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Heimkehr oder Rückkehr auf Zeit?

AKTIONSWOCHE Krieg und Frieden – die Lage der Wissenschaft nach 1945

Der schwierige Weg emigrierter Geistes- und Sozialwissenschaftler nach 1945

Am Anfang stand ein Brief aus Frankfurt: Vertreter der Universität und der Stadt schrieben 1946 an die in die USA emigrierten Mitglieder des Frankfurter Instituts für Sozialforschung und warben um ihre Rückkehr an die alte Wirkungsstätte. 1948 kam der Philosoph und Soziologe Max Horkheimer erstmals wieder zu Besuch nach Frankfurt. Im Sommer 1949 kehrte er auf seinen von den Nationalsozialisten abgeschafften Lehrstuhl zurück – aber erst, nachdem ihm zugesichert wurde, er dürfe seine amerikanische Staatsbürgerschaft behalten. Im Wintersemester 1949/50 übernahm sein Kollege Theodor W. Adorno die ersten Lehrveranstaltungen an der Universität. Adorno war von den Fähigkeiten und der Auffassungsgabe der Studierenden begeistert. Im August 1950 nahm das Institut die Arbeit in Frankfurt wieder auf. Und am 20. November 1951 wählte die Universität Frankfurt den jüdischen Remigranten und amerikanischen Staatsbürger Max Horkheimer zum Universitätsrektor.

Diese Geschichte gehört zu den Mythen einer „intellektuellen Gründung“ der Bundesrepublik Deutschland. Sie suggeriert Einigkeit zwischen den Dagebliebenen und den Emigrierten, Respekt vor ihrer wissenschaftlichen Leistung und ihren erlittenen Traumata, den Wunsch nach einem gemeinsamen Neuanfang.

Doch der Fall der erfolgreichen Remigration des Frankfurter Instituts für Sozialforschung war die große Ausnahme. Etliche emigrierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kamen im Laufe der Jahre zwar zu Besuch nach Deutschland – allein nach Berlin rund sechzig Gastwissenschaftler, darunter Historiker wie Fritz Epstein, George Wolfgang Hallgarten, Gerhard Masur, Hans Rosenberg, Fritz Stern, Politikwissenschaftler wie Reinhard Bendix, Lewis Joachim Edinger, Karl Loewenstein; doch die Quote der ganz Zurückgekehrten wird auf nur rund zehn Prozent geschätzt. Zu viele Verletzungen, zu viele Brüche lagen hinter ihnen. Und die Nachkriegsuniversitäten nahmen Emigrierte keineswegs mit offenen Armen auf.

Nach 1933 waren aus dem deutschsprachigen Raum rund eine halbe Million Menschen wegen politischer oder rassischer Verfolgung ins Exil gegangen. An deutschsprachigen Universitäten wurde etwa ein Drittel des Gesamtpersonals entlassen; 2000 von 3000 Wissenschaftlern emigrierten aus dem Deutschen Reich; etwa 1300 fanden in den USA eine neue Heimat. Als nach Kriegsende erste private Briefe aus Deutschland über alliierte Armeepost eintrafen, Briefe, die bei meist prominenten Emigranten wegen einer Rückkehr vorfühlten, stürzte das die Betreffenden in Loyalitätskonflikte: Sie hatten sich oft gerade erst dank der Unterstützung akademischer Hilfsorganisationen oder guter Freunde etablieren können und wollten nun nicht den Eindruck von Professoren auf Abruf erwecken. Die Kinder studierten oder es gab schon Enkel im Exilland. Vielfach lehnten auch die mit emigrierten Ehefrauen eine Rückkehr kategorisch ab. Außerdem waren in den USA die Lebens- und Arbeitsbedingungen nicht schlecht. Dennoch zog es Geisteswissenschaftler, die sich oft im Exil in ihren Forschungen hatten ganz umorientieren müssen, nach Deutschland zurück. Das betraf besonders diejenigen, die nicht in den USA, sondern in der Türkei, Südamerika, Schanghai oder an noch unwirtlicheren Orten Zuflucht gefunden hatten.

Doch die Initiativen zur Rückholung waren weder flächendeckend noch besonders nachdrücklich, soweit sich nicht auf persönlichen Freundschaften oder, wie zwischen dem Historiker und späteren Rektor der Freien Universität Friedrich Meinecke und seinen emigrierten Schülern Hajo Holborn und Hans Rosenberg, auf Schülerverhältnissen aufbauten. Die offiziellen Rückrufbriefe entbehrten oft jeder Herzlichkeit. Häufig gingen sie auf die Forderung der Besatzungsmächte zurück. Doch viele Fakultäten und Universitäten waren eher dagegen. Das lag keineswegs nur an der Abneigung gegen linke und jüdische Verfolgte. Manchmal passten ihnen die Forschungsrichtungen der Emigrierten nicht, andere fürchteten die Konkurrenz der international renommierten Kollegen.
Die Emigranten gerieten überdies in Konkurrenz zu den aus den deutschen Ostgebieten vertriebenen Professoren: So stand in Köln der (vertriebene) Historiker Theodor Schieder auf Platz eins der Berufungsliste, der emigrierte Hans Rosenberg auf Platz zwei. Ob Rosenberg zu diesem Zeitpunkt wirklich gekommen wäre, ist nicht eindeutig zu klären. Die Fakultät bevorzugte jedenfalls Schieder.

Doch die Rückkehr für immer war nur ein Weg; auch vom Ausland aus konnte man sich für Deutschland interessieren. Zu dieser Gruppe gehörte auch die zweite Generation, die oft durch das Raster der Forschung fällt. Für die Geschichtswissenschaft sind hier Namen wie Peter Gay, Fritz Stern, Peter Paret, George Mosse zu nennen. Diese Generation an Exilierten, die als Kinder ausgewandert waren, lieferte und liefert bis heute einen wichtigen Beitrag zur Forschung und verkörpert möglicherweise am genauesten den Typus des „transnationalen Gelehrten“. Francis L. Carsten, Edgar Feuchtwanger, Sidney Pollard oder Arnold Paucker sind Beispiele. Diese fest in England etablierten Gelehrten unterhielten vielfältige Kontakte nach Deutschland, kamen oft zu lecture tours oder Gastprofessuren nach Deutschland und stellten auf vielfältige Weise zwischen ihren beiden Heimatländern Kontakte her, regten die deutschsprachige Historiographie an und beeinflussten sie. Nationale Verlust- und Gewinnrechnungen sind daher dem komplexen Thema von Emigration und Remigration nicht angemessen.

Von Marita Krauss