erster Vizepräsident u. a. für den Bereich der Geisteswissenschaften zuständig.