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Flucht aus Deutschland

AKTIONSWOCHE Krieg und Frieden – die Lage der Wissenschaft nach 1945

Die Auswirkungen des Nationalsozialismus auf das Fach Sinologie waren andauernd. Denn die meisten Migranten kehrten nicht mehr zurück

Lange Jahre interessierten Sinologen sich nicht für Vergangenheitsbewältigung ihres eigenen Faches, das heißt, sie fragten nicht nach den Auswirkungen nationalsozialistischer Politik auf die eigene Disziplin. Während die Japanologie aufgrund der politischen Achse Berlin-Tokio politisch von den Nationalsozialisten vereinnahmt worden war, schien die Sinologie zunächst weniger involviert. Viele Wissenschaftler emigrierten „freiwillig“ ins Ausland, waren dort geblieben und wurden in der Nachkriegszeit weiterhin als deutsche Sinologen gezählt. Erst in den 1960er Jahren wurden Verfolgung und Exil überhaupt benannt und der Sinologe Herbert Franke sprach 1968 von „schwerstem, zum Teil nie wieder gutzumachendem Schaden“ für die Disziplin. In den späten 1990er Jahren fand eine erste Tagung der Chinawissenschaftler zu dieser Thematik statt.

Dabei waren die Auswirkungen des Nationalsozialismus für dieses „kleine“ Fach dramatisch und andauernd. Die Disziplin verlor bedeutende Forscher: Die Mehrheit der fünfzig deutschen Sinologen verließ ihre Heimat. Die zehn Wissenschaftler, die in Deutschland blieben, waren entweder aktive NSDAP-Mitglieder, versuchten sich anzupassen oder leisteten Widerstand. Wenige zeigten Zivilcourage wie Erich Hänisch, der sich – letztlich erfolglos – für die Freilassung des in Buchenwald inhaftierten französischen Kollegen Henri Maspero einsetzte. Der Widerständler Adolf Reichwein, dessen Werk über China und Europa im 18. Jahrhundert bis heute ein Standardwerk ist, wurde 1944 hingerichtet, ebenso wie der Sinologe Philipp Schaeffer, ein Mitglied der Roten Kapelle.

Die meisten Sinologen emigrierten. Zu ihnen zählten jüdische Wissenschaftler und politisch Andersdenkende: einige bereits etabliert im Wissenschaftsbetrieb, viele aus der jüngeren Generation. Eine Reihe von ihnen ging zunächst nach China (Rudolf Loewenthal, Franz Michael) oder kehrte von Studienaufenthalten dort (Hellmuth Wilhelm, Karl August Wittfogel) oder den USA nicht zurück. Andere emigrierten nach Frankreich und England.

Die Emigration zahlreicher Sinologen leitete einen Paradigmenwechsel ein, waren es doch vor allem die innovativen jüngeren Wissenschaftler, die seit den 1920er Jahren in ihren Spezialisierungen die Sinologie mit Methoden und Theorien der systematischen Disziplinen verknüpft hatten: der Linguist Walter Simon, der Wirtschaftshistoriker Stefan Balazs, der Ethnologe Wolfram Eberhard, der Kunsthistoriker Otto Mänchen-Helfen – um nur einige zu nennen. Damit wurde die Sinologie wieder auf ihre Anfänge reduziert: auf die Befassung mit Texten und deren philologisch-historische Interpretation. Diese Reduzierung des Faches auf Übersetzung und Textanalyse verstärkte sich durch einen weiteren Faktor: Sinologen, die die nationalsozialistische Politik nicht mittragen wollten, beschäftigten sich während des „Dritten Reiches“ mit dem klassischen China. Nur das Seminar für Orientalische Sprachen an der Berliner Universität forschte über das moderne China und seine Sprache. Im Wege der „Selbst-Gleichschaltung“ war das Seminar zu einer führenden Anstalt des Nationalsozialismus geworden - zunächst als Auslandshochschule und ab 1940 als Auslandswissenschaftliche Fakultät.

Auf diese Weise wurde ein Gegensatz zwischen der „eigentlichen“ und wissenschaftlich objektiven Sinologie und einer „unwissenschaftlichen“ Befassung mit dem modernen China konstruiert, eine Konstruktion, die bis in heutige Sinologen-Generationen nachwirkt. Die Spaltung der Disziplin in eine philologisch-historische, auf Textinterpretationen konzentrierte Sinologie und eine sozial- und kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit China hat hier ihren Ursprung und existiert in keinem anderen Land als in Deutschland.

Die Migranten kehrten fast ausnahmslos nicht nach Deutschland zurück und trugen auch nicht zu einer internationalen Vernetzung bei. Sie waren entweder im Nachkriegsdeutschland nicht erwünscht oder hatten sich beruflich bereits erfolgreich durchgesetzt. Denn für Großbritannien und die USA führte die Immigration zu einem Innovationsschub und zur Professionalisierung der Disziplin.

Von Mechthild Leutner, die Autorin lehrt Sinologie an der Freien Universität

 

AUSSTELLUNG

China zwischen Krieg und Frieden

Im Foyer des Friedrich-Meinecke-Instituts ist derzeit eine Ausstellung zum Thema: „Krieg und Frieden in China“ zu sehen. Die Ausstellung wurde von einer studentischen Projektgruppe organisiert unter Leitung von Mechthild Leutner, Professorin am Ostasiatischen Seminar des Fachbereichs Kultur- und Geschichtswissenschaften. Die Ausstellung hinterfragt die Haltung von Daoismus und Konfuzianismus zum Krieg und beschäftigt sich mit der kolonialen Vergangenheit Chinas. Im Zentrum stehen Ursachen, Verlauf und Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs in China. Dargestellt werden beispielsweise das Nankingmassaker 1937 sowie das heutige Verhältnis Chinas zu Japan und Taiwan.

Die Ausstellung ist bis zum 27. Mai 2005 in der Zeit von Montag bis Freitag von 9 Uhr bis 20 Uhr zu besichtigen. Der Eintritt ist frei. Das Friedrich-Meinecke-Institut befindet sich in der Koserstr. 20, 14195 Berlin. Weitere Informationen unter www.fu-berlin.de/sinologie.